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Donnerstag, 5. Februar 2015

Bessere Resultate ohne Abhängigkeit

Wie arbeiten Sie am liebsten, wenn Sie etwas schaffen wollen oder müssen? Was fördert Ihre Konzentration?

Die Menschen sind ja verschieden. Der eine möchte Ruhe haben, die andere Musik hören, der nächste ein Räucherstäbchen anzünden… Fenster auf, Fenster zu, mehr Licht, weniger Licht… Man kann es kaum allen recht machen, oder?

Eine Konstante gibt es jedoch hinter all dieser Verschiedenheit: den Wunsch nach Autonomie.

Sie wie ich möchten die Umstände unserer Arbeit möglichst weitgehend selbst bestimmen. Umso mehr, je stärker wir unter Druck stehen. Wer von uns Resultate sehen will, der sollte uns möglichst freie Hand lassen, wie wir uns einrichten, um sie zu erzielen. Zumindest wenn man uns vertraut, dass wir uns redlich bemühen, diese Resultate auch zu erbringen.

Ich als Freiberufler lebe und arbeite so. Meine “Resultatserzielungsumstände” kann ich zu 100% selbst bestimmen. Das macht mir Freude - und meinen Kunden auch. Verlässlichkeit und Qualität scheinen für sie zu stimmen.

Anders ist das bei den Entwicklern, Testern, Supportern, POs, die ich bei meinen Kunden treffe. Deren Autonomie ist minimal. Sie können (in den allermeisten Fälle) nicht über Arbeitsort, Arbeitszeit, Arbeitsplatz, Arbeitsmittel bestimmen. Ja, sie können sogar nur begrenzt über die Arbeitszeitnutzung bestimmen.

Das finde ich von Tag zu Tag kontraproduktiver. Je häufiger ich solche Umstände sehe und auf der anderen Seite Klagen darüber höre, was alles in Unternehmen nicht läuft, wie es laufen soll… desto mehr denke ich: Da gibt es einen Zusammenhang. Die Grundverhältnisse sind einfach so, dass es nicht besser klappen kann. Unternehmen wünschen sich also etwas, das sie nicht bekommen können, solange sie an ihren Glaubenssätzen festhalten, was die Einschränkung der Autonomie ihrer Mitarbeiter angeht.

Was wollen Unternehmen auch erwarten von Menschen, die offiziell “abhängig beschäftigt” sind? Diese Formulierung müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen:

  • Wer angestellt ist, ist abhängig. Das Unternehmen bestimmt, der Angestellte wird bestimmt. Er ist auf die Gnade des Unternehmens angewiesen - sonst wäre er ja nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis. Gleichberechtigung, Augenhöhe, Autonomie sind etwas anderes. Erwachsene sollten solche Beziehungen nicht eingehen wollen - sollte man meinen. Allemal ist zu fragen: Was kann ein Unternehmen erwarten von Abhängigen? Freiwilligkeit und Motivation? Kaum.
  • Wer angestellt ist, ist beschäftigt, nein, muss beschäftigt werden. Das hört sich an wie im Kindergarten, wo man Kinder beschäftigt, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. “Beschäftigung” klingt auch nicht nach Motivation, Energie, Fokus. Wer beschäftigt wird, der tut auch eher nichts aus sich heraus, sondern braucht einen “Entertainer”. Sobald der nachlässt, kommt Langeweile auf.

“Abhängige Beschäftigung” soll etwas optimieren. Historisch gesehen ist sie eine große Leistung. Lieber abhängig beschäftigt im Schutz eines Unternehmens unter Aufsicht von Arbeits- und Sozialgesetzen, als frei, selbstständig, autonom - aber immer auch prekär am Rande des Existenzminimums.

Die positiven Effekte der “abhängigen Beschäftigung” möchte ich nicht schmälern. Doch sie hat eben ihren Preis. Und den zahlen nicht nur Unternehmen, sondern auch die Abhängigen. Der Preis der Abhängigkeit ist die Unterkomplexität.

Abhängigkeits- und Beschäftigungsverhältnisse sind immer hierarchisch. In Hierarchien fließen Segnungen von oben nach unten. Von unten nach oben wird geleistet und erbeten. Das ist klar, simpel, effizient. Das ist das Gegenteil von komplex. So soll es ja auch sein.

Historisch hat das auch lange gereicht, nein, konnte sogar nicht anders sein. Was immer an Resultaten zu erzielen war, war sehr einfach zu erzielen: Wenige denken und planen, viele, viele führen mit einfachen Handgriffen aus. Der kulturelle und bildungsmäßige Unterschied zwischen den Hierarchieebenen war bis neulich noch gigantisch.

In den letzten Jahrzehnten hat sich das nun radikal geändert. Ein Manager ist einem gemanageten Entwickler in nichts voraus. Sie sind in allem gleich - außer in ihrer Position in der Unternehmenshierarchie und damit im Gehalt und damit in den angehäuften materiellen Werten und damit in ihrem Anspruchsdenken. Allerdings leitet sich daraus kein Unterschied in der Angst ab. Angst ist auf jeder Ebene der Hierarchie gegenwärtig. Denn auf jeder Ebene ist man ja abhängig und will beschäftigt werden.

Diese Angst kostet natürlich Energie. Die wird investiert in Handlungen, die höhere Hierarchieebenen gnädig stimmen sollen. Ob daraus jedoch dem Unternehmenszweck dienliche Resultate erwachsen, ist zweitrangig. So kann es dann zu keinen besseren Resultaten kommen. Dass Unternehmen klagen, ist also nicht verwunderlich. Ihr grundsätzlicher Glaubenssatz ist falsch. Der lautet: Weil Angestellte so glücklich über die abhängige Geborgenheit sind, die das Unternehmen ihnen gibt, beschäftigen sie sich konzentriert mit der Erzielung von Resultaten zum Wohle eben dieses gnädigen Unternehmens.

Doch so funktioniert es eben nicht.

Ich glaube zwar daran, dass die meisten Angestellten gute Resultate zuverlässig liefern wollen - nur können sie es nicht. Sie sind umstellt von organisatorischen Mauern. Ihre Freiheitsgrade sind mindestens aus zwei Gründen beschnitten:

  • Das Unternehmen traut den Abhängigen nicht. Denn die haben ja eine Beschäftigungsmentalität. Falls man sie nicht konstant bespaßt und beaufsichtigt, langweilen sie sich und tun nichts. Nur wenn ein Regelkorsett eng geschnürt ist, bleibt den Abhängigen quasi nichts anderes übrig, als auch in der Langeweile irgendwie noch ein Resultat zu erzielen.
  • Unternehmen sind Zusammenschlüsse von Individuen, um durch ein engeres Verhältnis Energie zu sparen. Neben dem funktionalen Zweck (z.B. Software für Architekten) gibt es also auch einen nicht-funktionalen: Effizienzsteigerung. Der ist tief verankert und wird umso mehr beschworen, je enger der Markt wird. Im Verein mit der überkommenen Grundannahme, dass Abhängige, die beschäftigt werden müssen, weder rechte Motivation noch Kenntnis haben können, wie Ressourcen am besten eingesetzt werden, führt das zu weiteren Einschnürungen durch ein Regelkorsett. Vereinheitlichung, Standardisierung, Konsolidierung sind das Gegenteil von Autonomie.

Wenn ich “die Verhältnisse” so beschreibe, ist das natürlich überzeichnet. Doch nur durch die Überzeichnung wird die Grundhaltung erkennbar, die eben den meisten Unternehmen noch unterliegt. Es ist die der Hierarchie und der Unselbstständigkeit. Da helfen auch nicht 3 Monitore, der höhenverstellbare Schreibtisch oder die unternehmenseigene Kita. All das ist mit Hierarchie und Unselbstständigkeit vereinbar. Denn all das können einfach nur Geschenke und Zugeständnisse eben im Rahmen des überkommenden Paradigmas sein. Ein gelockertes Korsett ist immer noch ein Korsett - insbesondere, wenn man nicht wählen kann, ob man es auszieht.

Das Büro kann eingerichtet sein, wie es will. Mit Tischkicker und Ruheraum. Solange die, die Resultate erzielen sollen und wollen, nicht wahrhaft die Wahl haben, ihre Umstände bestmöglich selbst zu bestimmen, um eben diese Resultate zu erzielen… solange müssen sich Unternehmen nicht wundern, dass es nicht wie gewünscht klappt.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass der Default für die Zusammenarbeit Unabhängigkeit sein sollte. Nur wenn Verlässlichkeit und/oder Resultat zu wünschen übrig lassen, sollte nachgebessert/optimiert werden. So wenig wie möglich.

Unternehmen als Ganzes und Manager in Unternehmen in ihren Bereichen sollten also nicht Regeln einführen, sondern stets Ausschau halten nach Regeln, die entfernt werden können. Denn je weniger Regeln, desto größer die Autonomie der Mitarbeiter. Und je größer die Autonomie, desto eher kann die Konzentration entstehen, die dafür nötig ist, dass Resultate verlässlich in hoher Qualität entstehen.

Wer Resultate sehen will, wer etwas bekommen will, sollte daher mit Geben beginnen. Das geschieht am besten mit einer simplen Frage: “Was brauchst du, um deine Resultate zu erzielen?”

Manchmal wünscht sich die Gefragte dann eine Regel; das ist nicht schlecht, denn dann kommt die Regel von unten, von dort, wo echter Bedarf ist.

Es können jedoch auch Antworten kommen, die dem Paradigma widersprechen. Aber warum davor Angst haben? Kann denn wirklich etwas Katastrophales passieren, wenn man die Leine der Abhängigkeit und der Beschäftigung lockert? Alle Wünsche sind doch nur Hypothesen. Auch der wünschende Angestellte weiß nicht wirklich, ob es stimmt, dass es seinen Resultaten hilft, wenn er nur seinen Wunsch erfüllt bekommt. Deshalb sollte die Wunscherfüllung zunächst als Experiment gesehen werden.

Auch hier gilt “Individuals and interactions over processes and tools” und “Responding to change over following a plan” und “Working software over comprehensive [rule set]” und “[…] collaboration over contract [adherence]”. Die Iterationen der Agilität helfen überall. Eine lernende Organisation gibt es nicht ohne Experimente. Die sollten nicht nur am Markt stattfinden, sondern eben auch intern. Viel mehr intern. Denn dort ist viel Potenzial für Kreativität, Motivation, gar Innovation hinter Mauern aus Regeln angestaut.

Wenn es also im Unternehmen im Allgemeinen bzw. in der Softwareentwicklung im Speziellen nicht läuft, wie es laufen sollte, wenn es knirscht in der Zusammenarbeit, wenn die Unzuverlässigkeit grassiert… dann, so glaube ich, ist eine wesentliche Stellschraube die Autonomie jedes einzelnen Beteiligten. Mehr und mehr Freiheitsgrade helfen. Nicht nur für sauberen Code gilt also: Raus aus den Abhängigkeiten! ;-)

 

PS: Dass Autonomie kein Garant für Erfolg ist, ist selbstverständlich. Sie ist keine hinreichende Voraussetzung. Aber ich halte sie für eine notwendige. Ohne Autonomie, ohne Augenhöhe, ohne Selbstbestimmung und damit einhergehend auch Selbstverantwortung keine wirklich dauerhaft guten Resultate. Autonomie ist insofern im eigenen Interesse jedes Unternehmens.

PPS: Zur gewährten Freiheit muss auf der anderen Seite natürlich auch Fähigkeit treten, damit umzugehen. Die mag nicht bei jedem “Befreiten” in gleichem Maße vorhanden sein. Aber wer seine Aufgaben als Manager schwinden sieht, bekommt hier ein bedenkenswertes neues Betätigungsfeld: die Förderung von echten Mit-Arbeitern. Die Frage bleibt nämlich: “Was brauchst du?” Dieses mal jedoch Bezogen auf die Autonomie: “Was brauchst du, um mit der neu gewonnenen Autonomie zum Nutzen der Resultate am besten umzugehen?”

PPS: Und wer nicht glaubt, dass man mit mehr Autonomie und Augenhöhe Erfolg haben kann, der schaue mal diesen Film: http://vimeo.com/118219210

AUGENHÖHE OmU (dt.) from Daniel Trebien on Vimeo.

Die meisten, die darin zu Wort kommen, sind zwar formal noch “abhängig beschäftigt”, doch ihre Berichte machen deutlich, dass auch in Angestelltenverhältnissen Autonomie und echte Mit-Arbeit möglich ist. Und das ist nur der Anfang.

Die Frage ist daher nicht, ob mehr Autonomie in Ihrem Unternehmen sein sollte, sondern wann das der Fall ist und unter wie großen Schmerzen es dazu kommen wird. Meine Empfehlung: Lieber bald mit der “Entkopplung” beginnen, um mehr Zeit zum Lernen und Anpassen zu haben.

3 Kommentare:

Alexander Weinhard hat gesagt…

Hallo Herr Westphal,

Haben Sie das Buch "Drive: Was Sie wirklich motiviert" von Daniel H. Pink gelesen? Es wurde mir auf dem letzten Treffen der Arbeitsgruppe "Development" des Microsoft Business User Forums empfohlen. Ich habe es mir noch vor Ort als eBook gekauft und während der Zugfahrt nach Hause verschlungen.

In dem Buch werden die psychologischen Treiber für intrinsische Motivation (Selbstbestimmung, Perfektionierung und Sinnerfüllung) dargestellt und gezeigt, dass das klassische Angestellten-Verhältnis heute in vielen Branchen - allen voran in der IT - nicht mehr funktioniert und warum.

Allen, die an sich selbst merken, dass ihre Motivation nachlässt, die sich mehr Selbstbestimmung wünschen und vor allem allen Managern muss ich dieses Buch dringend weiterempfehlen (ich schwöre hiermit feierlich, dass ich nicht am Umsatz des Buchs beteiligt bin - ich finde es einfach nur gut).

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

Ja, das Buch kenne ich. Als Appetithappen hier ein Video zu einem Vortrag darüber von Dan Pink: https://www.youtube.com/watch?v=u6XAPnuFjJc

Wer einen Sweatshop in China betreibt, muss sich vielleicht nicht soviele Gedanken machen über Autonomie. Vielleicht. Und noch nicht.

Wer jedoch kreative Leistung in einem komplexen Bereich wie der Softwareentwicklung verlässlich sehen will, der sollte sich autonomy, mastery und purpose zu Herzen nehmen.

Anonym hat gesagt…

Danke für diesen wichtigen Beitrag!
Schöne Grüße, Hartmut