Wie sollte, wie kann Product Ownership aussehen? Stefan Rook hat dazu einen Vortrag gehalten:
Product Ownership hat also viele Gesichter. Diese Botschaft hat mir an dem Vortrag gefallen. Mir hat allerdings auch etwas gefehlt. Nämlich die Abstraktion. Was ist das Muster? Worum geht es im Kern?
Mag sein, dass das schon allen klar ist. Meine Erfahrung ist jedoch, dass die meisten Unternehmen genau da jedoch herumeiern. Denn wäre es ihnen klar, würde sich die Ermunterung von Stefan Rook, Product Ownership durchaus unterschiedlich zu leben, erübrigen.
Hier mein Versuch einer Abstraktion:
Die Hauptaufgabe des Product Owners (PO) nach Anschauen des Vortrags ist… die Priorisierung von Anforderungen.
Bei Wooga haben die Teams in einem Rahmen alle Freiheit und tun das selbst; in den Teams ist es der Product Lead, denke ich mal, der dafür verantwortlich ist, aber wohl sehr eng mit seinen wenigen Teamkollegen in dieser Hinsicht zusammenarbeitet.
Bei Jimdo ist es der Manager mit dem PO-Hut auf.
Bei der Zeitung gibt es dafür die Berechnungsvorschrift im Tagesgeschäft, die vom PO verwaltet wird.
Immer gibt es eine Reihe von Stakeholdern mit Wünschen; immer müssen diese Wünsche mit begrenzten Ressourcen erfüllt werden; also muss immer priorisiert werden. Ohne Priorisierung gibt es keine geordnete, verlässliche Umsetzung.
Ziele
Die besprochenen Szenarien unterscheiden sich darin nicht, sondern in der Zahl der Ziele, auf die hin die Wunscherfüllung priorisiert werden muss. Bei Wooga gibt es viele gleichzeitige Ziele; jedes Projekt hat seines. Bei Jimdo und der Zeitung hingegen gibt es nur eines.
Jedes Ziel hat viele Stakeholder und braucht daher einen PO der deren Wünsche auf die eine Umsetzungsressource hin priorisiert.
Wenn Sie Ihre PO-Strategie nun überdenken wollen, dann fragen Sie sich: Welche Ziele gibt es? Jedes verdient einen PO.
Gewichtung
Der PO hat in Bezug auf ein Ziel hin die Kompetenz (und Erlaubnis) zur Priorisierung. Und wie macht er das? Bei Wooga und Jimdo erfahren wir nichts darüber. Das kann “nach Gefühl und Wellenschlag” gehen. Bei der Zeitung hingegen, wird eine Formalisierung angedeutet. Dort wird “ohne Zorn und Eifer” priorisiert; alle Stakeholder stehen “im fairen Wettstreit”. Solange sie ihre Wünsche ehrlich in verschiedenen Kategorien bewerten, ergibt sich eine vorteilhafte Hitliste von Wünschen.
Dieser Unterschied ist für mich deutlich genug herausgekommen: Priorisierung kann mehr oder weniger formal geschehen. Jedes Unternehmen muss sich also fragen, wie nachvollziehbar die Priorisierung sein soll (oder auch kann).
Noch betrüblicher fand ich dann, dass die Bewertung bei der Zeitung so stehengelassen wurde. Als seien die Bewertungen gleichzeitig die Prioritäten.
Der PO als Herr über den ROI. Das wurde schon am Anfang gesagt. Kann er diese Aufgabe mit den Bewertungen in der Hand aber erfüllen? Nein.
Die Bewertungen, also Wertzuschreibungen die mehr oder weniger direkt auf erwartete verringerte Verluste oder vergrößerte Umsätze/Gewinne verweisen, sind nur ein erster Input für die Priorisierung. Schön, wenn Anforderung A bei Umsetzung 100.000 EUR einbrächte. Aber über welchen Zeitraum – und vor allem: mit welchem Aufwand?
Leistung ist nicht Arbeit und auch nicht Arbeit mal Zeit, sondern Arbeit pro Zeit. Die Aufgabe des PO bei der Priorisierung ist es, die Leistung zu optimieren. Die besteht darin, möglichst viel Wert mit möglichst wenig Aufwand zu schaffen.
Dieser Gedanke steckt auch in der Priorisierung mit “Weighted Shortest Job First” (WSJF). Einem Wert wird dort ein Aufwand gegenübergestellt, so dass sich ein Gewicht ergibt. Je gewichtiger dann ein Wunsch, desto eher sollte er umgesetzt werden.
Ein Wert von 100, der mit einem Aufwand von 10 realisiert werden kann (Gewicht: 100/10=10), hat ein geringeres Gewicht, als ein Wert von 50, der mit einem Aufwand von 4 realisierbar ist (Gewicht: 50/4=12,5).
Wie Wert und Aufwand ermittelt werden, ist von Ziel zu Ziel verschieden. Das finde ich wichtig herauszustellen. Um die Priorisierung gewissenhaft vornehmen zu können, muss ein PO also Wertmaßstäbe und Aufwandsmaßstäbe definieren.
Wer dann entscheidet, “das mache ich aus dem Bauch heraus”, muss nicht falsch liegen. Nachvollziehbar ist das jedoch kaum. Und was das für flüssige Kommunikation und Vertrauensaufbau bedeutet, kann man sich denken.
Aber… warum soll es nicht Situationen geben, wo das (zunächst) ausreicht? Entscheidend ist, dass man sich einmal dazu Gedanken gemacht hat – und in Retrospektiven die Annahmen immer wieder überprüft.
Abnahme
Am bedauerlichsten fand ich, dass der Vortrag nichts über die Aufgabe des POs als schließende Klammer der “Wertproduktion” gesagt hat. Es wurden nur Varianten der öffnenden Klammer gezeigt. (Was allerdings in der Tradition der Scrum-Darstellungen ist, die vor allem Backlog und Planning betonen – das Review bzw. die Abnahme demgegenüber jedoch vergleichsweise schwach ausleuchten.)
Das halte ich für einen Kardinalfehler, weil sich genau hier nämlich immer wieder das größte Problem von POs zeigt: Sie glauben, sie könnten Anforderungen “über den Zaun kippen” und bekommen dann “wie versprochen” Wert geliefert.
Das ist der Ansatz “Stopfgans”. Da hilft auch nicht, am Anfang in schönem Einvernehmen mit Entwicklern über User Stories zu diskutieren.
Wenn der PO nicht an der “Wertschöpfung” zieht, entsteht kein rechter Fluss.
Hier spekuliere ich mal in Bezug auf die vorgestellten Szenarien: Bei Wooga und Jimdo ist das kein Problem, weil der PO besonders eng-agiert an den Entwicklern dran ist. Abnahme passiert hier ständig. Das große Ziel ist auch allen klar. Hohe Kohärenz der Energie aller Beteiligten. Bei Wooga nehme ich sogar an, dass die Entwickler wie bei Open Source Projekten z.T. ihre eigenen Kunden sind.
Schön, wenn das so ist – nur muss man eben wissen, warum es funktioniert. Co-location reicht da nicht aus. Es kommt auf den Willen des PO an.
Wie es bei der Zeitung ist, kann ich nur ahnen. Die Priorisierung ist explizit. Schön. Aber wie ist die Abnahme? Zieht da jemand an Wert? Wie groß sind die Brocken, die in die Entwicklung hineingekippt werden? Nach meiner Erfahrung mit größeren Unternehmen vermute ich, dass das nicht so einfach fließt wie bei Wooga und Jimdo. Man glaubt eher, dass “Reinkippen” schon ein Garant dafür ist, dass auch etwas rauskommt.
Aber ich kann nicht beurteilen, wie es dort ist. Ich kann nur betonen, wie wichtig eben die schließende Klammer Abnahme bei der Softwareentwicklung ist. Automatisierte Akzeptanztests sind nicht genug. Ein Mensch auf 2 Beinen erzeugt viel mehr Zug als ein paar Tests, die auf grün gehen müssen.
Der PO ist für mich die wichtigste Rolle in der Softwareentwicklung. Angesichts dessen, welch feste Strukturen in der Codierung entstehen und wie schwer es ist, dafür gute Leute zu finden, ist die Qualitätssicherung bei den Anforderungen immens wichtig. Vor der Codierung und nach der Codierung. Einen PO einzusetzen ist eine Maßnahme im Sinne des 3. Fokussierungsschritts der Theory of Constraints (TOC).
Ohne PO ist die Codierung der Engpass der Softwareproduktion. Mit PO… wird allerdings schnell der PO zum Engpass. Daher bin ich nicht überzeugt, dass das Jimdo-Modell oben auf der Liste zur Nachahmung stehen sollte. PO sein ist ein Vollzeitjob (außer bei trivialen Zielen). PO+Entwickler oder PO+Geschäftsführer sind für mich Anti-Patterns.
Bottom line
Ich stimme Stefan Rook zu, dass Product Ownership viele Gesichter haben kann. Welches zu einem Unternehmen passt, muss sich jedoch aus der Beachtung von Prinzipien ergeben:
- Anforderungen im Rahmen eines Ziels müssen auf dem Weg zu den “Transformatoren” durch 1 Instanz gehen, den PO. Er ist die “single source of truth”.
- Der PO priorisiert durch Gewichtung in angemessener Nachvollziehbarkeit. Er stellt dafür Wert und Aufwand gegenüber.
- Was im System zur Umsetzung ist, muss möglichst schnell aus dem System herausgezogen werden. Erst dann entsteht Wert. Die vornehmste Aufgabe des PO ist daher der Zug am Ende der Produktionskette, die Abnahme. Die muss ab-so-lut verlässlich geschehen.
Im Rahmen dieser Prinzipien können Sie jede Form des Product Ownership wählen. Form Follows Function. Oder sie fragen sie mit diesen Prinzipien in der Hand, was Ihrem heutigen Product Ownership womöglich noch fehlt.
2 Kommentare:
Hallo Herr Westphal
Ein sehr schöner und treffender Kommentar zur Rolle des POs! Ein kurzer Kommentar meinerseits...
Dem PO werden oft viele Aufgaben und Verantwortungen angedichtet: ((Gesamtmenge aller Aufgaben) minus (Coding/Testing)) minus (Prozess). Scrum hat gute Ideale und Instrumente, aber ist aufgrund seines sehr groben Rollenmodells (PO-SM-Team) definitiv keine Hilfe bei der Aufgabenverteilung im Team - und dazu zähle ich auch den PO;-). Denn es ist wesentlich einfacher Kleines zusammenzufügen, als Grosses zu teilen.
So soll der PO planen, US identifizieren, Anforderungen schreiben, auch gerne mal klar spezifizieren, Kunden abholen, entscheiden, Wissen vermitteln, abnehmen, und, und, und. Wenn man dann nebenbei 1/3 der Zeit noch für weitere, natürlich auch wichtige Aufgaben aufwendet, dann verliert man Kontrolle; über die täglichen Geschehnisse, über den Sprint, über die Leute, über sich. So ist es bei mir geschehen - fast. Doch Scrum trifft nicht die Schuld - hilft einfach auch nicht wirklich.
So habe ich im konkreten Kontext Verstärkung angefordert (pfeif) und konzentriere mich nun aufs Wesentliche: Planung, US lesen, priorisieren, abnehmen. Den Rest überlasse ich fachlichen Experten. Das hat zu Beginn sehr geschmerzt - schlussendlich aber sehr geholfen.
a) Planung: Von Grobplanung und genauerer Planung
Ich plane Themenblöcke für die nächsten 8 Monate, denn man muss ja auch Ideen für Themenbereiche erarbeiten, prüfen, grobe Konzepte, Skizzen haben - geht nicht von heute auf morgen und man möchte das ja auch mal den Kunden erzählen. Genauer geplant wird dann für die nächsten 8 Wochen: Liste mit sortierten US - so viel wie reinpasst. Der Rest geschieht dann einfach.
b) US durchkauen und priorisieren
Lesen, verstehen, wegstreichen, auf später verschieben. Der Schreibende schreibt immer zu viel - immer. Hier hat sich die Gewaltentrennung bewährt - einer schreibt, der andere liest. Wenn die Person auch gleichzeitig plant, so kann er das Verschobene gleich an der richtigen Stelle wieder einplanen.
Was nicht verständlich aufgeschrieben ist, ist nicht verstanden, was nicht verstanden ist, ist nicht realisierungsbereit oder Ready. Die Schriftlichkeit befördert das zu Tage - schonungslos. Insbesondere, wenn man nur zwei Seiten schreiben darf.
c) Abnehmen
Ich versuche den Entwicklern klarzumachen, dass ich sehnlichst auf die schöne Funktionalität warte, mich freue. Wenn sie dann vorliegt, prüfe ich das kurz gegen die US, nehme nochmals Distanz ein und frage mich nochmals: passt's?
Abnehmen heisst dem Entwickler die Aufgabe abzunehmen. Er wird sie los - ich bekomme sie - hurra.
Weniger ist mehr!
@René: Danke für die ausführliche Schilderung deiner Arbeitsweise. Da kann sich so mancher PO etwas abschauen.
a) und b) zusammen nenne ich "Story Development". Das ist außerhalb von Scrum (im Sprint Planning kann das nicht stattfinden, dafür ist es zu umfangreich), ist aber sehr wichtig.
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