Ende Juni 2014 hatte ich versprochen, ich würde nun auch noch expliziter das Lernen in meine Arbeitszeit einbauen. Zwar besteht mein Job als Berater, Trainer, Autor zu einem großen Teil ohnehin aus Lernen, doch das hat eine andere Qualität als das, was ich meinen Seminarteilnehmern und Kunden nahelege. Mein Job ist Lernen, deren Job ist es nicht.1
Wenn ich Softwareentwickler empfehle, in der Arbeitszeit zu lernen, dann bürde ich ihnen scheinbar eine extra Aufgabe auf. Das war bei meinem Lernen bisher nicht der Fall gewesen. Deshalb wollte ich mein Lernen noch expliziter machen; es sollte auch für mich eine zusätzliche Aufgabe im Tagesgeschäft werden, damit ich einmal fühle, wie es meinen Kunden geht.
Mein Commitment war, dass ich wöchentlich während der Arbeitszeit 2+ Stunden mich auf diese Aufgaben konzentriere:
- Französisch lernen
- Bücher zu Sachthemen außerhalb normaler Lernthemen lese
- Meditiere, d.h. "Ruhe und Fokus lernen"
Und ich hatte versprochen, über meine Erfahrung mit solchem extra Lernen nach drei Monaten zu berichten. Hier nun meine Beobachtungen:
Das sind zwei Auszüge aus meinem Lernprotokoll, das ich mit Lift geführt habe.
Sie sehen, lückenlos ist das nicht. Meine erste Beobachtung also: Es ist nicht leicht. Es ist nicht leicht, an jedem Arbeitstag die 15-30 Minuten aufzuwänden. Irgendetwas anderes schien oft dringender und so war das Lernen dann verschoben auf später und dann auf den nächsten Tag.2
Gelegentliche "Planübererfüllung" hat das zum Teil wett gemacht, ist langfristig aber keine erfolgversprechende Strategie, würde ich sagen. Das ist wie mit dem Refactoring: wenn man es länger und länger nicht tut, dann ist der Berg am Ende so groß, dass man es auch nicht nachholen kann.
Außerdem ist der mentale "Umschaltaufwand" gerade beim Französich Lernen für mich teilweise so hoch, dass in der kurzen Zeit die echte Lernaufmerksamkeit dann noch kürzer ist. Das fühlt sich ineffizient an.
Die Lehre, die ich daraus ziehe: Extra Lernen macht in so kleinen Tageshappen nur sehr bedingt Sinn. Besser scheint mir ein wöchentlicher Lernblock von 2+ Stunden.
Manchmal habe ich mir aber auch selbst ein Bein gestellt. Die beste Zeit für Französisch und Sachbuch war der Vormittag - ebenso jedoch auch fürs Schreiben. Welcher Tätigkeit dann den Vorzug geben? Die Entscheidung fiel mir leichter fürs Schreiben.
Die nächste Lehre daher: Der Zeitpunkt für Lernen will gut gewählt sein. Und wenn er einmal gewählt ist, sollte die Entscheidung nicht immer wieder neu getroffen werden müssen. Da geht Kraft verloren. Da zieht Lernen allzu schnell den Kürzeren. Vertagen scheint so einfach, so schmerzfrei. Doch in Wirklichkeit wird nicht vertagt, sondern gestrichen.
Aber auch von solchen Äußerlichkeiten unabhängig fiel mir das Lernen nicht immer leicht. Ich habe Wellen der Motivation gespürt. Manchmal klappte es besser, dann war ich für den nächsten Tag motivierter; manchmal klappe es nicht so gut, dann hatte ich am nächsten Tag nicht soviel Lust, mich weiterem Frust auszusetzen.
Solche ups and downs lassen sich wohl nicht vermeiden. Aber ich denke, man kann sie mildern. Das ist wie beim Fitnesstraining. Die Lust am Morgen (oder Abend) sich aufzumachen, ist unterschiedlich - da hilft es, wenn jemand auf einen wartet.
Ich habe (wieder einmal) übers Lernen gelernt: Lernen macht mehr Spaß und funktioniert verlässlicher, wenn man es nicht allein machen muss. Das Mindeste ist ein Accountability Partner, d.h. eine Person, der man direkt in die Augen blicken und gegenüber Rechenschaft ablegen muss. Eine Person, die den Lerner zieht. Die ihn an seinen Vorsatz erinnert, ihn fordert (aber auch durchaus fördert).
Damit meine ich nicht unbedingt einen Lehrer, aber der kann es natürlich auch sein.
Ein Mitlerner ist genauso gut. Oder einfach nur jemand, der eben zieht und sonst nichts.
Lernen in Teams sollte deshalb nicht Sache der Einzelnen sein, sondern der Gruppe. Gemeinsam Lernzeit einrichten, gemeinsam lernen. Das hilft ungemein.
Unterschätzt habe ich am Ende allerdings vor allem einen Aspekt: Relevanz. Nach einer initialen Phase hoher Motivation bin ich beim Französisch Lernen in den Morast gekommen. Es ging nur zäh voran. Nicht, weil es besonders schwierig gewesen wäre. Es lag vielmehr an einer fehlenden Bedeutung des Französischen für mein sonstiges Leben.
Ich mag Französisch. Ich würde es gern lesen und auch sprechen können. Doch am Ende ist das nicht jeden Tag wieder genug Antrieb gewesen, um dauerhaft dabei ins Lernen zu kommen. Anders wäre es wahrscheinlich gewesen, hätte ich schon mehr Vokabular drauf gehabt und mit dem Lesen von spannenderer Lektüre anfangen können. So aber war dieses Thema sehr abstrakt.
Das bedeutet: Lernen funktioniert umso besser, je relevanter es für das sonstige Leben (hier: Arbeitsalltag) ist. Je kleiner der Sprung vom Lernen ins Tagesgeschäft, desto besser. Das muss nicht bedeuten, dass man alles anwenden kann oder Großartiges leisten muss. Aber immer wieder sollte im Arbeitsalltag etwas ein Stückchen leichter fallen, besser werden.
Das habe ich bei der Lernaufgabe "Sachbuch lesen" positiv gemerkt. Dort habe häufiger Impulse für die Arbeit bekommen.
Diese Retrospektive zu meinem Lern-Commitment mag ernüchternd klingen. Es hat nicht so einfach geklappt, wie gedacht. Auch die Öffentlichkeit, in die ich mich mit dem Commitment begeben hatte, hat daran nicht viel geändert.
Doch ich sehe es positiv: Immerhin habe ich dabei etwas gelernt. Auf der Meta-Ebene. Für mich selbst, für meine Kunden oder für Sie braucht es neben der Erkenntnis, dass Lernen wichtig ist, und dem guten Willen einfach noch ein paar Rahmenbedindungen:
- Wenn es um echten Lernstoff geht, dann besser jede Woche eine längere Lernzeit einplanen (2+ Stunden).3
- Einen Lernpartner oder zumindest einen Accountability Partner suchen.
- Immer wieder probieren, den Lernstoff im Alltag anzuwenden. Sozusagen inkrementelles Lernen à la Agilität, d.h. es entsteht sofort Nutzen.
Das mögen jetzt keine weltbewegenden Einsichten sein. Irgendwie klingt das doch selbstverständlich. Und doch ist es nochmal etwas anderes, diese Einsichten durch Erfahrung gewonnen zu haben.
Angesichts der Wichtigkeit des Lernens und auch des Lernens während der Arbeitszeit, in sich immer wieder etwas anderes dazwischen drängt, ist jeder Gewinn an Klarheit jedoch ein Fortschritt, finde ich. Mit dem falschen Fuß loszugehen, sich Illusionen hinzugeben, enttäuscht nur. Besser ist es, von Anfang an ein realistisches Rahmenwerk aufzubauen.
In diesem Sinn ist auch die CCD School gedacht. Sie bietet nicht nur Input fürs Lernen, sondern auch eine Form der Begleitung, der Accountability Partnerschaft. Offline geht das im Monatsrhythmus, online auch häufiger.
Zu guter Letzt aber doch noch ein Trost: Ich habe auch festgestellt, dass sich manches verselbstständigt. Ich mag mich schließlich nicht so regelmäßig und dauerhaft zur Meditation hingesetzt haben, wie geplant - doch das, was ich damit erreichen wollte, hat sich auf anderem Wege in mein Leben eingeschlichen. Die Fokussierung und das Konzentrieren auf "Innen" finden inzwischen "einfach so" immer wieder statt.
Manchmal wird aus extra Lernen also neue Gewohnheit. Dann macht das Thema keine Last mehr, sondern ist Alltag, gar Lust.
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Ob das wirklich eine günstige Sichtweise ist, die Arbeit von Softwareentwickler als nicht (oder nur wenig) lernend anzusehen, lasse ich hier einmal dahingestellt.↩
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Dazu kam, dass ich nicht jeden Tag meine Arbeitszeit einteilen konnte, wie ich wollte, weil ich in Trainings- und Beratungen beim Kunden war.↩
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Anders ist es mit Gewohnheiten oder einzelnen Handlungen. Meditation lässt sich nicht auf einmal pro Woche konzentrieren. Genauso wenig eine tägliche Reflexion, wie sie der Rote Grad des Clean Code Development empfiehlt.↩