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Mittwoch, 17. August 2011

Mit dem Teppichmesser gegen Verlagsträgheit

Buchhandel und Verlage sind nicht die Schnellsten, was neue Technologien angeht. Ideen aus meiner Sicht als Leser, was der stationäre Buchhandel tun kann, um nachzuziehen und sich zu erhalten, um für mich attraktiv zu bleiben, habe ich schon geäußert.

Für die Verlage gibt es natürlich auch Ideen. Hier nur eine, wie ein cooles Buch 2.0 aussehen könnte.

Das scheint mir Lesen auf der Höhe der Zeit. Wie krude ist dagegen ein Kindle-Book oder ein Hörbuch.

Bis Verlage solche Produkte herstellen, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Auch nicht alle heutigen Verlage werden das schaffen. Andere werden an ihnen vorbeiziehen und die Gunst der Leserschaft erringen. Die Schnellen fressen die Langsamen.

Einstweilen wäre ich ja schon zufrieden, wenn Verlage ganz selbstverständlich jedes Buch auch als eBook herausbrächten. Für Romane und Fachbücher fährt der Zug in diese Richtung langsam los. Bei Sachbüchern und Schulbüchern scheint mir da aber noch einiges im Argen zu liegen.

Case in point: Das Französich Lehrwerk Découvertes von Klett, mit dem nun meine Tochter in der 6. Klasse beginnt. Der Verlag bietet keine eBook-Version an. (Warum nur? Weil Kinder keinen Computer haben? Das Gegenteil scheint mir der Fall. Alle haben ein Handy, fast alle haben einen Computer zuhaus. Meine Tochter – naja, wie könnte es anders sein ;-) - sogar zwei und noch ein eigenes iPad.)

Ich möchte nun mit meiner Tochter einen erneuten Anlauf nehmen, Französich zu lernen – aber natürlich auf meine Weise. Das heißt ich werde die Vokabeln mithilfe von FlashCards Plus Pro auf iPad und iPhone lernen. Und ich werde das Lehrbuch auf dem iPad und iPhone studieren – ob der Verlag das will oder nicht.

Wie das? Er bietet doch kein eBook an.

Ganz einfach mit roher Gewalt :-)

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Bauanleitung – Aus einem Papierbuch wird ein eBook

Wenn der Verlag es nicht schafft auch nur das einfachste eBook herzustellen, dann schaffe ich das halt selbst: mit einem Teppichmesser, ScanSnap S1500, Abbyy FineReader, iPhone, pdfasm, Dropbox und GoodReader.

Schritt 1: Ich zerschneide das Lektionsbuch und das Grammatik-Beiheft mit dem Teppichmesser.

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Schritt 2: Ich scanne die Seiten mit ScanSnap “Schnappi” S1500. Ein Hoch auf das papierlose Büro! Das Resultat sind PDF-Dateien. Da die Seiten als Bilder gescannt wurden, sind die Dateien natürlich sehr groß. 30 KB für 76 Seiten Grammatik-Beiheft. Deshalb zerlege ich das Lektionsbuch in Blöcke (Kapitel 1-3, Vokabeln + Index usw.).

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Schritt 3: Ich lasse die Abbyy FineReader als OCR Texterkennung über die PDFs laufen, damit aus den Bildern echte Texte werden und ich in den PDFs suchen und markieren kann. (Abbyy liegt übrigens dem “Schnappi” bei.)

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Schritt 4: Ich fotografiere noch einige Seiten des Lektionsbuches mit dem iPhone, die ich nicht durch den Scanner schieben konnte. Ist halt ein Hardcover, das Schulalltag standhalten muss. Die Photo-App meiner Wahl: Camera+

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Schritt 5: Ich bündele einige PDFs mit den fotografierten Seiten, damit der Look hübsch einheitlich ist. pdfasm ist mein Freund – auch wenn die Bedienung etwas intuitiver hätte sein können. Da waren wieder mal Techniker die Gestalter der Benutzeroberfläche.

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Schritt 6: Ich lege die PDFs in meine Dropbox, um von allen Devices (Laptop, iPad, iPhone) darauf zugreifen zu können. (Hoppla, aufpassen, damit die PDFs nicht ins öffentliche Verzeichnis geraten und ich durch Unachtsamkeit einen Link darauf in die Welt sende, auf dass auch noch andere Schüler, Eltern, Lehrer ein elektronisches Découvertes in die Hand bekommen.)

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Schritt 7: Schließlich werfe ich den GoodReader auf dem iPad an, um mit der Lektüre der ersten Lektion zu beginnen.

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Zeitaufwand für diese Aktion? Hm… ich habe es nicht gestoppt, aber ich schätze mal, dass es in Summe 2 Stunden gedauert hat. Zeitaufwendig war dabei allerdings nur die Texterkennung. Hat mich aber nicht gestört. Abbyy hat ja still vor sich hingepusselt im Hintergrund, während ich am Rechner weiterarbeiten konnte.

Fazit

Das war gar nicht so schwer. Den Verlag hätte es kaum mehr Aufwand gekostet bei besserem Ergebnis (kleinere PDFs, weniger Stückelung des Inhalts). Der hat den ganzen Content ja in Quark Xpress oder so und könnte ihn ganz leicht nach PDF exportieren.

Warum tut man das nicht? Ich kann nur einen Grund erkennen: ängstliche Unsicherheit. “Oh, mein Gott, was alles passieren könnte, wenn erstmal so ein PDF auf einer CD – nein, zu teuer! – oder im Internet auf unserer Homepage verfügbar wäre. Kriminelle Kinder könnten es verbreiten! Unsere Schulbuchverkaufe würden ins Bodenlose fallen. In 2 Jahren wären wir pleite. Arrghhhh! Das darf nicht passieren!” (Besonders verständlich ist so eine Denke natürlich bei Schulbuchverlagen, die garantierte Verkäufe dadurch haben, dass ihre Lehrwerke verbindlich durch Schulen oder Eltern in Papierform angeschafft werden müssen.)

So stelle ich mir die Verlagsredaktion vor – bis mir jemand plausibel macht, dass es ganz andere, mir als Leser total verständliche Gründe gibt, meine Lesegewohnheit nicht zu bedienen, obwohl es technisch möglich ist. Wenn dies also ein Verlagsmitarbeiter lesen sollte, möge er mich über solche Gründe bitte ins Bild setzen.

imageNun, gut: Wie ich festgestellt habe, kann mir das Verhalten der Verlage ziemlich egal sein. Mit relativ wenig Aufwand habe ich mir mein eBook in “good enough” Qualität selbst hergestellt. Nächstes Mal mache ich das mit meiner Tochter zusammen. Daraus wird dann ein kleiner Event, die jährliche “School Book Slashing Party” oder so :-) (Vielleicht eine Anregung für Pädagogen, um Kindern eine Möglichkeit zum Ausagieren von Aggressionen zu bieten? Mit Teppichmessern auf Schülbücher statt auf Mitschüler oder später Flugzeugpiloten?)

In jedem Fall habe ich schon ein zweites Buch geordert, das ich mit dem Teppichmesser und den anderen Werkzeugen in ein eBook transformieren werde. Diesmal ist es ein Philosophiebuch: Das Prinzip Verantwortung. Suhrkamp verweigert hier die Veröffentlichung als eBook. Ob man meint, eine Existenz als eBook sei einem solchen Inhalt oder dem Klassiker-Status nicht würdig? Hm…

Naja, mir egal. Das Teppichmesser liegt schon bereit. Bei dem Buch wird es auch einfacher. Ist ein Paperback. Vielleicht kann ich das sogar komplett in Text umwandeln.

Aber nun kommen erstmal Sie: Machen Sie mit bei der großen Buchtransformation! Welchen Titel “rippen” Sie, um ihm die ewige Jugend als eBook zu schenken?

Spendieren Sie mir doch einen Kaffee, wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat…

14 Kommentare:

Dennis hat gesagt…

Schöne Artikelserie, mir geht es ganz ähnlich. Ich konnte noch nie einfach an einer Buchhandlung, und sei sie noch so klein, vorbeilaufen. Nur gekauft hab ich da schon seit Jahren nur noch, wenn ich wirklich gut und kompetent beraten wurde!

An die Schulbuchverlage gerichtet: Ist das Umsatzplus dank Rechtschreibreform schon verheizt? Falls ihr Angst habt, dass Eure Umsätze beim File-Sharing auf dem Schulhof einbrechen, könnt ihr doch jederzeit wieder eine neue lostreten...

Stefan Noack hat gesagt…

Meine Hochschule hat auch nicht alle Studienhefte als PDF parat (wahrscheinlich haben sie bei manchen nur noch die gedruckten exemplare, neue Auflagen gibt es nämlich immer als PDF) - da gehe ich auch immer mit dem Messer ran. Allerdings hat mein Scanner keinen ADF, Da dauert das alles ein wenig länger...

Matthias hat gesagt…

ebooks gehört auf jeden Fall die Zukunft, allerdings nicht der klassischen Form - sondern der interaktiven! Wenn ich in PDFs herummalen und Stellen markieren könnte, wäre ich glücklich. Gibt es dafür vll. schon eine App? Die Idee ist: wenn ich z.B. in einer Lektion eine Übung mache, dann will ich meine Lösung direkt im PDF eintragen. Das kann von mir aus logisch in einem Programm geschehen, während das PDF unberührt bleibt. Falls jemand sowas kennt, bitte melden!

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Matthias: Mit dem GoodReader kannst du PDFs annotieren. Der fragt dann, ob er die Notizen/Zeichnungen im PDF oder separat ablegen soll.

Matthias hat gesagt…

Na das ist doch so ziemlich das, was ich gesucht habe! Werd es ausprobieren, danke für den Tipp.

Anonym hat gesagt…

der wirklich wichtige Einwand. War das wirkich ein Tapetenmesser? http://de.wikipedia.org/wiki/Tapetenmesser
oder vielleicht doch ein Teppichmesser, Stanly Messer oder Cutter. Am besten du gibts die AMAZON Order Nummer mit an, ich will ja nichts falsch machen und mit Messern muss man ja vorsichtig sein

Sven Sönnichsen hat gesagt…

Schöner Artikel, mit praktischen Hinweisen! Hast du schon Erfahrung mit "FlashCards Plus Pro" gesammelt? Funktioniert der Import via CSV und iTunes?

Sven Sönnichsen hat gesagt…

Ach ja, mir fehlt da noch der flattr Button!

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Sven: Flattr ist out; Kaffeespende ist in :-)

Anonym hat gesagt…

Manche machen da ein Geschäft daraus.
Ob die auch mit dem Teppichmesser arbeiten ... ?

http://1dollarscan.com/

Gruß

Joachim

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Sven: FlashCards Pro hab ich inzw. aufgegeben. Touchcards ist in :-) Die App hat einen besseren Lernalgorithmus, näher am Leitner System dran.

Import der Karten über quizlet.com. Account ist kostenlos. Karten in Excel erfassen, hochladen, in App importieren. Fertig.

HAns hat gesagt…

Also Tablets halte ich ja fürs Lesen nicht für geeignet. Im Urlaub am Strand mit Sonne - da liest sich ein E-Book-Reader weitaus besser.

(man beachte wie ich es geschafft habe, keine einzige Marke zu erwähnen ;-) )

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@HAns: Ich weiß immer nicht, was die Leute mit Strand haben. Da zieht mich gar nichts hin. Vor allem mit sonnenöligen Fingern würde ich ja nicht mal einen billigen eBook Reader anfassen ;-)

Dennoch lese ich natürlich draußen und in der Sonne. Oft. Auf dem iPhone oder iPad. Und das geht wunder. Und so glaube ich, dass die, die für spezielle eReader sprechen, weil man darauf soviel besser lesen könne, es einfach noch nicht mit iPhone/iPad draußen ausprobiert haben.

Die Zahl der Situationen, in denen das Display wirklich schlecht zu lesen ist, ist sehr, sehr gering. Zu gering, als dass ich all die anderen Vorteile dieser Geräte aufgeben wollte, nur um ein bisschen besser zu lesen bei Gelegenheit.

Andrea Nunne hat gesagt…

Hallo Ralf, es macht richtig Spaß, deine Artikel zu lesen - und ich lerne einiges dazu.
Obwohl meine technische Ausstattung (auf meinem Laptop und in meinem Kopf) wohl dazu geführt hätte, dass ich ein ganzes Wochenende für die Aktion benötigt hätte.
Mag sein, dass Buchhandlungen technisch hinterher hinken. Und ich gebe hier gern zu, dass mein neuerworbenes iPadTouch sein Dasein bei mir deinen Anregungen verdankt. Ich dachte bisher, ich kann mir als Buchhändlerin kein Smartphone leisten ... Ich habe meine Meinung geändert: Ich kann es mir nicht leisten, kein smartphone zu haben. Jetzt wartet der wunderbare König im Exil von Arno Geiger darauf, von mir als eBook gelesen zu werden.

Im übrigen wird in der Buchbranche viel über die Zukunft diskutiert und in 2 Wochen fahre ich nach Frankfurt zur "Zukunftskonferenz 55 Thesen", auf der die Buchbranche mit offenem Blick nach vorn schaut ...