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Sonntag, 17. August 2008

Technologiedämmerung - Nur konstantes Beobachten hilft

Welche Technologien bringen eigentlich 'was? Wann lohnt es sich aufzuspringen? Diese und ähnliche Fragen höre ich immer wieder von Konferenzteilnehmern oder bei Beratungen. Sie sind Zeichen der Ratlosigkeit angesichts einer kaum mehr überschaubaren Zahl von technologischen Optionen. Wer eine Fachzeitschrift wie die dotnetpro liest, der hat deshalb Anspruch, dass sie ihn darüber informiere, was lohnt und was nicht lohnt.

Die Empfindung bei vielen ist jedoch, dass Fachzeitschriften solchem Informationsanspruch nicht gerecht werden. Sie verkünden nicht immer "die Wahrheit", d.h. sie scheinen nicht neutral gegenüber Technologien. Sie sagen nicht offen (oder nur viel zu selten), welche gut und welche schlecht sind.

Beispiel CORBA-Berichterstattung

image Anlässlich eines Artikels mit dem Titel "The rise and fall of CORBA" sind mir die Eingangsfragen nun wieder eingefallen. Sicherlich haben in den letzten 10-12 Jahren viele Entwickler überlegt, "Soll unser Projekt auf CORBA setzen oder nicht?" Sie mögen sich dann den einschlägigen Fachzeitschriften wie dem OBJEKTspektrum oder JAVAspektrum um Entscheidungshilfe zugewandt haben. Andere Quellen mögen natürlich auch konsultiert worden sein. Aber nun... nun ist CORBA tot. Doch nicht nur das! CORBA hat auch - wie der Artikel resümiert - nie wirklich gut funktioniert. CORBA war zum Scheitern verurteilt.

Soviel weiß zumindest der geschichtliche Rückblick. Wie ist es aber heute? Welche Technologien und Ansätze sind das CORBA von morgen? Das würden alle Softwareentwickler gern so früh wie möglich wissen, um nicht ihre kostbare Zeit an Verlierer zu verschwenden.

Ich habe mir deshalb mal die Berichterstattung zum Thema CORBA im OBJEKT- und JAVA-spektrum angeschaut. Ganz grob nur, aber trotzdem mit einem interessanten Ergebnis, wie ich finde. Die folgende Grafik zeigt die Häufigkeit der Erwähnung von CORBA in Artikeln im Allgemeinen und den Artikelüberschriften im Besonderen über die Jahre.

image

In den Jahren 1994 bis 2000 nimmt die Berichterstattung zu. CORBA ist ein heißes Thema. Auf dem Gipfel Relevanz enthält fast jedes Heft einen CORBA-Artikel und in jedem zweiten ist CORBA auch noch im Titel erwähnt.

Doch dann verliert CORBA abrupt an Präsenz. Im Verlauf von 3 Jahren sinkt die Berichterstattung auf Null - und erholt sich danach auch nicht wieder. Insbesondere bleibt CORBA aus den Artikeltiteln verschwunden.

Was war geschehen? In den Jahren 2000 bis 2003  hatten SOAP-basierte Web Services und EJB 2.0 die Aufmerksamkeit der Berichterstattung. Sie haben der CORBA-Initiative das Wasser abgegraben und schließlich zu dem Urteil geführt, dass CORBA seine Versprechen nicht eingelöst hat und wohl auch nicht einlösen konnte.

interpretation der Berichterstattung

Jetzt zur Frage, wie ein unbefangener Leser dieser Zeitschriften die CORBA-Entwicklung hätte einschätzen sollen. Was boten OBJEKT- und JAVAspektrum für Hinweise?

Mein Eindruck ist, dass es keine wirklich kritische Berichterstattung gibt. Das hat nichts mit diesen beiden Zeitschriften zu tun, sondern ist endemisch. Kritische Berichte mit einer Überschrift wie "Die Nachteilte von Technologie X" sind anscheinend unattraktiv. So, wie die Bild-Zeitung vor allem über Negatives berichtet, so berichten Fachmagazine vor allem über Positives. Skandale, Gewalt, Sex verkaufen sich beim Massenpublikum der Boulevardpresse. Verheißungen, Erfolge, Hype verkaufen sich beim Fachpublikum. (Und ab und an auch Negatives wie Microsoft-Bashing.)

Kritik ist kaum explizit vorhanden. Implizit findet sie allerdings statt: Wie die Grafik zeigt, ist ab 2001 CORBA deutlich weniger ein Thema. Das ist ein erster Hinweis auf Nachteile bzw. ungenügende Vorteile. Ein noch deutlicherer Hinweis scheint jedoch die fast völlige Abwesenheit des Begriffs in den Artikelüberschriften. Wo CORBA nicht mehr in der Überschrift steht, da ist wenig oder gar kein CORBA drin. Bis 2000 fand CORBA in ca. 50% der Artikel den Weg in die Überschrift, nach 2000 im Mittel nur noch bei 10%.

In der Berichterstattung ist die Abwesenheit von Lob bzw. titelgebender Erwähnung die deutlichste Form von Kritik, wie es scheint.

Schlüsse

Natürlich wäre eine breitere Auswertung der Berichterstattung über CORBA und auch andere erfolgreiche wie erfolglose Technologien wünschenswert. Als anekdotische Analyse mit Motivationscharakter mag dieser Versuch dennoch aber gewissen Wert haben. So ziehe ich denn einmal folgende Schlüsse aus den Zahlen:

  • Technologiedämmerungen werden nicht wirklich thematisiert, sondern durch die Morgenröte der Alternativen überstrahlt.
  • Wer also etwas über den Wert von Technologien erfahren will, der darf nicht darauf warten, dass eine neutrale pro und contra abwägende Abhandlung veröffentlicht wird. Der (wahrgenommene) Wert einer Technologie ergibt sich aus ihrer An- und (!) Abwesenheit bei der Berichterstattung.
  • Technologien haben einen Lebenszyklus. Der kann - wie CORBA zeigt - viele Jahre umfassen, selbst wenn die Technologie suboptimal ist. Ob eine Technologie wirklich ihrem Anspruch gerecht wird, ist dabei ebenfalls womöglich erst nach Jahren feststellbar. Wer also auf schnelle Orientierung durch die Berichterstattung hofft, hofft vergebens.

Daraus folgt: Ob eine Technologie etwas taugt, ist an der Berichterstattung über sie nicht wirklich ablesbar. Die informiert zunächst und vor allem über Neuigkeiten und das, was geht. Das muss dann jeder Einzelne als Anlass nehmen, die Technologien selbst einer Prüfung im Hinblick auf seine Problemszenarien zu unterziehen.

So ist es halt. Aber muss es so sein? Wahrscheinlich. Es gibt einfach derzeit keine Lobby für negative Berichterstattungen zu Technologien und Konzepten. Wer schreibt, will kaum über Misserfolge schreiben. Und wer veröffentlicht, der ist an attraktiven hoffnungstragenden Themen interessiert und nicht an Misserfolgen. Wenn schon die Veröffentlichung von falsifizierenden Forschungen in der qua Anspruch neutralen Wissenschaft ein Problem ist, dann allemal die von negativen Erfahrungen in Publikationen "nur" für ein Fachpublikum.

Wer Orientierung sucht, muss also selbst ständig beobachten und die Themenlebenszyklen im Blick behalten. Um das Selberlernen, das eigene Evaluieren führt wieder einmal kein Weg herum.

Oder? Wo ist die Publikation, die genau das aufgreift und Themenentwicklungen verfolgt? Das wäre doch mal etwas! Das wäre eine Dienstleistung ab vom Üblichen, die wirklich etwas bringen können. Die Branche würde sich selbst reflektieren. Ein Zeichen von Erwachsenwerden wäre das. Allerdings: Zu schön, um wahr zu werden, fürchte ich.

3 Kommentare:

Rainer hat gesagt…

Schöner Post. Über dieses Thema denkt wohl so ziehmlich jeder ambitionierte Entwickler nach, der neue Projekte angeht und seine persönliche Entwicklung in diesem Bereich weiter bringen will.

Ich denke ein guter Ansatz in der Richtung sind Bewegungen wie die ALT.NET (zumindest was .NET angeht), da sie sich per Definition eben ständig über neue Technologien informieren um diese zu verwenden und altbewährtes einsetzen.

Für die Zukunft sind solche Foren ein gute Möglichkeit, wenn es genug Teilnehmer gibt, die bereit sind ihre Erfahrungen auszutauschen.

Ein Problem ist hier aber auch die Wirtschaft. Viele stellen ihr Wissen nur gegen Bares zur Verfügung (Consulting) da es das Kerngeschäft ist. Und dann ist die Frage, woher Consultants denn ihre Informationen bei neuen Technologien beziehen? Die Consultants betrifft das sogar noch stärker, da diese ihren Kunden entsprechende zukunftssichere Technologien vermitteln müssen.

Ich denke, wie du es schön herausgebracht hast, ein ständiges probieren und bewerten nach gut und weniger gut ist das einzige was hilft.

Eine Plattform dafür müsste geschaffen werden. Ich praktiziere das im Moment bei meinem Arbeitgeber, indem wir mehrmals im Monat "Forschung" betreiben.

Grüße,
Rainer

Anonym hat gesagt…

Ein Problem jeder Technik (nicht nur in der IT) ist, dass ihr langfristiger Erfolg/Bestand nicht sicher zu prognostizieren ist. Es gibt zu viele Freiheitsgrade, die in diesem Sinne auch noch orthogonal zueinander stehen können, etwa "Wie gut ist eine neue Technik wirklich, d.h. wie viel besser löst sie die Aufgaben im Vergleich zu früheren Ansätzen?" versus "Wie schnell durchdringt die neue Technik den Markt, wie gut wird sie angenommen?"

Selbst konzeptionell erstklassige Systeme etablieren sich oft nicht am Markt und verschwinden wieder, wenn sie es aufgrund von Sympathien/Antipathien, Marketing und Lobby-Arbeit, technischer Nachhaltigkeit, Zeitgeist-Moden etc. nicht zu einer kritischen Masse schaffen. Andererseits können konkurrierende, mittelprächtige Lösungen zu wahren Dauerläufern werden. Der viel zitierte Klassiker hierbei: Das Betamax Videosystem, dessen Bild- und Tonqualität der VHS-Kassette überlegen war und trotzdem kein Massenerfolg wurde - im Gegensatz eben zu VHS.
So etwas verrät keine Theorie sondern immer wieder nur die Praxis. Der Volksmund sagt an der Stelle, "Hinterher ist man immer schlauer"... :-)

Als IT Professional muss man sich mit diesem Umstand arrangieren und akzeptieren, dass man immer wieder auch auf das falsche Pferd setzen kann und wird. Unser Markt ist ständig in Bewegung und man ist nicht nur gut dadurch, dass man die im Augenblick(!) als richtig geltenden Technologien anwendet sondern dass man anpassungsfähig bleibt und auch schnell das Pferd umsatteln kann, wenn es notwendig wird.

Anonym hat gesagt…

Ich möchte Rainers Empfehlung zu ALT.NET unterstreichen. Inzwischen gibt es auch eine deutschsprachige Community (http://groups.google.de/group/altnetde) und im Oktober auch die erste deutschsprachige .NET Open Space "Konferenz" in Leipzig (http://netopenspace.de).

Neben der ALT.NET Gemeinschaft gibt es in Deutschland viele .NET User Groups (siehe http://europe.ineta.org/Countries/Germany/Home/tabid/178/Default.aspx)
Auch dort wird kritisch diskutiert.

Entscheiden muss am Ende jeder selbst. Im Zweifel werden die toten Pferde weiter geritten ;-)

Viele Grüße,
Stefan Lieser