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Montag, 15. Juni 2009

Last und Lust der Kommiteesoftware

Gerade habe ich das Originalpaper "How Do Commitees Invent" von Mel Conway gelesen, dem Conway´s Law entstammt. Da ist mir unerwartet ein Schauer kalt den Rücken runtergelaufen bei dieser Aussage:

"To the extent that an organization is not completely flexible in its communication structure, that organization will stamp out an image of itself in every design it produces. The larger an organization is, the less flexibility it has and the more pronounced is the phenomenon."

image Nicht, dass ich Conway´s Law nicht schon vorher gekannt hätte. Aber manchmal vergrößert sich die Tragweite von Wissen durch neue Formulierungen oder einen anderen Blickwinkel einfach nochmal. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich gerade Technologien abseits der Microsoft-Schiene oder überhaupt des Mainstreams annähere wie Erlang oder CouchDB. Jedenfalls habe ich den Absatz oben innerlich quasi simultan so gelesen:

"To the extent that Microsoft is not completely flexible in its communication structure, Microsoft will stamp out an image of itself in every design it produces. The larger Microsoft is, the less flexibility it has and the more pronounced is the phenomenon."

Und dann habe ich an den Entity Framework, an Oslo, an Visual Studio, an Windows und an andere Microsoft Produkte/Technologien gedacht. Microsoft hat sich seit 1990 und Visual Basic 1.0 sehr verändert. Für mich, der ich vor einigen Jahren noch viel mit Microsoft Deutschland zu tun hatte, war insbesondere ein Änderungsschub um 2002/3 zu spüren.

Wasfüreine Organisation ist Microsoft also heute? Inwiefern ist Microsoft "not completely flexible in its communication structure"? Das hat natürlich nur wenig damit zu tun, ob Microsoft-Mitarbeiter Email oder Blogs benutzen. Es geht vielmehr um die organisationsinternen Kommunikationswege und Weisungsbefugnisse.

Dieselbe Frage lässt sich natürlich auch Oracle oder IBM oder SAP stellen. Aber dort kenne ich mich nicht so mit den Produkten aus.

Sind Microsoft-Produkte heute also vielleicht schon quasi notwendig mehr Last als Lust? Sind sie womöglich heute schon weniger der Lösung eines Problems als der inneren Struktur von Microsoft angemessen? Hat Microsoft eine Größe und damit Kommunikationsstrukturen erreicht, die sozusagen notwendig zu Overengineering führen?

image Ich tendiere da mal zu einem vorsichtigen "Hm... es scheint immer mehr der Fall zu sein..." Das bedeutet nicht, dass nun alle Technologien über diesen Kamm geschoren werden müssten. Es geht nur um die Tendenz sowie eine daraus abzuleitende Vorsicht. Auch ist Microsoft inzwischen so groß, dass es immer wieder "Taschen der Widerstandes" geben kann und gibt, die nicht in die allgemeinen Kommunikationsstrukturen 100% eingebunden sind und insofern auch andere Systeme bauen können. Die Gruppe um die Concurrency Coordination Runtime fällt mir da ein oder das F# Team.

Doch sobald diese Taschen sich öffnen wollen, kollidieren sie natürlich irgendwann mit der "großen Organisation". Und dann kommt es darauf an... Was macht die mit diesen aus ihrer Sicht eigentlich anarchischen Systemen?

Technisch gesehen, läuft Microsoft qua seiner Größe und Organisation also langsam (oder immer schneller?) in den Morast. Die interessanten Sachen passieren dann irgendwann einfach dort nicht mehr. (Ja, ich weiß, wieviel Forschungsgelder Microsoft ausgibt. Dennoch ist es schwierig für eine solch große Organisation, den Geist der Anfangsjahre zu bewahren. Das ist lange, sehr lange recht gut gegangen - aber die Controller und damit die formale Kommunikation sind in unserer Wirtschaft ein Naturgesetz. Sie lassen sich hinauszögern, aber nicht vermeiden.)

Beweis #1: Das Internet. Microsoft hat es verschlafen und nur mühsam aufholen können. Beweis #2: O/R Mapping. Hier hat Microsoft lange geschlafen bzw. nichts zustande gebracht und ringt immer noch um ein vernünftiges Produkt. Beweis #3: IDE. Visual Studio kann einiges, aber die Qualität in puncto Flexibilität, wie sie heute so wichtig ist, die Eclipse bietet, hat VS nicht. Beweis #4: Microsoft Office. Ohne Zweifel hat Microsoft hier einen Standard geschaffen. Aber Innovation ist etwas anderes. Die spannenden Sachen wie realtime Kollaboration und neue Kommunikationsformen passieren z.B. bei Google.

Was den Technikern eine Last ist, mag anderen aber natürlich eine Lust sein. Controller lieben solche Moloche wie Microsoft. Hatte Microsoft lange Jahre mit dem Image einer "Bastelbude" zu kämpfen, die nicht "enterprise ready" ist, so gibt es diesen Zweifel in seiner grundlegenden Ausprägung nicht mehr. Microsoft ist hoffähig. Wer sich für Microsoft entscheidet - von BizTalk Server bis Entity Framework -, der wird nicht gefeuert, wenn es nicht klappt. Ob die Entscheidung allerdings in technischer Hinsicht die beste ist, hat damit nichts zu tun. Microsofts schiere Größe ist der scheinbare Garant für einen Mindesterfolg.

Nach Conway´s Law also mal meine These wie hier illustriert:

image

Eine gewisse Zeit lang nimmt die Qualität der Technologien durch Wachstum zu. Aber ab einer gewissen Größe sinkt sie eben - sogar unter das Ausgangsniveau. Mit "Qualität"  meine ich natürlich sozusagen die "overall user experience" von der Funktionalität über die Dokumentation bis zum Service.

Wünschen tue ich mir das für Microsoft oder IBM oder Google oder sonst einen Technologieanbieter nicht. Meine Befürchtung ist nur, dass es eben unvermeidlich ist. Deshalb sollten wir auf der Hut sein und gerade als Techniker immer unser Radar kreisen lassen auf der Suche nach Innovationen, die uns wirklich voran bringen. Das Entity Framework - sorry to say - gehört nicht dazu. Und ob Oslo "es reißen wird", halte ich auch noch nicht für ausgemacht.

Also: Wachsam bleiben! Links und rechts andere Technologien und Paradigmen anschauen. Nicht auf Microsoft warten. Im eigenen Haus nicht den Controllern die Technologieentscheidungen überlassen. Nur so erhalten wir uns die Lust an den Technologien, statt fatalistisch "Kommiteesoftware" hinterherzulaufen.

4 Kommentare:

Hannes Preishuber hat gesagt…

Warum alte Menschen sterben müssen!
Ich denke nicht größe ist das ausschlaggebende Kriterium, sondern das Alter einer Struktur bzw die Fähigkeit sich selbst neu zu erfinden. Vom Gummistiefel zu Mobiltelefon ( Nokia).
Google ist für meine Begriffe riesig aber jung. je länger ein Organismus existiert desto mehr Policys (Lebensweisheiten) legt er sich zu um seine Existenz zu sichern. Jung bedeutet "nothing to loos- much to win". Wenn man etwas erreicht hat, geht es um absicherung gegen Verlust. Alleine die Legal Abteilung von MS hemmt die Innovationen um mind 10 % ( Zahl frei erfunden).

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Hannes: Sehe ich auch so. Es geht um "strukturelles Alter". Nicht die Jahre zählen unbedingt, sondern die internen Strukturen.

Diese Strukturen (der ganz allgemeinen Kommunikationen) sind abhängig von Größe, Erfolg und Haltung.

Mit seiner internen "Kultur der Paranoia" hat Microsoft lange Jahre einiges wett gemacht, was Größe und Erfolg sonst wohl schon schneller hätten erstarren lassen. Aber ich bin im Zweifel, ob das so weitergehen kann.

Gerade durch seine "enterprise readiness" ist Microsoft nun endgültig an dem Punkt angekommen, wo man eigentlich nur noch verlieren kann.

Zugpferd Office ist gesättigt. WinXP ist das wahrscheinlich erfolgreichste OS bisher. Immer noch 68% Anteil bei den Websurfern - im Vergleich zu 6,1% für Vista. Windows scheint also auch gesättigt.

Jetzt ist nicht "mehr vom selben" gefragt, sondern "anders" und "neu". Und wie du schon sagst: Die "pfründewahrende" Rechtsabteilung ist in dieser Hinsicht wahrlich kein Katalysator ;-)

Aber Microsoft ist natürlich ein Tanker. Der hält nicht einfach an. Nicht in 5 Jahren und nicht in 10 Jahren.

Nur es ist die Frage, wann es sich lohnt, mit diesem Tanker zu reisen. Oder ob nicht Kreuzfahrtschiffe oder Schnellboote einfacher und genauso sicher zum Ziel fahren.

-Ralf

Laurin Stoll hat gesagt…

Hallo ralf,

Wie immer ein toller Artikel :-)
Du greifst da eine Frage auf die mich als Geschäftsführer immer wieder umtreibt. Wie kann man das maximale Innovationspotential mit angemessenem Risiko ausschöpfen? Mir fallen da unweigerlich deine Posts rund um Soziakratie ein. Musss Cronway's Gesetz wirklich unweigerlich bei jeder grossen Organisation eintreten? Oder ist das nicht auch eine Frage, wie das Unternehmen geführt wird? Du sprichst in deinem letzten Kommentar von strukturellem Alter. Kann man mit der Führung durch Werte z.B. mit Unterstützung der Soziokratie das strukturelle Altern nicht erheblich ausbremsen? Immerhin bieten grosse Organisationen einen wesentlichen Vorteil der auch für Innovation benötigt wird: Geld. Ich denke diese strukturelle Alterung tritt in einem autokratisch geführten Unternehmen viel schneller ein.

Was meinst du?

viele grüsse
laurin

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Laurin: Ich denke, Conway´s Law gilt immer: eine gegebene Organisationsstruktur spiegelt sich im Produkt.

Wie eine Organisationsstruktur allerdings aussieht, dass kann man natürlich steuern. Das hängt mit Führung zusammen. Die kann hierarchisch autokratisch sein oder auch anders.

Führen mit Werten... Ja, das klingt nicht schlecht. Aber wer führt denn da? Wieder nur einer? Dann fürchte ich, dass der eine der Komplexität der Unternehmenswelten (innen und außen) nicht wirklich gerecht werden kann.

Haben große Unternehmen einen Geldvorteil? Das kann ich nicht finden. Denn ob ein Unternehmen "reich" oder "arm" ist, ist durchaus eine subjektive Wahrnehmung, in der sich Management, Linie und Außenstehende sehr unterscheiden können. Und dann kommt es auch noch darauf an, was mit dem Geld gemacht wird. Steht es überhaupt zur Verfügung für Innovation?

Insofern alles nicht so einfach ;-)

Was also tun gegen "Kommiteesoftware"? Die innere Komplexität erhöhen. Denn wenn Software komplexer werden muss und die Umwelt komplexer wird, dann muss die Unternehmensorganisation nachziehen. Denn eine gegebene Komplexität kann nur von einer Organisation gleicher oder höherer Komplexität bewältigt werden.

Wie das geschehen kann? Darüber schreibe ich demnächst in "Philosophie und Wirtschaft" (http://www.philosophieundwirtschaft.de/) etwas.

-Ralf