Der Nachwuchs für die Softwareentwicklung ist männlich. Zu 100%. So scheint es derzeit nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts.
0% der befragten Mädchen zeigte Interesse daran, einen Beruf im “Computer, IT-Bereich” zu wählen. Das betrifft auch die Softwareentwicklung.
Das ist eine Katastrophe!
Gründe zur Sorge
Warum ist das eine Katastrophe? Ich sehe da mindestens zwei Gründe:
- Software ist der “Treibstoff” der Zukunft. Ohne Software geht nichts mehr und zukünftig noch weniger. Wir haben heute schon zu wenige Softwareentwickler. Das Verhältnis kann dann nur noch schlechter werden, wenn morgen der Bedarf an Software weiter steigt und gleichzeitig - zumindest in Deutschland - der Arbeitskräftemarkt in den nächsten 10 Jahren um bis zu 15% schrumpft. Offshoring ist doch keine wirkliche Lösung. Auch Flüchtlinge der einen oder anderen Art zu Softwareentwicklern fürs homeland umzuschmieden, ist doch auch keine Lösung. Wir brauchen schlicht mehr an dieser Arbeit interessierte Menschen beiderlei Geschlechts aus und in unserer Gesellschaft. Das ist schwierig genug. Wenn sich jetzt aber herausstellt, dass 50% des Potenzials schlicht verloren ist… Dann ist das eine Katastrophe. Uns geht der “Treibstoff” für unsere Unternehmen aus.[1]
- Softwareentwicklung ist schon lange keine Sache mehr für einsame (männliche) Hacker. Jedenfalls nicht, wenn man nachhaltig Software bauen will. Softwareentwicklung braucht ein Team. Und Team braucht Vielfalt. Mehr Vielfalt als ein Fußballteam. Denn die Sache, um die es geht, ist komplexer und es hängt mehr von ihr ab. Zu Vielfalt gehört selbstverständlich, dass beide Geschlechter vertreten sind. Manager rufen gern Kriegsmetaphern auf, um ihre Arbeit zu beschreiben und sich zu rechtfertigen. Doch schon lange ist klar, dass der Erfolg für alle größer ist, wenn man nicht im Kampf miteinander steht, sondern kooperiert. Kooperation, gemeinschaftliches Schaffen, d.h. auch Empathie sind jedoch eher mit einer weiblichen Sicht der Dinge verbunden als mit der männlichen. Bei aller Gleichberechtigung, die wir schon erreicht haben mögen, ist eine Ungleichheit in der Herangehensweise ans Leben zwischen Frauen und Männern nicht wegzudiskutieren. Und warum auch? Warum soll alles gleich sein, nur weil alle gleichberechtigt sind? Lassen wir zu, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind - und zusammen ein Ganzes ergeben.[2] Softwareentwicklung ist eine Arbeit, die solches Ganzes braucht. Denn es geht nicht um Maschinen, die nach Plan von muskelbepackten Männern im Schweiße ihres Angesichts zusammengeschraubt werden müssen. Es geht um sich ständig ändernde Prozesse, es geht um Komplexität, es geht um Verständnis (mindestens des Kunden) uvm. Das alles profitiert davon, Weiblichkeit im Team zu haben. Mehr Weiblichkeit als bisher jedenfalls. Wenn sich 0% der Weiblichkeit für die Softwareentwicklung interessieren, dann ist das also eine Katastrophe.
Was tun?
Die Katastrophe hat natürlich schon begonnen. Eine Generation ist bereits verloren. Und kein Wunder: Wenn ich mir das Gymnasium meiner Tochter ansehe, dann weiß ich, warum weder sie noch ihre Freundinnen für Softwareentwicklung interessieren. Es wird nichts dafür oder sogar alles was möglich ist, dagegen getan. Fächerkanon wie vor 50 Jahren. Bis zu diesem Jahr keine Erlaubnis, den Girls Day zu besuchen. Da hilft auch kein Studiensaal mit Laptops und Powerpoint-Präsentation in Geografie. Verständnis für den “Treibstoff” wird nicht geweckt. Nirgends.
Dabei ist dort mit Sicherheit Potenzial. Neulich habe ich meiner Tochter mal Lightbot aufs iPad geladen. Das hat sie besser gespielt als ich. Man(n) muss halt Angebote machen… Aber das ist natürlich schwer, wenn schon männliche Lehrer sich vom normalen Curriculum überfordert fühlen und ansonsten mindestens 7 Jahren Bildungsvermittlung in formativen Jahren (Kindergarten und Grundschule) zu min. 85% durch Frauen stattfindet.
Aber genug der Klage. Was könnten wir denn tun, um Mädchen für die Softwareentwicklung zu begeistern?
Am besten beginnen wir mit dem Verstehen. Quasi Anforderungsanalyse. Das können wir doch, oder? ;-)
Laut Studie ist es
[f]ür fast die Hälfte der befragten Mädchen […] wichtig, anderen Menschen zu helfen […]
Außerdem
[…] wollen [Schüler] sich in ihrem späteren Beruf vor allem selbst verwirklichen (87 Prozent), das steht noch vor dem Wunsch nach einem gut bezahlten (75 Prozent) und sicheren (71 Prozent) Arbeitsplatz.
Das wollen Mädchen? Anderen helfen und sich selbst verwirklich bei ordentlicher Bezahlung in realistischer Arbeitsplatzsicherheit?
WTF! Das können sie doch in der Softwareentwicklung haben. Oder nicht?
“Anderen Menschen helfen” bedeutet für Mädchen offensichtlich nicht, dass sie alle Krankenschwestern und Pflegerinnen werden. Sonst hätten wir da keine Nachwuchsprobleme. Sie ergreifen also andere Berufe. Sie werden Verkäuferin, Bankangestellte, Busfahrerin, Steuerberaterin usw. usf.
Aber, Leute, ehrlich, das sind doch keine Berufe, in denen man sehr speziell “Menschen hilft”. Klar, Frauen gehen in solche Berufe. Lehrkräfte sind zu 67% Frauen. Sie sind auch Sozialarbeiterinnen und Hebammen. Doch sie arbeiten eben auch in ganz anderen Berufen. Das Motiv “Menschen helfen” zieht für mich also nicht so ganz. Denn dann müssten viel mehr Mädchen auch Bestatterinnen werden wie meine Ex-Frau. Da kann man Menschen sehr unmittelbar helfen.
Oder es müssten mehr Mädchen Softwareentwicklerinnen werden. Denn da können sie auch Menschen helfen. Da sind Kollegen, denen immer wieder geholfen werden muss. Gerade in cross-functional Teams. Da sind Kunden, denen man im unmittelbaren Kontakt helfen kann, indem man sich um Verständnis bemüht und dann auch noch nützliche Software herstellt. Und da sind Anwendungen in der Medizintechnik oder für Behörden, die den Menschen helfen, für die die Anwender da sind.
Und wie steht es mit der Selbstverwirklichung, den Verdientschancen und der Arbeitsplatzsicherheit? Angesichts der Automatisierungsrevolution die in den nächsten 10 Jahren anrollt, sollte klar sein, dass Softwareentwicklung ein relativ sicherer Hafen sein wird. Es geht nicht mehr nur um Roboter, es geht um Expertensysteme aller Art. Die bringen Berufe in allen Teilen des Spektrums unter Beschuss: vom Taxifahrer bis zum Bankangestellten und darüber hinaus.
Bei der Softwareentwicklung hingegen sehe ich da noch keine große Gefahr. Auch neue Tools werden unsere Köpfe nicht ersetzen. Der Bedarf an Software wird den Produktivitätsgewinn mehr als auffressen. Die Softwarekrise ist nicht vorbei. Sie fängt womöglich sogar erst an.
Das kann sich auch nur positiv auf Gehälter und “Selbstverwirklichungsmöglichkeiten” auswirken, würde ich sagen.
Wo ist also das Problem? Softwareentwicklerin ist ein für Mädchen attraktiver Beruf. Jedenfalls, wenn man die angegebenen Motive für die Berufswahl ernst nimmt. Wir müssen nur lernen, das darzustellen. Wir müssen uns bemühen, an die Vorstellungen von Mädchen anzuschließen. Es braucht Rollenmodelle, es braucht eine Imagekampagne.
Da muss man sich ein bisschen Mühe geben. Mehr als bei dem grauslichen Barbie-Comic, der gerade durch die Medien geistert. Aber das sollte doch zu machen sein, oder? Warum nicht die Frauen fragen, die schon Softwareentwicklerinnen sind?
Nur wer ist für soetwas der Ansprechpartner? Große Firmen - aber nur in einem Zusammenschluss, sonst kommt etwas zu sehr auf ein Unternehmen Zugeschnittenes heraus. Ein Verband fehlt leider bisher. Medien? Ein Ministerium? Am besten wohl alle zusammen.
Was Mädchen wollen - Ein Versuch
Aber vorher müssen wir wohl noch besser verstehen, was Mädchen wirklich, wirklich wollen. Denn ich glaube, das drücken die genannten Motivbeschreibungen nur ungenügend aus.
Ich versuche mal, hinter die Begründungen zu schauen und spekuliere auf der Basis dessen, was ich so von außen in der Welt erkennen kann:
- Mit “anderen Menschen helfen” ist nicht gemeint, echt Bedürftigen zu helfen. Ich glaube, es geht um etwas viel Allgemeineres: Beziehungen. Mädchen ist der direkte Umgang mit etwas Lebendigem (Mensch, Tier, Pflanze) wichtig. Ihr Interesse ist insofern eher nach außen gewandt, umweltbezogen. Männer die auf Maschinen starren, Frauen die mit Menschen reden. So könnte man es vielleicht überspitzt ausdrücken. “Helfen” ist also nicht so wichtig wie Dialog.
- Mit “sich selbst verwirklichen” ist gemeint, sich immer wieder neu zu entscheiden. Mädchen wollen sich nicht auf eine Berufskarriere festlegen. Sie sind natürlich nicht mehr zufrieden mit “Hausfrauendasein”. Aber sie möchten die Idee einer Familie auch nicht dem Beruf opfern. Dazu braucht es Flexibilität: Der Beruf muss ermöglichen, eine Zeit lang zu arbeiten und dann zu pausieren und dann auch wieder anzufangen, womöglich in Teilzeit. Arbeitgeber und Metier müssen das hergeben.
In “manifest speak” ließe sich das vielleicht so zusammenfassen:
- Communication over technology
- Flexibility over career
Ha! Das ist knackig.
Und ließe sich das denn nicht einrichten? Keine Chance, dass sich Softwareentwicklung so darstellen bzw. sich dahin entwickeln ließe?
Wenn es da Schwierigkeiten geben sollte, dann nicht, weil die Softwareentwicklung so nicht sein kann. Nein, Schwierigkeiten sehe ich nicht im Metier, sondern nur im Willen von Unternehmen (und vielleicht einzelner Entwickler, die um einen Nimbus fürchten).
Die Nachwuchskatastrophe lässt sich also abwenden - wenn wir wollen. Ich denke, die Softwareentwicklung kann für Mädchen mindestens so attraktiv sein wie das Bankenwesen oder die Betriebswirtschaft oder das Behördenwesen. Wenn nicht sogar attraktiver, oder? Das können wir doch hinkriegen, my fellow men.
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Unternehmen mögen noch nicht glauben, dass Software so wichtig ist. Aber das wird sich noch verändern. Selbst der letzte mittelständische Maschinenbauer wird verstehen, dass der Milliardenumsatz seines 700 Mitarbeiter Unternehmens von den 15 Leuten in der ungeliebten Softwareabteilung abhängig ist. Man könnte fasst revolutionspoetisch werden: “Alle Räder stehen still, wenn der Programmierer es so will.” Der Hebel, den die Softwareentwicklung hat, ist sehr lang. ↩
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Was nicht bedeuten soll, dass irgendwelche Attribute zwanghaft irgendeinem biologischen Geschlecht zugeordnet werden sollen. Männer dürfen, nein, sollen natürlich auch empathisch sein und Frauen tough. Je nach Neigung und Situation. Das ändert jedoch nichts daran, dass im Durchschnitt gewisse Eigenschaften eben doch nach biologischem Geschlecht unterschiedlich verteilt sind. (Womit ich keinen Kausalzusammenhang unterstellen will, sondern nur beschreibe, was ich sehe. In die nature vs nurture Debatte möchte ich hier nicht einsteigen.) ↩