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Freitag, 19. Januar 2007

Schießt Microsoft sich mit Windows Vista ins Aus?

Ein geschätzter Kollege hat mich auf Peter Gutmanns Analyse von Windows Vistas Content Protection Mechanismen ("A Cost Analysis of Windows Vista Content Protection") aufmerksam gemacht. Des Kollegen Stirn war dabei sehr gerunzelt und er sagte, er stelle sich nach Lektüre dieser Analyse ernsthaft die Frage, wie lange es für ihn noch tragbar sei, Windows einzusetzen und pro Microsoft zu sein.

Ich habe mir den Text dann auch angeschaut und versucht, eine klare Position für mich zu finden. Allein, ich finde es nicht einfach, aus dem, was Gutmann da beschreibt, eine klare pro oder contra Position abzuleiten. Insbesondere kann ich mich nicht wie mein Kollege ereifern. Hm... vielleicht bin ich ja aber auch nur naiv und kurzsichtig und kann die schwerwiegenden Implikationen für uns alle nicht erkennen?

Was Gutmann schreibt, ist vorderhand natürlich geeignet, auch mir einige Stirnrunzeln zu verursachen. Auch ich möchte bezahlten, digitalen Content (Videos, Musik, aber auch Texte) unzweifelhaft immer dann benutzen, wenn ich es möchte - und nicht der Gnade eines Betriebssystems ausgeliefert sein.

Aber... Digitaler Content ist halt wirklich etwas ganz anderes als ein Buch oder ein Auto oder ein Konzert.

Insofern sehe ich andererseits auch die schlichte Notwendigkeit, für etwas, das ganz anders ist als alles Bisherige, und viel Geld in er Produktion kostet, auch Wege zu finden, Umsatz zu generieren. Auf die Ehrlichkeit der Käufer zu hoffen, ist für mich da letztlich auch keine Lösung. Sorry, ich bin wohl insofern Pessimist.

Sind nun die Maßnahmen, die Windows Vista ergreift, um (bezahlten) digitalen Content zu schützen, d.h. nicht erworbene Nutzungsarten- und frequenzen zu verwehren, "gut"? Hat Microsoft den richtigen Weg eingeschlagen oder sich damit nun endgültig ins Reich des Bösen katapultiert?

Hm... Time will tell, würde ich sagen. Microsoft ist auch nur eine Firma, die die Konsequenzen ihres Handelns tragen muss. Wenn genügend Kunden Vistas Maßnahmen schlecht finden, dann werden sie wechseln - und Microsoft muss seinen Kurs anpassen und andere Anbieter werden profitieren. Jedem steht es frei, ein anderes Betriebssystem zu wählen. Da bin ich ganz leidenschaftslos. Welches Betriebssystem man wählt, ist das Ergebnis einer Güterabwägung.
Microsofts Entscheidung also für mich weder "gut", noch "böse". Ich werde Windows Vista aus anderen Gründen noch eine Weile nicht einsetzen.

Aber darum geht es mir hier nicht. In mir hat Gutmanns Analyse vielmehr unmittelbar das Gefühl hervorgerufen, dass sie am wesentlichen Punkt vorbeigeht oder etwas Entscheidendes außer Acht lässt.

So grimm Gutmanns Urteil auch ist und sich deshalb auch so fundamental, geradezu absolut und damit quasi automatisch "richtig" anhört... es ist dennoch ein Urteil, hinter dem Prämissen stehen. Allgemeine, individuelle, kulturelle, historisch gewachsenen Prämissen. Hinter Gutmanns Urteil steht damit auch eine Extrapolation nach dem Motto: "Wenn alles andere so bleibt, wie es ist, und Windows sich so entwickelt, dann wird die Welt schlechter."
Genau das aber halte ich für naiv. Es ist so naiv wie die Beschwörung einer Zeit, da uns das Öl ausgegangen sein wird. Denn: Der letzte Tropfen Öl wird nie gefördert - weil es zu teuer sein würde.

Nicht, dass man nicht negative Utopien denken dürfte oder gar sollte! Nein, sie sind wichtig. Sie lassen das (mehr oder weniger) Mögliche auf das Heutige wirken - verändern dabei aber das Heutige in einer Weise, dass das Mögliche (hoffentlich) eben nicht eintritt.
Wie aber genau es dann am Ende kommt, dass das einstmals Mögliche, das Visionierte eben nicht Realität wird, das ist im jeweiligen Jetzt ganz unklar.

So kann es sein, dass Gutmanns Kritik Microsoft einfach dazu bewegt, die Vista Schutzmechanismen abzuschalten. Das wäre dann der Erfolg von "Politik von unten" oder so. Die Macht des Anwendervolkes hätte dann etwas direkt beim Hersteller/Despoten ausgerichtet.

Aber es kann auch ganz anders kommen und auch ganz unabhängig von Gutmann. Und das ist eben das Gefühl, was sich mir beim Lesen aufgedrängt hat:
Gutmann hat eine entscheidende andere Entwicklung nicht im Blick. Sein Blick ist historisch gefärbt. Seine Prämisse lautet: Windows Vista und seine Nachfolger mit ihren Mechanismen zum Schutz digitalen Contents laufen auch in Zukunft auf general purpose PCs.
Mit dieser Prämisse sind die von ihm beschrieben Szenarien, in denen Krankenhausangestellte auf dem Tomographie-PC auch gekauft Musik hören wollen oder Schlachtschiffe, die durch Vista in ihrer Operation beeinträchtigt werden, eine düstere Aussicht.
Meine Vermutung ist jedoch, dass die Hardwareentwicklung (!) uns eine noch viel weitergehende Spezialisierung der Geräte bescheren wird, so dass es im Grunde keinen Konflikt mehr geben wird zwischen Funktionalität, die keine Beeinträchtigung durch Vista erfahren darf, und anderer, die beeinträchtigt werden kann, falls schützenswerter (weil bezahlter) Content Gefahr läuft, unerlaubt benutzt zu werden.

In meiner Vision der Zukunft hat der Krankenhausangestellte einfach kein Problem mit dem Krankenhausrechner, weil er seinen bezahlten Content auf einem Spezialgerät wie dem iPod abspielt. Der Krankenhausrechner zeigt dann alle Röntgenbilder ohne Beeinträchtigung - weil der Krankenhausangestellte ihn nicht mehr missbraucht.

Und das Schlachtschiff... dort existiert im operationskritischen Netzwerk einfach kein Content der Vista veranlassen könnte, die Funktionalität von PCs im Einsatz zu behindern.
Dasselbe gilt für den Home-Bereich. Wir werden soviele ausreichen preisgünstige verschiedenartige Geräte haben, dass uns die Beschränkungen von Vista oder anderen Betriebssystemen nicht mehr interessieren. Ich nehme mein Exemplar eines Buches mit ins Bett oder in den Zug oder aufs Klo. Darüber beklage ich mich nicht. Und ich werde in Zukunft meine eBooks auf den vielleicht 2-3 eBook Readern ohne Probleme herumschleppen können und wollen. Und meine Musik höre ich auch vom eBook Device oder einem sonstigen Spezialgerät - aber nicht mehr von dem Rechner, auf dem dann auch Visual Studio und .NET laufen und uneingeschränkten Zugriff auf alle Schnittstellen haben wollen.

In meiner Zukunft löst sich das Content Protection Problem zu einem großen Teil durch die weitere Spezialisierung der computing devices. Der PC hat seinen Zinit überschritten. Die general purpose Maschinen werden eben nicht mehr wirklich, wirklich alles tun können und sollen. Für schützenswerten Content werden wir Spezialgeräte haben wie heute das Handy oder den MP3-Player.

Mich graut also nicht so sehr vor Vista. Aber vielleicht bin ich ja doch naiv? Time will tell. Ich denke, weder Gutmann, noch mein Kollege, noch ich können am Ende wirklich vorhersehen, wie es denn kommen wird. Aber es gibt auch nicht nur die eine und negative Zukunft.

Schießt Microsoft sich also mit Vistas Schutzmechanismen ins Aus? So einfach, wie Gutmann es darstellt, ist das wohl nicht zu beurteilen.

2 Kommentare:

Manuel hat gesagt…

Den Gedanken mit den Spezialgeräten teile ich nicht, wenn man sich Produkte wie das iPhone ansieht, fällt eigentlich auf dass die Geräte immer mehr funktionen bieten:Kamera, MP3 Player, Telephon, Datenbank, WLAN Client, etc., gleicher Trend wie mit den Tablet PCs. Allerdings wächst die Konkurrenz für Microsoft auch zunehmend an, ich bin noch nicht überzeugt das Vista und seine Features ausreichen werden um wieder einen deutlichen Vorsprung zu erzielen.

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Manuel: Du hast Recht, auch die kleinen Geräte bieten immer mehr. Das ist auch gut so. Und wenn am Ende auf dem Smartphone ein komplettes Vista läuft... dann ist zumindest für Microsoft eine tolle Sache.

Ist damit aber meine These widerlegt? Hm... Ich wehre mich noch :-) Denn aus meiner Sicht, kommt die Mehrleistung der Devices immer noch nicht "allen möglichen Zwecken" (general purpose computing) zugute. Wenn die Hard-/Software genügend billig ist, dann ist es auch ökonomisch machbar, für unterschiedliche Zwecke unterschiedliche Devices zu bauen und zu kaufen. Das habe ich gemeint. Der Nutzen für die Nutzer: jedes Device ist dann auf wenige Zwecke hin optimiert.

Im Sinne des DRM und der Funktionsbeeinträchtigung von Vista sehe ich die Grenzlinie dann zwischen den Zwecken verlaufen, die geschützten Content verlustfrei anzeigen wollen und solchen, die auf Ressourcen zugreifen wollen, die mit der Rechtewahrung in Konflikt stehen. Innerhalb der durch diese Grenzlinie abgesteckten Arealen kann dann wieder soviel general purpose computing stattfinden, wie man möchte.

Geschützter Content auf einem MP3/Video Device mit Vista sollte dann kein Problem sein.
Geschützter, privater Content auf einem Krankenhausrechner? Das funktioniert dann halt nicht. Halte ich für keinen Beinbruch.

Vistas Beschränkungen werden vor allem also da ein Problem sein, wo man "general purpose" sehr weit fassen will. Und genau das halte ich für die Zukunft für immer seltener den Fall. Video gucken bei der Arbeit an einem Messtisch-PC? Klar - aber nur mit einem eigenen DVD-Player dabei.

Halte ich in Summe für keine Zukunft, über die ich mich länger aufregen kann.

Ich halte weder Microsoft, noch die Medienbranche (Musikverlage, Filmstudios) für "böse". Alle wollen einfach nur Geld verdienen. Und das auch mit digitalem Content, der so anders ist als alles Bisherige. Das finde ich verständlich. Und über das nächste Jahrzehnt hinweg werden wir einen Weg beschreiten, der Konsumenten und Produzenten befriedigt. Im Augenblick befinden wir uns nur eben in einer Stromschnelle. Da wackelt das Boot, einige haben Angst. Aber das kann und wir kein Dauerzustand sein.

Genausowenig wie die Diskussion um die Kopierkosten vor 20 Jahren oder so heute noch ein Problem ist. Papierkopien sind heute einfach billig, wenn man sie denn noch braucht. Die Gründe, warum man sie weniger als vor 20 Jahren braucht sind aber vielfältig. Das Kopierkostenproblem ist aber gelöst.

-Ralf