Eine Allaussage geht um: “Es kann nur sein, wie es ist.”
Unternehmen geht es schlecht, weil der Markt halt so ist, wie er ist; böse Globalisierung. Oder die Mitarbeiter sind halt, wie sie sind; böse Ausbildungsdefizite und Konsumentenhaltung. Daran kann man kaum was ändern. Höchstens sollte man die bisherigen Anstrengungen verstärken: “Nachsitzen”, wenn das Release noch raus muss; mehr Incentives, damit endlich die Softwarequalität steigt; strengere Budgetschrauben, damit alles unter Kontrolle bleibt; weniger Investition in Mitarbeiterfortbildung, weil dadurch wertvolle Zeit zur Kundenwunscherfüllung verloren geht. Usw. usf. ad nauseam.
[Pause]
Mir ist ein wenig übel geworden, da ich diese Litanei geschrieben habe. Die komprimiert und verkürzt zwar, ist aber ein Abbild der Stimmung, die mir in Beratungen, Trainings oder auf Community-Veranstaltungen entgegenschlägt. Früher war vor allem Klagen über Tools oder Microsoft. Veteranengeschichten folgten dann schnell. Wie es damals mit dem C64 war… und die Lochkarten…
Heute scheint das weniger Thema. Vielleicht liegt es auch an meinem neuen Fokus, der nicht mehr auf Technologien, sondern auf Softwarequalität liegt. Heute höre ich Klagen über Arbeitsbedingungen. Immer wieder werden da Mauern beschrieben, gegen die Entwickler laufen, weil sie nicht so dürfen, wie sie wollen. ReSharper darf nicht angeschafft werden: zu teuer. Automatisiertes Testen darf nicht in Anschlag gebracht werden: dafür hat der Kunde nicht bezahlt. Eine Fortbildung darf nicht besucht werden: vier Monate Urlaubssperre, weil die Projekte weit jenseits des Plans liegen.
Dahinter – wie schon gesagt – der Glaubenssatz: Irgendwie kann es nicht anders sein. So ist die Welt halt. Vor allem ist sie kein Wunschkonzert. Dem Schicksal und den Marktgesetzen den ehernen sollte man sich daher ergeben.
Widerlegung
Die Allaussage, der unumstößliche Glaubenssatz wird ad absurdum geführt durch den Nachweis der Existenz auch nur eines Gegenbeispiels.
Wenn es auch nur einmal anders gehen kann, als die Überzeugung diktiert… dann ist die Welt anders als gedacht. Dann ist Hoffnung auch in schlimmsten Zeiten.
Und solche Hoffnung gibt es. Der campus Verlag hat eine mehr als 200 Seite starke Widerlegung des allgegenwärtigen Glaubenssatzes herausgebracht, die Unternehmensverhältnisse könnten kaum anders sein. Ihr Titel: “Nur Tote bleiben liegen” vom Autorenduo Förster und Kreuz.
Gelesen habe ich das Buch, weil Rezensionsexemplare davon im Blog der Autoren an andere Blogger vergeben wurden. Da konnte ich nicht nein sagen ;-)
Gefallen hat mir das Buch aber nicht wegen seiner Kostenlosigkeit für mich. Nein, keine Sorge. Es ist seine “Schwingung”, die gute Laune, der Optimismus, die Hoffnungsfülle, der Gegenentwurf, das Ja zu Neu und Anders, die es für mich zu einer Empfehlung machen.
Ich will deshalb auch gar nicht lange auf den Inhalt eingehen. Man muss es einfach aufschlagen und loslesen. Irgendwo. Jede Seite eine Widerlegung. (Naja, vielleicht übertreibe ich ein wenig ;-) Jede Seite ein Beispiel dafür, dass andere Arbeitsverhältnisse, andere Organisation von Unternehmen möglich ist. Und zwar ganz handfest. Dies ist kein Thesenbuch, sondern eine Beispielsammlung. Förster und Kreuz berichten aus der Realität. Die mag mal fern sein, auf anderen Kontinenten, aber sie ist immer relevant. Auch das ein Effekt der schlimmen Globalisierung. Oder ist die gar nicht so schlimm?
Wer glaub, man können nicht anders umgehen mit der Arbeitszeit oder der Führung oder der Aus-/Fortbildung oder der Kontrolle oder dem Kunden, der schlage dieses Buch auf uns lasse sich eines Besseren belehren. Es geht anders, als die allermeisten Unternehmen es heute tun und meinen nicht anders tun zu können. Irgendwo geschieht schon die kleine oder große Revolution, die Kunden zufrieden macht, Unternehmen prosperieren lässt und Mitarbeiter ganz einfach motiviert.
Internet, Globalisierung, neue Medien, anspruchsvolle Kunden, Digital Natives als Mitarbeiter… das alles und mehr muss keine Bedrohung althergebrachter Ruhe und Ordnung sein. Es liegt an uns, das Glas als halb voll und nicht als halb leer zu betrachten. Die Chancen auf etwas Besseres lauern überall. Das beweist “Nur Tote bleiben liegen” mit einem Feuerwerk an weltweit gesammelten Impressionen.
Im Maul vom Gaul
So empfehlenswert ich das Buch finde, man darf keine Tiefründigkeiten erwarten und auch keine Tipps für die Praxis. Wer von der Lektüre motiviert das Berichtete selbst ausprobieren möchte, ist auf sich gestellt.
Das soll keine Klage sein, sondern nur ein Hinweis, um falsche Erwartungen zu zerstreuen. Förster und Kreuz haben einen hochfrequenten Impulsgeber und Motivator geliefert, kein Handbuch.
Nein, eine tiefergehende Kritik am Inhalt habe ich nicht. Man nehme einfach das Buch für das, was es will und kann. Die knapp 25 EUR für das Hardcover sind nicht zuviel für die Portion Zuversicht, die sich daraus löffeln lässt.
Aber -- denn ohne Aber geht es nicht ;-) -- eines hat mir nicht gefallen. Es ist mir erst nach einiger Zeit aufgefallen, als ich nachfragte, ob es auch eine elektronische Version des Buches gäbe, die ich mit meinem iPad auf den prio.walk hätte nehmen können. Das, was fehlt, ist eben oft schwerer zu erkennen, als das, was da ist.
Nein, ich meine nicht eine eBook-Version oder ein Hörbuch. Beides gibt es.
Ich meine die Abwesenheit von Innovation bei Verlag und Autoren.
Es hat einen Moment gedauert, weil auch ich in Jahrzehnten konditioniert wurde, bei Büchern ersteinmal an Papier zu denken. Aber was für ein Quatsch! Bücher müssen weder aus Papier bestehen noch als zusammenhängendes PDF ausgeliefert werden. Sie müssen auch nicht daheim am Schreibtisch verfasst, zu einem Verlag getragen und dann von einem Vertriebler an den Buchhändler gebracht werden. All das inklusive eBook und Hörbuch ist so Buch 1.0, dass es kaum auszudenken ist. Das ist so un-innovativ und so un-mutig, dass es mich bei diesem Buch erschreckt und enttäuscht hat. Schade.
Warum haben Förster und Kreuz, die als Erfolgsautorenduo genügend Reichweite auch ohne Verlag haben, ihr neues Buch “im stillen Kämmerlein” geschrieben? Sie haben natürlich ein Blog, dessen Inhalte früher oder später wahrscheinlich in der einen oder anderen Weise auch wieder in einem Buch auftauchen werden. Dennoch findet das Schreiben ab von der Öffentlichkeit und somit ab vom Feedback statt.
Wie Buch 2.0 ist dagegen dieser Titel:
Der Autor hat sich schon beim Schreiben dem detaillierten Feedback der Community gestellt, indem er den kompletten Text online veröffentlicht hat – mit der Möglichkeit, absatzweise Kommentare zu geben. Hier ein Auszug:
Das ist Web 2.0 gelebt. Vom Autor wie vom Verlag.
Oder warum haben Förster und Kreuz den potenziellen Rezensenten überhaupt als Default ein Papierbuch angeboten? Warum nicht einen Link auf ein PDF oder einen Kindle-Gutschein? Der ganze Aufwand mit Verpackung und Porto ist überflüssig. Allemal für Rezensenten. Mich interessiert doch nur am äußersten Rand, ob das Papierbuch geschmeidig in der Hand liegt. Auch hier also eine merkwürdige Zurückhaltung in Bezug auf das, was möglich und zukunftsweisend ist.
Wo ist auch das virale Marketing? Warum nicht das Buch launchen im Blog mit einem befristeten kostenlosen Download für jedermann? Von mir aus kann es dabei ja durch Einbinden des Namens des Herunterladenden personalisiert werden.
Oder wenn schon nicht ganz umsonst für eine gewisse Zeit, dann zumindest Zahlen mit einem Tweet. Das ist ja trivial aufzusetzen: http://www.paywithatweet.com/
Nett, dass die Blogeinträge der Rezensenten am Ende von den Autoren zusammengefasst werden. Aber auch das ist letztlich Buch 1.0, weil es auf Zentralisierung setzt.
Oder wie wäre es, das Buch sofort in “Module” zu zerlegen. Und nicht nur dieses Buch, sondern auch die bisherigen von Förster und Kreuz? Dann die Module mit Tags versehen oder in eine Concept Map o.ä. einbinden und ab ins Internet damit.
Dann könnte der Inspiration suchende Leser sich durch das Förster und Kreuz Universum bewegen, online lesen z.B. mit Scribd, sich am Ende sein persönliches Buch aus den interessantesten Modulen zusammenstellen, alles in ein PDF “zusammenschweißen” und das womöglich noch ad hoc in der Auflage 1 für sich z.B. durch www.epubli.de drucken lassen. Das (!) wäre Buch 2.0. Das würde dem amerikanischen Sprichwort “Put your money where your mouth is!” entsprechen.
Aber ich will nicht abschweifen. Dies ist ja nur eine Buchrezension und keine Verlagsberatung ;-) Eine Beratung wäre für viele Verlage wohl auch eher das falsche Mittel, um aus deren Klagehaltung herauszukommen. Da scheint mir eher eine Therapie angezeit. Aber das ist ein anderes Thema…
Also komme ich mal zum Schluss:
“Nur Tote bleiben liegen” finde ich lesenswert, weil kurzweilig und inspirierend. Lockere Schreibe, lockerer Inhalt, macht gute Laune. Einfach mal auf den Wunschzettel für Weihnachten setzen – oder gleich dem Chef schenken ;-)
Denn wer sagt, es ginge nicht anders in den Unternehmen, Erfolg und Zufriedenheit seien nur mit Verstärkung tradierter Maßnahmen – Management 1.0 – zu erreichen oder gar nicht, der findet in diesem Buch einen bunten Strauß an Widerlegungen.
Und ganz vielleicht sind Förster und Kreuz ja beim nächsten Buch auch selbst mutiger. Raus aus der Komfortzone gilt nicht nur für die, über die sie berichten, würd´ ich mal sagen.