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Montag, 23. Juli 2012

Was andere schon richtig machen – Prinzipien

imageDas ist Wolfgang Marlie. Er ist Inhaber der Reiterpension Marlie an der Ostsee - und Reitlehrer aus Passion [1]. Von ihm können wir als Softwareentwickler etwas lernen.

Als Reitlehrer ist seine Aufgabe, Reitschüler ans Pferd und aufs Pferd zu bringen. Es geht natürlich um den Spaß mit einem großen Tier. Das macht er, das macht sein Team sehr gut. Die Reiterpension ist auch in diesem Sommer wieder fast ausgebucht.

Der Ansatz, den Sie dafür wahrscheinlich erwarten, ist ein technischer: Ein Pferd ist in einem Reitstil ausgebildet – Englisch, Western o.ä. –, d.h. es kennt eine Reihe von Kommandos, und der Reitlehrer bringt dem Reitschüler diese Kommandos bei. Eins nach dem anderen. In einer didaktisch klugen Weise.

So etwas gibt es bei Wolfgang Marlie auch. Wenn man dringend möchte. Doch seine Philosophie ist eigentlich eine andere. Wolfgang Marlie ist ein Mann des Grundsätzlichen. Ihm geht es nicht einfach darum, Techniken zu vermitteln, sondern auch und vor allem das Warum dahinter. Es geht ihm um den prinzipiellen Umgang mit Pferden.

Das drückt sich in den Gesprächen zwischen ihm und seinen Reitschülern aus. Darin geht es nicht nur darum, wie zum Beispiel ein Signal besser gegeben werden könnte – sondern immer wieder steht die Frage im Raum, warum denn das Pferd überhaupt auf das Signal reagieren sollte?

Wolfang Marlie lehrt zu einem Gutteil also auf der Meta-Ebene. Für ihn gibt es kein gutes Reiten ohne eine gute Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Für ihn gibt es keine verlässliche Verständigung zwischen Mensch und Pferd, wenn sie nicht immer wieder abgeklopft, aufgebaut und gefestigt wird. Ihm reicht es nicht, wenn der Mensch scheinbar Techniken beherrscht – eine Sprache bzw. den Hilfsmitteleinsatz. Ohne Prinzipienverständnis und die rechte Haltung ist ihm das hohl. Es mögen sich für den Moment ansehnliche Leistungen dadurch herstellen lassen, doch ob darunter ein nachhaltiges Verhältnis existiert und auch das Tier Freude hat, ist nicht ablesbar.

Sein Unterricht ist daher eine Lehre in kleinen Schritten. Man sollte viel Zeit mitbringen, wenn man sich auf Wolfgang Marlies verständnisvollen wie verständnisorientierten Unterricht einlässt. Der Wechsel zwischen konkretem Tun, der Anwendung von Techniken, und der Reflexion, der Meta-Ebene, dem Lernen lernen und auch dem Lehren lernen… das kostet Zeit und Ausdauer.

Doch der Lohn der Mühe ist ein ganz anderes Verhältnis zwischen Mensch und Pferd. Tiefer, befriedigender, verlässlicher, ruhiger – und damit auch sicherer.

Wo ist der Bezug zur Softwareentwicklung?

Ich denke, wir sollten an die Softwareentwicklung auch so herangehen. Natürlich ist die ganz anders – oder doch nicht? Dort ein Tier, hier eine Maschine. Das ist ein unübersehbarer Unterschied. Aber: dort ist Kreativität und Blick fürs Detail gefragt, hier ist ebenfalls Kreativität und Blick fürs Detail gefragt. Problemlösungen müssen hüben wie drüben gefunden werden. Nachhaltigkeit ist dort wie hier das Ziel. “Störrisch” stellen sich Tier wie Plattform an.

Und genau deshalb sind die Prinzipien so wichtig. Kurzsichtig lässt sich mit Gewalt viel erzwingen. Gerte und Sporen können ein Pferd in die Spur bringen. Und Zeitdruck mit Fokus auf die Funktionalität kann eine Software in die Spur bringen zum baldigen Release. Das geht. Irgendwie. Doch eher früher als später kommt die Retourkutsche: Das Pferd bockt – dann ist mehr Gewalt nötig. Das Vertrauen ist futsch. Die Software stellt sich bockig bei Veränderungen an, Bugreports häufen sich. Das Vertrauen des Kunden ist futsch.

Doch es geht auch anders. Eben mit einem Blick auf die Prinzipien. Warum soll ein Pferd auf ein Signal reagieren? Warum soll eine Software korrekt sein oder sich über Jahre geschmeidig verändern lassen? Weil Reiter bzw. Softwareentwickler es wollen? Oder weil das so in der Natur der Dinge angelegt ist?

Weit gefehlt! Es braucht Verständnis für die dahinter liegenden Prinzipien. Es braucht Zeit und kleine Schritte. Es braucht die ständige Reflexion.

Das hat Wolfgang Marlie erkannt und setzt es schon in der Reitlehrpraxis ein. Das muss die Softwarebranche noch breiter erkennen. Die Clean Code Developer Initiative ist ein Versuch, dafür Verständnis zu wecken und Anleitung für den schrittweisen Einstieg zu geben.

[1] In der Reiterpension Marlie verbringe ich gerade eine Woche Urlaub mit meiner Tochter. Davor war ich mit Stefan Lieser dort während unseres alljährlichen Retreat. Und aufmerksam geworden bin ich auf Wolfgang Marlie durch eine Empfehlung einer anderen Reitlehrerin. Sie sehen, ich bin begeistert, sonst würde ich nicht immer wieder bei den Marlies einkehren. Für mich herrscht dort jedoch eine so angenehme und anregende Lernatmosphäre, dass ich mich gern in die Schülerposition begebe. Ich kann loslassen und selbst lernen. Dadurch tanke ich auf für die Situationen, in denen ich als Trainer gefragt bin. Anregungen für meine Praxis lauern eben an den unwahrscheinlichsten Orten ;-)

8 Kommentare:

Frank hat gesagt…

Auch ich bin jemand, dem die Zusammenhänge und die Metaebene wichtig sind und deshalb begrüße ich es sehr, dass du dafür wirbst. Und ich hoffe auch, dass sich möglichst viele für diesen Ansatz begeistern. Denn es ist, wie du sagst: "[D]er Lohn der Mühe ist ein ganz anderes Verhältnis zwischen Mensch und Pferd [Rechner/Betriebsystem/Software]. Tiefer, befriedigender, verlässlicher, ruhiger – und damit auch sicherer."

Zumindest von unserem Standpunkt aus. Deshalb mag es auf den ersten Blick frustrierend sein, dass es Leute gibt, die das anderes sehen. Die vielleicht sogar grundsätzlich anders gestrickt sind. Denen es reicht, wenn etwas funktioniert, egal wie sehr es zusammengefrickelt ist.

Dennoch muss man akzeptieren, dass nicht alle Menschen gleich sind und nicht alle aus dem gleichen Vorgehen die gleiche Befriedigung ziehen. Wenn das (innere) Bewertungssystem ein anderes ist, wird man zu einer anderen Bewertung kommen. Wenn man sich für die Eleganz von Architektur und Code nicht begeistern kann, wird einem das Mehr an Zeit für ein tieferes Verständnis zu schade sein.

Und bei denjenigen zieht dann auch deine Argumentation nicht. Ich denke, dass man damit leben muss, dass es immer auch die anderen geben wird.

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Frank: Ich kann damit leben, wenn einer das anders sieht.

Die Frage ist: kann der damit leben?

Wenn man so ein Verhältnis wie beschrieben zu Pferden nicht mag, dann lässt man es halt. Egal. Davon hängt nichts im Leben ab.

Wenn man aber so ein Verhältnis zu seinem Job, zur Software hat... dann ist das anders. Dann merkt man es früher oder später.

Alle, die da sitzen und darüber klagen "Keine Zeit, keine Zeit!" oder "Wir gehen unter in Bug!" oder "Wir brauchen unbestimmt lange, bis wir einen Kundenwunsch eingepflegt habe!", die klagen im Grunde deshalb, weil sie es eben nicht so sehen. Sie haben kein Verhältnis zum Prinzipiellen - und leiden damit ganz konkret.

Ja, das glaube ich fest, dass das Leiden entsteht, weil man nicht reflektiert, weil man prinzipienfern arbeitet, weil man jenseits des Technischen an Nachdenken nicht so recht glaubt. Das ist so wie mit der Gesundheitsvorsorge: Mit 58 nicht mehr die 4 Stockwerke hochlaufen können zur Wohnung? Das ist kein Altersschicksal, sondern ein Symptom der Fixierung auf Hier und Jetzt. Es ist ein Resultat mangelnden Verständnisses für die Grundsätze von Gesundheit.

Kurzatmigkeit und Kraftlosigkeit im Alter haben dieselbe Ursache wie "Keine Zeit!" oder "Zuviele Bugs!" in einem fortgeschrittenen Projekt: mangelndes Verständnis für die Prinzipien von Entwicklung. Als wäre jeder Mensch wieder der erste, jedes Projekt, jede Software die erste. Als gäbe es keine Erfahrungen und destillierte Grundsätze.

Damit meine ich nicht den Hype, keine Etiketten wie SOA oder ORM. Sondern Fundamentales. Gesetzmäßigkeiten wie die Schwerkraft. Wer sich nicht bewegt, atrophiert. Und wer nicht reflektiert und sich anpasst, erstarrt.

Wolfgang hat gesagt…

Der Wettbewerb wird schon die Spreu vom Weizen trennen. ;-)

Rainer hat gesagt…

Ich bin jetzt noch viel mehr gespannt und glaube, dass ich eine sehr gute Nase hatte, als ich mich für eine Woche in Klingbeil angemeldet habe. Morgen geht es los und die Freude wächst....

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Rainer: Du bist zum Urlaub in der Reiterpension? Sehr cool. Das wird dir gefallen. Grüß Wolfang von mir :-)

Evan hat gesagt…

großer Artikel ich liebe diese Art von Artikeln, die wertvolle und informative zugleich sind . danke

Regards,

Creately

Anonym hat gesagt…

Hallo Ralf,

als langjähriger Leser der dotnetpro war ich sehr erstaunt, einen Beitrag zur Reiterpension Marlie hier zu finden.

Ich war vor kurzem selber dort und meine Antwort kommt leider 3 Jahr zu spät - ich kann nur jeden echten Pferdeliebhaber eindringlich davor warnen den Pferdehof zu besuchen.

Was hier abgeht hat nichts mit Pferdeliebe zu tun. Das ist Käfighaltung und die armen Pferde müssen 6-7 Reiter pro Tag er(tragen).
Die Pferde die ich gesehen habe, waren traurig und abgestumpft. Sie wurden wie Handtücher von Reiter zu Reiter weitergereicht :-/

Das Marlie-Reiten ist ein reduziertes Reiten, das sicherlich für Reitanfänger und unsichere Reitanfänger geeignet sein mag, aber Reitschüler in Wirklichkeit nicht weiterbringt und ihnen eine falsche Sicherheit vorgaukelt.

Reiten ist nun mal ein Sport, dazu gehört Schweiß, Arbeit und Ausdauer. Und ja, manchmal fliegt man auch mal vom Pferd. Das passiert - wer damit nicht einverstanden ist und meint, mit der Marlie-Reitweise einen besseren Weg zu finden, betrügt sich im Endeffekt nur selber.

Was auf dem Hof abgeht ist reine Massenabfertigung und das zu verdammt teueren Preisen.

Hier werden Reitanfänger systematisch verarscht und dumm gehalten. Das sind harte Worte, aber was ich gesehen habe, hat mich tief enttäuscht.



LG, Michael

Anonym hat gesagt…

Hallo Michael,
wir erwarten nicht, dass jeder unseren Umgang mit Pferden und unseren Unterricht gut findet. Das ist, wie überall, wahrscheinlich auch gar nicht möglich und zum Glück gibt es so viele verschiedene Varianten, dass sich jeder die raus suchen kann, die ihm zusagt. Ich habe keine Ahnung von Softwareentwicklung, aber ich vermute mal, dass das für Computerprogramme genauso gilt wie für Reitunterricht oder für den Zustand von Pferden.
Um herauszufinden was man mag und was nicht, braucht man manchmal ziemlich lange. Manchmal reicht ein flüchtiger Blick bzw. knapp 1,5 Tage Aufenthalt. Oder zumindest meint man, dass das reicht. Ob man die Dinge, die einem nicht liegen "Verarschung" nennen muss? Das bleibt natürlich jedem selbst überlassen.
Du hast sicher andere Orte, Reitlehrer usw., die Dir mehr zusagen. Dir weiterhin viel Spaß damit. Und uns viel Spaß mit unserem Weg. Ok?
Herzliche Grüße aus der Reiterpension Marlie, Rike