Zwei symptomatische Geschichte:
Es ruft ein Kompetenzträger bei einem Konferenzveranstalter an und fragt, ob der für die nächste Konferenz an Vorträgen zu einem Thema interessiert wäre. Der Veranstalter freut sich nach Rücksprache mit dem Content Management mitteilen zu können, dass die angetragenen Vorträge gut ins Programm passen würden. Eine Kleinigkeit sie vorher allerdings noch zu klären: der Umfang des Sponsorenpaketes, das der Kompetenzträger buchen möchte.
Ein andermal ruft die Redaktion eines unserer Fachmagazine zur Einreichung von Artikelvorschlägen auf. Auf Nachfrage, wie hoch denn das zu erwartende Autorenhonorar sei, antwortet man, dass ab der dritten Heftseite eines Artikels 40 EUR/Seite gezahlt würden. Für die Seiten 1 bis 3 sei den Autoren jedoch ein sehr warmer, in nicht näher spezifizierten Naturalien ausgedrückter Dank des Verlages gewiss.
Zwei Geschichten, eine Reaktion: Traditionelle Inhaltsplattformen wollen kein Geld mehr für ihre Inhalte ausgeben. Sie wollen das, was ihren Wert ausmacht, weder produzieren noch die Produktion bezahlen.
Sind im Web oft für die Konsumenten kostenlos, so kehrt sich dies scheinbar gerade bei den für die Branche relevanten traditionellen Medien Zeitschrift und Konferenz um. Da bezahlen die Konsumenten und die ureigentlichen Produzenten gehen leer aus oder sollen gar noch Geld mitbringen.
Eine merkwürdige Welt ist das.
Mit dem, was ich einmal auf der Schule gelernt habe, hat das nicht viel zu tun. Da galt nämlich, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Ist das Angebot groß und die Nachfrage klein, dann ist der Preis für das Angebot niedrig. Kommt dann die Nachfrage dem Angebot näher, zieht der Preis an. Maximal wird der dann bei einem Monopol.
Daran hat auch das Web nichts geändert, würde ich mal sagen. Wenn die Artikel bei Codeproject für Leser kostenlos sind, dann liegt das daran, dass das Angebot an Content im Web so riesig ist. Die Nachfrage pro Contentanbieter ist deshalb klein und der Preis niedrig bis nicht existent. Wenn Codeproject dennoch überleben kann, dann liegt es an Werbeeinnahmen und good will der Contentproduzenten. Die verschenken ihr Wissen für... ja, für was eigentlich? Für das gute Gefühl, der Community etwas zurückgegeben zu haben:
"Everything on the site may be freely used. All we ask in return is that you contribute something back to the community." (CodeProject FAQ)
Ob das genug Lohn der Mühe ist, muss jeder für sich entscheiden. Dass die Qualität solcher Gratisinhalte oft zu wünschen übrig lässt, ist hingegen wenig zweifelhaft.
Aber einerlei. In den zwei obigen Geschichten geht es nicht um Codeproject. Es geht auch nicht ums Web. Es geht vielmehr um traditionelle Medien, die mittlerweile schon traditionell nicht aus dem Klagen herauskommen, die Nachfrage bei ihnen sei so schmerzvoll gering.
Was tun sie aber in der Lage: sie senken weder den Preis, noch erhöhen sie die Qualität. Sie drehen vielmehr an der Kostenschraube. Sie geben den Druck, der auf ihnen lastet, an die weiter, die eigentlich erst ihre Existenz berechtigen. Denn ohne Inhalte kein Medium zu ihrer Verbreitung.
Es gibt natürlich kein Recht auf Honorar für Kompetenzträger. Und so finde ich es ganz legitim, wenn Medien wie das MSDN Magazine kein Honorar zahlen. Auch sie leben nach den Gesetzen des Marktes: Das Angebot ist beschränkt, die Nachfrage ist hoch, also ist auch der Preis hoch. In diesem Fall meine ich allerdings das Angebot an Platz für den Inhalt und die Nachfrage von Autorenseite. Pro Ausgabe erscheinen nur ca. 15 Artikel von denen einige schon fest an Kolumnenautoren vergeben sind. Für die verbleibenden gibt es eine lange Schlange an willigen Autoren - also erlaubt sich das MSDN Magazine, kein Honorar zu zahlen. Dort zu veröffentlichen hat für die Autoren soviel Wert (Ruhm oder Sichtbarkeit + Aufträge), dass sie diese Politik akzeptieren.
Wieder zurück zu lokalem Konferenzveranstalter und Zeitschriftenverlag. Die haben nun dieselbe Politik wie das MSDN Magazine installiert - aber bieten bei weitem nicht denselben Nutzen für die Inhaltsproduzenten. Die Konferenzen des Veranstalters sind klein, die Auflage der Zeitschrift auch. Das beklagen beide.
Es erscheint mir daher widersinnig, eine solche Politik im Umgang mit den Wertproduzenten zu installieren. Was verspricht man sich davon? Beide handeln gegen das simpelste Gesetz des Marktes: Keine Nachfrage bei dem Abnehmern, aber der Preis bleibt konstant und der Wert wird nicht erhöht. Keine Nachfrage bei den Inhaltslieferanten, aber der Preis für die Lieferung wird erhöht, indem das Honorar gesenkt wird.
Denn so sieht es leider aus: die Inhalte der Konferenzen und der Zeitschrift sind nicht herausragend. Kompetenzträger, die fachlich gut und stilistisch angenehm vortragen oder schreiben, sind einfach Mangelware. Wer dann nichts dafür, sondern alles dagegen tut, die eigene Inhaltsplattform attraktiv für solche ohnehin raren Inhaltslieferanten zu machen, der darf sich nicht wundern, wenn die Qualität sinkt. Einige sehr gute und auch beliebte Inhaltslieferanten sind denn auch schon nicht mehr zu sehen oder zu lesen; sie haben besseres zu tun, als auch noch Geld für die Wissensweitergabe auszugeben.
Was ist unzweifelhaft der Effekt, wenn Kompetenzpräsentationen nicht nur nichts einbringen, sondern sogar kosten sollen? Sie geraten zu Verkaufsveranstaltungen. Es präsentieren die sich, die es nötig haben, weil sie nicht nur die Investition der Präsentation wieder hereinbekommen müssen, sondern auch noch darüber hinaus mit ihr Profit durch nachfolgende Aufträge generieren müssen.
Oder es sind die zu sehen, die sich zeigen müssen, weil ein System es so will ("publish or perish") bzw. der Chef.
Alles in allem ist - wie überall, wo Werbung ins Spiel kommt - aber nicht damit zu rechnen, dass durch solche Politik die Qualität im Allgemeinen und Ehrlichkeit/Authentizität im Besonderen steigen. Nach beidem fragen aber Teilnehmer wie Leser. Im Dschungel heutiger Technologien brauchen sie nichts dringender als vertrauenswürdige Quellen. Präsentatoren in Wort oder Schrift, die für die Präsentationsmöglichkeit zahlen mussten, sind das allerdings eher nicht.
Ergo: Die Nachfrage nach diesen Inhaltsplattformen kann nur abnehmen. Die schon jetzt beklagte negative Tendenz verschärft sich. Die, die gut aufbereitete Informationen dringender denn je nötig haben, wandern weiter ab ins Web, um dort viel Mühe für die Filterung von Inhalten aufzuwenden.
Schade. Denn die Plattformen haben einen Namen. Nun verspielen sie ihn.
Früher war platte Werbung. Da konnten wir Inhalt und Beschönigung auseinander halten. Dann kam das Advertorial. Sofern gekennzeichnet, konnten wir immer noch Inhalt und Beschönigung trennen, doch es war schwieriger geworden. Nun kommt ungekennzeichneter bezahlter Content. Den können wir nicht mehr von Content unterscheiden, der nicht primär verkaufsinteressengeleitet ist. Statt für unser Geld vertrauenswürdieg Informationen zu bekommen, sehen und lesen wir im Zweifelsfall vor allem eines: Werbung.
Eine verhängnisvolle Entwicklung, die letztlich allen Inhaltsanbietern Schaden zufügt. Wer sich da beklagt, dass es mit der Nachfrage nicht stimmt und auf das Web zeigt, der hat leider weder die Befindlichkeit der Branche noch die Gesetze des Marktes begriffen.
Dabei wäre es doch so einfach, die Nachfrageentwicklung umzukehren. Die Zauberworte lauten - wie immer - Innovation und Investition. Wer das nicht glaubt oder sich inspirieren lassen möchte, der lese "Alles, außer gewöhnlich". Dessen Autoren haben sicherlich auch ein Honorar für ihre Arbeit bekommen.
PS: Es geht mir übrigens bei dieser Betrachtung nicht darum, ob mir oder jemand anderem die Geschichten widerfahren sind. Ich stelle nur eine bedenkliche Tendenz fest. Nicht nur für jeden, der daran denkt, doch mal sein Wissen weiterzugeben, sondern für alle, die vertrauenswürdiges Wissen suchen.