Dienstag, 19. November 2013

Investitionssicherheit – Meine Definition

Investitionssicherheit scheint keine Definition zu haben. Wikipedia schweigt. Der Duden schweigt. Kaum zu glauben. Der Begriff wird zwar benutzt – Google findet knapp 290.000 Seiten dazu –, doch alle scheinen eine Definition vorauszusetzen – die ich leider nicht finde. Und das, wo es mir doch so wichtig geworden ist als eines der anzustrebenden Ziele in der Softwareentwicklung. Also muss ich mir wohl selbst Gedanken machen, was genau darunter zu verstehen ist.

Was eine Investition ist, findet sich noch bei Wikipedia. Dort ist eine Investition in der Geschäftswelt eine Verwendung finanzieller Mittel, um Gewinn zu steigern, vor allem durch Sachanlage. Platt gesagt: Ein Unternehmen gibt Geld für eine Sache aus, damit es am Ende mehr Geld hat.

Beispiel: Ein Frisör kauft für 250 EUR einen Powerföhn, um pro Tag 1 Kunden mehr bedienen zu können (ein Umsatzplus von 50 EUR) und pro Woche 3 Kunden das Föhnen als Dienstleistung zusätzlich zu verkaufen (ein Umsatzplus von 3 x 5 EUR). Motto: Selber föhnen kann man zuhause; wer zum Frisör geht, soll es bequem haben.

Pro Monat ist das also ein Umsatzplus von 4 x (50 + 3 x 15) = 4 x 95 = 380 EUR. Dafür sind keine weiteren Fixkosten nötig, sondern nur die Investition in den Powerföhn. (Einen erhöhten Stromverbrauch lasse ich mal außen vor ;-)

Würde die sich lohnen? Selbstverständlich. Es wäre eine erfolgreiche Investition. Schon nach einem Monat wären die Kosten durch das Umsatzplus wieder eingespielt – und sogar noch 130 EUR zusätzlich. Im ersten Jahr wären die Mehreinnahmen 130 EUR + 11 x 380 EUR = 4.310 EUR. Das nennt man einen guten Return-on-Investment (ROI), würde ich sagen.

Was ist nun aber die Sicherheit in Bezug auf diese Föhn-Investition? Ist die umso größer, je sicherer (verlässlicher, erwartbarer) durch die Sachanlage das Ziel “1 Kunde mehr pro Tag und 3 Mal Föhnen pro Woche mehr” erreicht wird? Was, wenn die Kunden knapp bei Kasse sind und pro Woche nur einer sich föhnen lassen will? Was, wenn der Powerföhn nur mehr Leerlauf herstellt, weil die Kunden schneller fertig sind, aber keine weiteren anstehen, die bedient werden könnten?

Das sind legitime Fragen, es gibt also ein Risiko bei der Investition. Es ist unsicher, ob die Investition in den Powerföhn sich auszahlt. Doch dieses Risiko hat nichts mit dem Powerföhn selbst zu tun. Es ist vorhanden bei gegebenen Eigenschaften des Powerföhns. Und ob die dazu führen, dass ein gewünschtes Ergebnis eintritt… daran kann der Powerföhn nichts ändern. Er kann nur wie vom Hersteller versprochen leisten, wenn er leisten soll.

Neben dem Risiko, das in einer Idee/Maßnahme steckt – Kommt es zu den Einsätzen die Powerföhns wie gewünscht? –, gibt es aber noch ein zweites. Das steckt in der Sachanlage selbst. Da lautet die Frage nämlich: Wie sicher ist es, dass die Sachanlage leistet, wie versprochen und geplant?

Es könnten ja Kunden im Frisörladen Schlange stehen und alle sich bequem föhnen lassen wollen. Nur leider streikt der Powerföhn: Er läuft zu schnell heiß, andauernd müssen Ersatzteile gekauft werden, die Temperatur ist nicht stabil, so dass Kunden sich über Kopfhautrötungen bzw. Verkühlung beschweren… In dem Fall wäre das Konzept grundsätzlich aufgegangen – aber die Investition in den Powerföhn verfehlt. Besser wäre vielleicht gewesen, den Ultraföhn des Wettbewerbers zu nehmen. Wer weiß…? Investitionen haben also ein in der Sachanlage inhärentes Risiko. Oder umgekehrt: Investitionen haben eine mehr oder weniger große Sicherheit.

Der Begriff Investitionssicherheit steht mithin für eine Wahrscheinlichkeit, dass eine Sachanlage für das investierte bzw. absehbar noch nachzuschießende Geld (Reparaturen, Wartung) über einen festgelegten Zeitraum leistet, was sie leisten soll.

Beim Powerföhn scheint die Investitionssicherheit sehr groß, würde ich sagen. Zwischen 4.310 EUR und 250 EUR ist soviel Luft, da kann der Powerföhn auch ein paar Mal kaputtgehen oder gar neu gekauft werden, und es entsteht immer noch ein Umsatzplus – sofern “der Markt”, d.h. die Nachfrage im Laden den Erwartungen entspricht.

Auch wenn Software immateriell ist, also eher keine Sachanlage darstellt, bietet sie natürlich auch Investitionssicherheit. Wer eine Fibu-Software kauft, hat die Idee, dadurch den Gewinn zu steigern. Wahrscheinlich soll das durch Reduktion von Kosten geschehen, vielleicht aber auch durch Steigerung von Umsatz, weil der buchhaltende Geschäftsführer wieder mehr Zeit hat, sich um den Verkauf zu kümmern.

Ob dieser Gewinnzuwachstraum in Erfüllung geht, hängt zumindest zum Teil davon ab, ob die Fibu-Software tatsächlich leistet, was sie leisten soll. Und zwar nicht nur heute, sondern auch in Zukunft. Und das ist der Knackpunkt: “auch in Zukunft”.

Investitionssicherheit hat auch bei Software natürlich mit der unmittelbaren heutigen Funktionalität und Qualität zu tun. Kann eine Software rechnen? Ist die Berechnung korrekt? Ist die Berechnung schnell genug?

Anders als in der materiellen Welt verfallen Funktionalität und Qualität jedoch nicht. Es gibt keinen Verschleiß. Was die Software heute kann, kann sie auch noch morgen und übermorgen. Haltbarkeit ist kein Problem bei Software. Wo ein Föhn mit der Zeit durch Gebrauch (oder sogar bei Nichtgebrauch) schwächeln mag, ist Software immer bereit wie am ersten Tag.

Ob diese Bereitschaft jedoch genügt…? Wie schon früher argumentiert, tut sie das nicht. Investitionssicherheit jenseits des Offensichtlichen und damit ganz eigentlich bedeutet bei Software das Gegenteil von dem, was sie bei Hardware bedeutet, nämlich Wandelbarkeit.

Wer in eine Fibu oder einen online Shop oder ein HUD für online Poker oder ein CRM investiert, der empfindet die Sicherheit nur als hoch, wenn die Software sich in einem abschätzbaren Kostenrahmen über den festgelegten Zeitraum auch verändern lässt. Veränderungen sollen also erstens überhaupt möglich bleiben und zweitens nicht zu teuer werden.

Die Investitionssicherheit ist mithin gering, wenn bei einer erwarteten Nutzungsdauer von 5 Jahren die Entwickler nach 4 Jahren anfangen zu sagen, dass eine Veränderung kaum mehr einbaubar ist. Besser wäre gewesen, das schon 2 Jahre vorher getan zu haben, weil es jetzt überproportional teuer wird. In dem Fall leistet die Softwareanlage nicht, was sie leisten soll, auch wenn am Anfang niemand wusste, was einmal nötig sein würde. Aber so ist das halt mit Software. Da ist Software besonders.

Und deshalb ist Investitionssicherheit für mich eine ganz eigene Anforderung getrennt von Funktionalität und Qualität, auf deren Erfüllung ebenso konstant geachtet werden muss. Also muss es dafür auch einen echten Stakeholder geben.

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