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Samstag, 29. November 2014

Die Nachwuchskatastrophe - 0% der Mädchen wollen in die Softwareentwicklung

Der Nachwuchs für die Softwareentwicklung ist männlich. Zu 100%. So scheint es derzeit nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts.

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0% der befragten Mädchen zeigte Interesse daran, einen Beruf im “Computer, IT-Bereich” zu wählen. Das betrifft auch die Softwareentwicklung.

Das ist eine Katastrophe!

Gründe zur Sorge

Warum ist das eine Katastrophe? Ich sehe da mindestens zwei Gründe:

  • Software ist der “Treibstoff” der Zukunft. Ohne Software geht nichts mehr und zukünftig noch weniger. Wir haben heute schon zu wenige Softwareentwickler. Das Verhältnis kann dann nur noch schlechter werden, wenn morgen der Bedarf an Software weiter steigt und gleichzeitig - zumindest in Deutschland - der Arbeitskräftemarkt in den nächsten 10 Jahren um bis zu 15% schrumpft. Offshoring ist doch keine wirkliche Lösung. Auch Flüchtlinge der einen oder anderen Art zu Softwareentwicklern fürs homeland umzuschmieden, ist doch auch keine Lösung. Wir brauchen schlicht mehr an dieser Arbeit interessierte Menschen beiderlei Geschlechts aus und in unserer Gesellschaft. Das ist schwierig genug. Wenn sich jetzt aber herausstellt, dass 50% des Potenzials schlicht verloren ist… Dann ist das eine Katastrophe. Uns geht der “Treibstoff” für unsere Unternehmen aus.[1]
  • Softwareentwicklung ist schon lange keine Sache mehr für einsame (männliche) Hacker. Jedenfalls nicht, wenn man nachhaltig Software bauen will. Softwareentwicklung braucht ein Team. Und Team braucht Vielfalt. Mehr Vielfalt als ein Fußballteam. Denn die Sache, um die es geht, ist komplexer und es hängt mehr von ihr ab. Zu Vielfalt gehört selbstverständlich, dass beide Geschlechter vertreten sind. Manager rufen gern Kriegsmetaphern auf, um ihre Arbeit zu beschreiben und sich zu rechtfertigen. Doch schon lange ist klar, dass der Erfolg für alle größer ist, wenn man nicht im Kampf miteinander steht, sondern kooperiert. Kooperation, gemeinschaftliches Schaffen, d.h. auch Empathie sind jedoch eher mit einer weiblichen Sicht der Dinge verbunden als mit der männlichen. Bei aller Gleichberechtigung, die wir schon erreicht haben mögen, ist eine Ungleichheit in der Herangehensweise ans Leben zwischen Frauen und Männern nicht wegzudiskutieren. Und warum auch? Warum soll alles gleich sein, nur weil alle gleichberechtigt sind? Lassen wir zu, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind - und zusammen ein Ganzes ergeben.[2] Softwareentwicklung ist eine Arbeit, die solches Ganzes braucht. Denn es geht nicht um Maschinen, die nach Plan von muskelbepackten Männern im Schweiße ihres Angesichts zusammengeschraubt werden müssen. Es geht um sich ständig ändernde Prozesse, es geht um Komplexität, es geht um Verständnis (mindestens des Kunden) uvm. Das alles profitiert davon, Weiblichkeit im Team zu haben. Mehr Weiblichkeit als bisher jedenfalls. Wenn sich 0% der Weiblichkeit für die Softwareentwicklung interessieren, dann ist das also eine Katastrophe.

Was tun?

Die Katastrophe hat natürlich schon begonnen. Eine Generation ist bereits verloren. Und kein Wunder: Wenn ich mir das Gymnasium meiner Tochter ansehe, dann weiß ich, warum weder sie noch ihre Freundinnen für Softwareentwicklung interessieren. Es wird nichts dafür oder sogar alles was möglich ist, dagegen getan. Fächerkanon wie vor 50 Jahren. Bis zu diesem Jahr keine Erlaubnis, den Girls Day zu besuchen. Da hilft auch kein Studiensaal mit Laptops und Powerpoint-Präsentation in Geografie. Verständnis für den “Treibstoff” wird nicht geweckt. Nirgends.

Dabei ist dort mit Sicherheit Potenzial. Neulich habe ich meiner Tochter mal Lightbot aufs iPad geladen. Das hat sie besser gespielt als ich. Man(n) muss halt Angebote machen… Aber das ist natürlich schwer, wenn schon männliche Lehrer sich vom normalen Curriculum überfordert fühlen und ansonsten mindestens 7 Jahren Bildungsvermittlung in formativen Jahren (Kindergarten und Grundschule) zu min. 85% durch Frauen stattfindet.

Aber genug der Klage. Was könnten wir denn tun, um Mädchen für die Softwareentwicklung zu begeistern?

Am besten beginnen wir mit dem Verstehen. Quasi Anforderungsanalyse. Das können wir doch, oder? ;-)

Laut Studie ist es

[f]ür fast die Hälfte der befragten Mädchen […] wichtig, anderen Menschen zu helfen […]

Außerdem

[…] wollen [Schüler] sich in ihrem späteren Beruf vor allem selbst verwirklichen (87 Prozent), das steht noch vor dem Wunsch nach einem gut bezahlten (75 Prozent) und sicheren (71 Prozent) Arbeitsplatz.

Das wollen Mädchen? Anderen helfen und sich selbst verwirklich bei ordentlicher Bezahlung in realistischer Arbeitsplatzsicherheit?

WTF! Das können sie doch in der Softwareentwicklung haben. Oder nicht?

“Anderen Menschen helfen” bedeutet für Mädchen offensichtlich nicht, dass sie alle Krankenschwestern und Pflegerinnen werden. Sonst hätten wir da keine Nachwuchsprobleme. Sie ergreifen also andere Berufe. Sie werden Verkäuferin, Bankangestellte, Busfahrerin, Steuerberaterin usw. usf.

Aber, Leute, ehrlich, das sind doch keine Berufe, in denen man sehr speziell “Menschen hilft”. Klar, Frauen gehen in solche Berufe. Lehrkräfte sind zu 67% Frauen. Sie sind auch Sozialarbeiterinnen und Hebammen. Doch sie arbeiten eben auch in ganz anderen Berufen. Das Motiv “Menschen helfen” zieht für mich also nicht so ganz. Denn dann müssten viel mehr Mädchen auch Bestatterinnen werden wie meine Ex-Frau. Da kann man Menschen sehr unmittelbar helfen.

Oder es müssten mehr Mädchen Softwareentwicklerinnen werden. Denn da können sie auch Menschen helfen. Da sind Kollegen, denen immer wieder geholfen werden muss. Gerade in cross-functional Teams. Da sind Kunden, denen man im unmittelbaren Kontakt helfen kann, indem man sich um Verständnis bemüht und dann auch noch nützliche Software herstellt. Und da sind Anwendungen in der Medizintechnik oder für Behörden, die den Menschen helfen, für die die Anwender da sind.

Und wie steht es mit der Selbstverwirklichung, den Verdientschancen und der Arbeitsplatzsicherheit? Angesichts der Automatisierungsrevolution die in den nächsten 10 Jahren anrollt, sollte klar sein, dass Softwareentwicklung ein relativ sicherer Hafen sein wird. Es geht nicht mehr nur um Roboter, es geht um Expertensysteme aller Art. Die bringen Berufe in allen Teilen des Spektrums unter Beschuss: vom Taxifahrer bis zum Bankangestellten und darüber hinaus.

Bei der Softwareentwicklung hingegen sehe ich da noch keine große Gefahr. Auch neue Tools werden unsere Köpfe nicht ersetzen. Der Bedarf an Software wird den Produktivitätsgewinn mehr als auffressen. Die Softwarekrise ist nicht vorbei. Sie fängt womöglich sogar erst an.

Das kann sich auch nur positiv auf Gehälter und “Selbstverwirklichungsmöglichkeiten” auswirken, würde ich sagen.

Wo ist also das Problem? Softwareentwicklerin ist ein für Mädchen attraktiver Beruf. Jedenfalls, wenn man die angegebenen Motive für die Berufswahl ernst nimmt. Wir müssen nur lernen, das darzustellen. Wir müssen uns bemühen, an die Vorstellungen von Mädchen anzuschließen. Es braucht Rollenmodelle, es braucht eine Imagekampagne.

Da muss man sich ein bisschen Mühe geben. Mehr als bei dem grauslichen Barbie-Comic, der gerade durch die Medien geistert. Aber das sollte doch zu machen sein, oder? Warum nicht die Frauen fragen, die schon Softwareentwicklerinnen sind?

Nur wer ist für soetwas der Ansprechpartner? Große Firmen - aber nur in einem Zusammenschluss, sonst kommt etwas zu sehr auf ein Unternehmen Zugeschnittenes heraus. Ein Verband fehlt leider bisher. Medien? Ein Ministerium? Am besten wohl alle zusammen.

Was Mädchen wollen - Ein Versuch

Aber vorher müssen wir wohl noch besser verstehen, was Mädchen wirklich, wirklich wollen. Denn ich glaube, das drücken die genannten Motivbeschreibungen nur ungenügend aus.

Ich versuche mal, hinter die Begründungen zu schauen und spekuliere auf der Basis dessen, was ich so von außen in der Welt erkennen kann:

  • Mit “anderen Menschen helfen” ist nicht gemeint, echt Bedürftigen zu helfen. Ich glaube, es geht um etwas viel Allgemeineres: Beziehungen. Mädchen ist der direkte Umgang mit etwas Lebendigem (Mensch, Tier, Pflanze) wichtig. Ihr Interesse ist insofern eher nach außen gewandt, umweltbezogen. Männer die auf Maschinen starren, Frauen die mit Menschen reden. So könnte man es vielleicht überspitzt ausdrücken. “Helfen” ist also nicht so wichtig wie Dialog.
  • Mit “sich selbst verwirklichen” ist gemeint, sich immer wieder neu zu entscheiden. Mädchen wollen sich nicht auf eine Berufskarriere festlegen. Sie sind natürlich nicht mehr zufrieden mit “Hausfrauendasein”. Aber sie möchten die Idee einer Familie auch nicht dem Beruf opfern. Dazu braucht es Flexibilität: Der Beruf muss ermöglichen, eine Zeit lang zu arbeiten und dann zu pausieren und dann auch wieder anzufangen, womöglich in Teilzeit. Arbeitgeber und Metier müssen das hergeben.

In “manifest speak” ließe sich das vielleicht so zusammenfassen:

  • Communication over technology
  • Flexibility over career

Ha! Das ist knackig.

Und ließe sich das denn nicht einrichten? Keine Chance, dass sich Softwareentwicklung so darstellen bzw. sich dahin entwickeln ließe?

Wenn es da Schwierigkeiten geben sollte, dann nicht, weil die Softwareentwicklung so nicht sein kann. Nein, Schwierigkeiten sehe ich nicht im Metier, sondern nur im Willen von Unternehmen (und vielleicht einzelner Entwickler, die um einen Nimbus fürchten).

Die Nachwuchskatastrophe lässt sich also abwenden - wenn wir wollen. Ich denke, die Softwareentwicklung kann für Mädchen mindestens so attraktiv sein wie das Bankenwesen oder die Betriebswirtschaft oder das Behördenwesen. Wenn nicht sogar attraktiver, oder? Das können wir doch hinkriegen, my fellow men.


  1. Unternehmen mögen noch nicht glauben, dass Software so wichtig ist. Aber das wird sich noch verändern. Selbst der letzte mittelständische Maschinenbauer wird verstehen, dass der Milliardenumsatz seines 700 Mitarbeiter Unternehmens von den 15 Leuten in der ungeliebten Softwareabteilung abhängig ist. Man könnte fasst revolutionspoetisch werden: “Alle Räder stehen still, wenn der Programmierer es so will.” Der Hebel, den die Softwareentwicklung hat, ist sehr lang.

  2. Was nicht bedeuten soll, dass irgendwelche Attribute zwanghaft irgendeinem biologischen Geschlecht zugeordnet werden sollen. Männer dürfen, nein, sollen natürlich auch empathisch sein und Frauen tough. Je nach Neigung und Situation. Das ändert jedoch nichts daran, dass im Durchschnitt gewisse Eigenschaften eben doch nach biologischem Geschlecht unterschiedlich verteilt sind. (Womit ich keinen Kausalzusammenhang unterstellen will, sondern nur beschreibe, was ich sehe. In die nature vs nurture Debatte möchte ich hier nicht einsteigen.)

9 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Hier schreibt ein Mädel.
Zwar eines, dessen Abitur schon 12 Jahre her ist, aber dennoch hab ich mal versucht, zu reflektieren, warum ich in den ganzen Jahren am Gymnasium nie mit Informatik in Berührung gekommen bin.
Das thema beschäftigt mich aktuell, da ich über Umwege auch in der Softwarebranche gelandet bin - jedoch nicht als entwicklerin, sondern als Product owner.

Ich habe drei Gründe gefunden, warum das mit mir und IT nie was geworden ist.

1. Ich hätte mir das niemals zugetraut. Und da glaube ich, bin ich nicht allein.
Ich denke, dass Mädels dazu tendieren, sich von Natur aus zu unterschätzen. In meinem fall war es so, dass ich ein ziemlicher Vollpfosten war, was Mathematik angeht. Und es wurde immer gesagt: IT ohne Mathe, no way!
Also stand das für mich nie zur Debatte. Ebensowenig wie astrophysik.
Bei vielen Mädels trifft sicher das zu, was du schreibst, dass Mädels "helfen" wollen. Und da wird IT eben gar nicht erst in dem Bereich gesehen.

2. Es gab wohl einen Informatik-Wahlkurs. Der hatte aber ein, hm, ich will mal sagen, nerdy image. Da hätte ich, gefühlt, nie reingepasst. Ich hatte den Eindruck, das sei den Hochintelligenten vorbehalten. Eine eingeschworene Gemeinde. Was hätte ich da gesollt?
Dann noch ein verstaubter Lehrer obendrauf - und bingo, abschreckungsstrategie at its best! ;-)

3. Abgesehen von den Freaks und Nerds fehlen schlicht die Berührungspunkte mit IT in der Schule. Ich wusste gar nicht, was man da alles Cooles machen kann. Woher auch?
Es fehlt ein Einblick in den Alltag einer EntwicklerIN, damit die Schülerinnen mal sehen, wie und wo da geholfen wird.
Das kann aber der schulalltag nicht leisten.

Insofern, Ralf, stimme ich dir voll zu - da muss man ansetzen und zwar am Besten in Form eines Zusammenschlusses von Unternehmen, Einzelpersonen, Politik, zur Verfolgung des Ziels, Mädels für Informatik zu begeistern.
Da wird sich in Zukunft sonst ein echtes Defizit zeigen.

Also, worauf noch warten?
Das wäre doch ein Projekt für dich für 2015?!
Ralf to the rescue! Yeah! :-)

Anonym hat gesagt…

Hier ein kontroverser Beitrag. Der Nachwuchsmangel ist (von der Gesellschaft und den Unternehmen) aus folgenden Gründen selbstgemacht.

1. Technikbegeisterte Kinder halten viele Pädagogen und Eltern für Nerds und "computersüchtig". Ihnen wird die Beschäftigung mit Computern und damit mit der Technik verboten.

2. Durch G8 wurde insbesondere der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht gekürzt. G8 wurde auch von den "Unternehmen" gefordert nach dem Stichwort "Jüngere Ingenieure für das Land".

3. Die Bezahlung stagniert seit langer Zeit. Verglichen mit anderen Mangelberufen, z. B. Piloten und Ärzten, ist sie eher gering. Die Bezahlung ist allerdings im Vergleich zu vielen sozialen Berufen noch gut.

4. In der Gesellschaft haben technische Berufe, Informatik und Ingenieure ein geringes Ansehen (siehe Punkt 3). Häufig muss man sich rechtfertigen überhaupt einen technischen Beruf auszuüben. Und dafür auch noch Geld zu verlagen!

5. IT-Leistungen werden überall in der Welt zum niedrigsten Preis eingekauft. Sie sind leicht auszulagern. Warum sollen die Mädchen in eine sterbende Branche gehen?

Ich warte auf eine Replik.

Anonym hat gesagt…

Hallo!

Ich bin auch ein Mädel und arbeite seit ca. 17 Jahren als Software Entwicklerin.
Was in meinen Augen gaaanz wichtig ist, ist die Kreativität, die Vielfalt und das "weite Feld", dass die Informatik ausmacht.

Kreativität bringen die absolut allerwenigsten (und vor allem Mädels) mit IT in Verbindung und genau das ist es, was es für mich so reizvoll macht. Kein Stillstand, keine Routine, immer was neues, Ideen sind gefragt, der Kopf (und jaaa, auch das Herz) wird benutzt :-)

Definition von Kreativität (aus Wikipedia):
Kreativität wird ganz allgemein als die Erschaffung neuer und brauchbarer Formen definiert (Amabile 1996). Guilford bezeichnet als kreativ jede neue, noch nicht da gewesene, von wenigen Menschen gedachte und effektive Methode, ein Problem zu lösen beziehungsweise die Miteinbeziehung von Faktoren wie Problemsensitivität, Ideenflüssigkeit, Flexibilität und Originalität. Demzufolge wäre Kreativität die zeitnahe Lösung (Flexibilität) für ein Problem mit ungewöhnlichen, vorher nicht gedachten Mitteln (Originalität) und mehreren Möglichkeiten der Problemlösung (Ideenflüssigkeit), die für das Individuum vor der Problemlösung in irgendeiner Weise nicht denkbar ist (Problemsensitivität).... etc

Meine Freundinnen bezeichnen sich fast alle als kreativ, nur trauen sie sich einfach nicht zu, "so etwas" überhaupt zu verstehen, haben Berührungsängste, wollen nichts "kaputt machen" und "können es ja eh nicht, so wie Mathe & Co".
Das sind leider häufig sehr, sehr fest einzementierte Glaubenssätze, die die Mädchen daran hindern, an sich zu glauben und sich zu "trauen", Spaß an Informatik zu entwicheln.

Ich selbst bekomme leider immer noch sehr oft zu hören: "Das ist ja ein ungewöhlicher Job für ne Frau."

Wäre schön, wenn sich das ändern ließe und lieber Ralf, wenn ich irgedetwas dazu beitragen kann, sag bescheid :-)

LG aus FFM
Christina

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Anonym:

Zu 1.: Das Technikbegeisterung zu Techniverbot führt, sehe ich nicht. Dass aber nicht jede Nutzung von Technik auch Technikbegeisterung ist, sehe ich sehr wohl. Ein 14jähriger Gamer, der bis nachts dran sitzt, hat für mich nicht unbedingt den Anstrich eines Bastlers.

Wenn Verbot, dann weniger wg Technik, sondern wegen "übermäßigem Konsum von Unverständlichem". Das gibt es genauso mit Musik.

Den Jungen/das Mädel, dem der Computer verboten wird, weil daran zu lange programmiert (!) wird, möchte ich kennenlernen.

Nein, ich denke, das Problem beginnt früher. Es gibt diese bastelnden Jungen (wie Mädchen) nicht (mehr). Computer wird heute konsumiert, nicht auseinander genommen.

Mein Vater hat Radios auseinander genommen. Ich habe sie schon nur noch konsumiert. Dafür habe ich Computer auseinander genommen. Die werden heute nur noch konsumiert.

Dass Pädagogen wie Eltern nicht um das Potenzial für sinnvolle Beschäftigung mit Computern wissen, ist dennoch unbestreitbar, denke ich. Viele Pädagogen sind ahnungslos - und kokettieren damit auch noch. (Ehemalige Klassenlehrerin von meiner Tochter: "Ich benutze doch kein Handy!" - als die Eltern ihr eines schenken wollten, um bei Klassenfahrten in Notfällen besser kommunizieren zu können.)

Zu 2: Dass Mathe gekürzt wurde, sehe ich nicht. Derselbe Stoff in kürzerer Zeit. Vor allem: derselbe irrelevante Stoff. Die Kinder haben keinen Bezug zu dem, was da vermittelt wird - bis in die Oberstufe. Da wird nur gepaukt.

Wofür? Um eine bestimmte Art des Denkens/der Weltsicht zu vermitteln. Grundsätzlich keine schlechte Idee - aber ist das heute noch der richtige Weg? Das bezweifle ich.

Eine Informationsgesellschaft, die nicht oben auf der Lehrplanagenda stehen hat, wie Informationen verarbeitet werden und die Kinder darin anleitet, hat etwas grundlegend nicht begriffen. Entweder kann sie keine angemessenen Lehrpläne gestalten - oder sie ist unehrlich mit sich selbst, weil sie eben doch keine Informationsgesellschaft sein will.

Zu 3: Ob die Bezahlung stagniert, finde ich zweitrangig. Erstrangig ist, ob man für einen angenehmen Lebensstil genug bekommt. Das scheint mir so zu sein.

Erik Meijer möchte Entlohnung auf Spitzensportler/Rock Star Niveau für SWentwickler. Das ist natürlich illusorisch. Oder die Realität: denn manche bekommen irres Geld in Form von Aktienoptionen - dafür krebsen andere am Existenzminimum. Und das ist in der Musikbranche genau dasselbe.

Ich würde sagen, die Bezahlung ist pretty decent. Vom Geld her lieber Fachinf Anwendungsentwicklung als Bäckereifachverkäufer. Oder?

Zu 4: Dass technische Berufe ein geringes Ansehen in unserer Gesellschaft hätten, ist nicht meine Erfahrung. Ich kenne niemanden, der sich rechtfertigen musste, weil er/sie Ingenieur oder Physiker oder Mathematiker werden wollte.

Etwas anderes ist, ob diese Berufe sexy, cool, beneidenswert oder so sind. Das sicher nicht. Mit ihnen ist der Nimbus von "schwierig", "trocken", "langweilig" verbunden. Das (!) ist ein Übelstand.

Außerdem: Viele trauen sich sowas nicht zu. Auch schlimm - und wird wohl früh angelegt.

Zu 5: Dass offshoring alle Gehälter kaputt macht, sehe ich nicht. Der Trend scheint sich erstens eher umgekehrt zu haben. Zweitens werden die Billiglohnländer mit der Zeit auch teurer. Drittens ist der Bedarf hier vor Ort so groß, dass ich nicht sehe, dass eine Branche stirbt.

In der U-Bahn werben Innogames & Co für Entwickler. In den Diskussionsgruppen bei XING (zu Clean Code Developer oder Lean SW Development) brummen die Stellenangebote. Es wird händeringend gesucht.

Bottom line: Heim und Schule legen eine Menge nicht an oder machen es kaputt, was Mädchen (und Jungen) zur Softwareentwicklung bringen könnte.

Dass Mädchen rational gegen die IT entscheiden, weil ihre Analyse ergeben hat, dass es sich um eine sterbende Branche mit schlechten Gehältern handelt, scheint mir am allerwenigsten der Fall.

claudia lange hat gesagt…

Frauen in der Informatik?Warum sie so selten sind.


Da ich selbst eines der seltenen Exemplare bin, suche ich hier mit nach einer Erklärung. Zunächst einmal war ich schon im Studium (2002-2006 an der HTW in Saarbrücken) ziemlich alleine unter Männern. Jetzt im Berufsleben auch. Warum ist das so, und warum ändert sich das nicht, wenn die Statistik von Ralf die bittere Wahrheit abbildet?


Als erstes möchte ich eine Frage aufwerfen, die mich zu diesem Thema schon immer umtrieb: Die HTW hat eine Kooperation mit einer französischen Hochschule. Die Vorlesungen mit den Franzosen zusammen hatten einen Frauen-Anteil von 30%. Ist das Dilemma ein Deutsches Phänomen?


Ralph fordert mehr Flexibilität im Beruf. Ich glaube nicht, dass das ein KO-Kriterium für eine junge Frau ist, sich für ein technisches / Informatik-Studium zu entscheiden.


Ich glaube, dass ganz massiv, am Ruf der Informatik gearbeitet werden muss, aber solange da keine Image-Kampagne das Berufsfeld für junge Frauen schmackhaft macht, sondern das Bild des „Nerd“ vorherrscht (ich versuche mal das Klischee in Worte zu fassen: du musst mindestens 12 Stunden am Tag vor dem Rechner sitzen, einen Rechner selbst zusammen bauen können, und ein Mathe-Genie sein), bleibt hier einiges verkehrt.
Meiner Meinung nach ist der Ansatz im Schulsystem der richtige. Aber Achtung, das kann ganz schnell auch das Gegenteil bewirken, wenn es nach dem altbekannten Schema läuft: Trockener Lehrstoff, dröge Lehrer, keine Anschauungsmaterialien.


Warum kann Informatik nicht schon ab der 5., 6. oder 7.Klasse unterrichtet werden, ich bin sicher, dass man den Lehrstoff an das Alter anpassen kann. Wenn die Gesellschaft es erreicht einen interessanten, und Interesse weckenden Unterricht im Fach Informatik zu kreieren, dann werden sicherlich auch mehr junge Mädchen an das Fach herangeführt. Je eher hier falsche Klischees abgebaut werden, desto besser -- mit dem netten Seiteneffekt, dass die Kids vielleicht schon vor dem 3. Semester wissen, dass Informatik nicht gleich Computerspielen ist (Auch ein guter System-Administrator ist nicht gleich ein guter Informatiker). Also früher ran an die Materie, dass das Bild von den Inhalten der Informatik gefestigt wird.

Ana hat gesagt…

Hi Ralf,

I also agree that stability and flexibility are not very important to a young girl at the time she decides what does she want to study. These concerns come later, with age.
I am a Telecommunications Engineer who at the beginning was not interested with software development at all. At first I wanted to work with network design and hardware. I now realize I was not interested because I had never used it for applications that caught my attention. So for me, programming just for the fun of it won't do. It has to have a direction to something that interests me. Besides, I had the idea that it was boring and geeky.
After I got in contact with it at work I realized I liked it, and if you really want to engage in something new, this is the best way.
From my personal experience and the one from people around me I'd say that there are two main causes why a girl won't be interested in this area:
1. The image associated with the career. Girls still think that it is too nerdy and that only those who cannot do better socially will engage in this area.
2. The direction teachers give when teaching software development

I think kids should start having contact with software earlier in school, this way they can see if they like it before their judgment is clouded with what is "cool".
Or even better, changing the preconception associated with this career :)

Friederike Löwe hat gesagt…

Vielleicht kann ich Mut machen:

Kinder bereits mit Informatik-Themen vertraut zu machen ist wirklich gut machbar. Die AppSummerCamps der OpenTechSchool sind ein gutes Beispiel:
http://www.opentechschool.org/projects/app-summer-camps/

Auch gibt es schon das Projekt "Rent a Role Model", über das sich Schulen und weibliche Rollenvorbilder vernetzen können: https://rent-a-role-model.herokuapp.com/

Ja, meine Berufswahl ist noch nichts Selbstverständliches. Aber ich kann auch sagen, dass mir nicht mehr Steine in den Weg gelegt wurden als meinen männlichen Kollegen. Eher im Gegenteil!
Wer sich heute als Frau für diesen Weg entscheidet kann mit vielen Hilfestellungen rechnen.

Anonym hat gesagt…


Man könnte doch auch - dem Zeitgeist folgend - einfach möglichst lautstark eine Frauenquote einfordern. Was bei der C-Riege von DAX-gelisteten Unternehmen funktioniert, sollte doch auch für SW-Entwicklung funktionieren, oder etwa nicht?

Anonym hat gesagt…

Warnung: Der vorherige Post könnte Spuren von Ironie enthalten.