Das ist Beatrix Biczok. Sie ist Fitness Trainerin in Hamburg. Von ihr können wir als Softwareentwickler etwas lernen.
Als Fitness Trainerin ist es ihr Aufgabe, ihren Kunden zu helfen, Ziele zu erreichen. Die möchten vielleicht kräftiger oder beweglicher werden oder sie wollen abnehmen. Beatrix leitet sie zu diesem Zweck bei körperlichen Übungen an. Ob dabei Geräte zum Einsatz kommen oder nicht, hängt vom Ziel ab.
In jedem Fall müssen die Übungen in bestimmter Weise durchgeführt werden. Es gibt also richtig oder falsch. Vom Liegestütz über Klimmzug bis zum Umgang mit der Langhantel kann man effektiv trainieren oder eben nicht. Man kann Übungen so ausführen, dass sie größtmöglichen Effekt in Bezug auf das Ziel haben. Man kann Übungen so ausführen, dass sie den Körper schonen. Gelenke sollen sich nicht abnutzen, Muskeln nicht reißen, Sehnen nicht überdehnt werden, der Kreislauf nicht überlastet werden.
Zentral für die Arbeit von Beatrix ist, dass sie gerade darauf besonders achtet. Ihr ist die Qualität der Ausführung der Übungen gerade in Bezug auf die Schonung wichtig. Die steht bei ihr über der Zielerreichung. Oder genauer: Die gibt den Rahmen für die Zielerreichung vor.
Bei ihr kann man sein Ziel nur so schnell erreichen, wie es bei körperschonender Ausführung der Übungen möglich ist. Beatrix ist natürlich kundenorientiert. Sie nimmt die Ziele ihrer Kunden absolut ernst – allerdings nicht unter allen Umständen. Sie erlaubt sich, ihren Kunden nämlich insofern reinzureden, als dass sie ihnen Grenzen aufzeigt. Ihr Qualitätsbewusstsein steuert den Fortschritt, nicht der unbedingte Wille des Kunden.
Insofern handelt sie im Sinne Heinz von Försters ethisch: Sie bemüht sich darum, die Zahl der körperlichen Optionen Ihrer Kunden zu vergrößern – und mindestens zu erhalten. Denn Raubbau an der Gesundheit durch falsche Ausführung von Übungen mag zwar kurzfristig größere Schritte in Richtung Ziel ermöglichen – langfristig jedoch verringern sich dadurch die Optionen, wenn Schäden an Bewegungsapparat oder Kreislauf entstehen. Ein Ergebnis, das viele ehemalige Spitzensportler bezeugen können.
Wo ist der Bezug zur Softwareentwicklung?
Softwareentwicklung hat auch den Zweck, ihren Kunden zu helfen, Ziele zu erreichen. Wer eine Software kauft/in Auftrag gibt, der verspricht sich davon Nutzen. Möglichst schnell, möglichst umfassend. So wie ein Fitnessjünger auch möglichst schnell und umfassend kräftiger, beweglicher, schlanker werden will.
Das ist verständlich. Solches Ziel zu erreichen, wollen und sollen Fitnesstrainer wie Softwareentwickler erreichen helfen. Nach Kräften. Aber eben nicht bedingungslos. Denn eine Forderung stellt jeder Kunden implizit immer: Hilfe soll nachhaltig sein. Sie soll seine Optionen in naher Zukunft vergrößern – aber nicht auf Kosten seiner Optionen in fernerer Zukunft. [1]
Qualität in der Ausführung in jedem Moment ist für Beatrix mithin kein Selbstzweck. Das hat nichts mit Eleganz, romantischer “Handwerkskunst” oder Prinzipienreiterei zu tun. Es ist vielmehr Ergebnis der Erkenntnis, dass unbegrenzter Eifer letztlich zu persönlicher Unzufriedenheit oder gar volkswirtschaftlichem Schaden führt.
Qualität ist keine Spinnerei, sondern ökonomisches Primat – wenn, ja, wenn die mittelfristige Zukunft Bedeutung hat.
Wenn Softwareentwicklung das Ziel einer (nicht-)funktionalen Anforderungen ins Auge fasst, da sollte sie eingedenk der Erfahrung im Fitness Bereich sein. Sie sollte auf hohe Qualität bei jedem Schritt achten, um die Zahl der Optionen ihres Kunden in der Zukunft nicht auf Kosten schneller Erfolge zu verringern. Wenn Sorgfalt dann etwas mehr Zeit brauchen sollte… dann ist das eben so. Nicht der Kunde bestimmt die innere Qualität einer Ausführung, sondern der Softwareentwickler. Nur er kann sich wirklich ein Urteil darüber erlauben. Nicht der Fitnessjünger bestimmt, ob er eine Übung gut ausgeführt hat, sondern eine Qualitätssicherungsinstanz wie Beatrix.
Lassen wir uns also nicht die Butter vom Brot nehmen in der Softwareentwicklung. Kein Laie – weder Kunde, noch Manager – soll uns sagen, wie wir Software zu entwickeln haben. Wir wollen gern helfen, ihre Ziele zu erreichen – aber die Qualität darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. Und wenn die Auftraggeber das nicht verstehen, dann müssen wir es ihnen immer und immer wieder erklären.
Beim Körper sind die Symptome falscher Ausführung von Übungen bekannt: Muskelkater, Zerrung, Muskelriss, Entzündung, Knochenbruch, zerplatzte Adern… Oder einfacher: Schmerz ist das Resultat qualitativ minderwertiger Ausführung. [2]
Und was sind die Symptome falscher Ausführung der Softwareentwicklung? Was, wenn dort nicht bei jedem Schritt auf Qualität geachtet wird? Dann leidet die Organisation Schmerzen. Der drückt sich entweder in persönlichen Schmerzen der Mitarbeiter aus: da reicht er von Lustlosigkeit über “Dienst nach Vorschrift” und psychische/somatische Krankheit bis zum Verlassen des Unternehmens. Oder er drückt sich in Mängeln auf Systemebene aus: Zeitmangel, Geldmangel, Personalmangel.
Schmerz zeigt an, wo Kompensationsfähigkeit überschritten ist.
Der Zweck von Fitness Training ist nun aber, Kompensationsfähigkeit aufzubauen. Es tut daher gut daran, keine Schmerzen zu erzeugen. Dito die Softwareentwicklung. Daher sollte Qualität den Rahmen bei der Softwareentwicklung vorgeben, in dem andere Ziele angestrebt werden, und nicht ein nice-to-have Anhängsel sein.
Das können wir von Beatrix als Fitness Trainerin lernen.
Fußnoten
[1] Von Notsituationen, in denen ungewiss ist, ob es überhaupt eine fernere Zukunft gibt, sehe ich einmal ab. Wer sich in einer Unfallsituation durch eine “körperliche Übung” in Sicherheit bringen muss, kann und soll nicht auf deren saubere Ausführung achten. Es zählt einzig der unmittelbar maximale Effekt. Wenn dabei eine Zerrung oder Schlimmeres entsteht, die langfristig eine Einschränkung darstellt, dann ist das im Vergleich zum Schaden vernachlässigbar. Es wurde unter Umständen überhaupt eine Zukunft erschaffen, was ja eine fundamentale Erhaltung von Optionen darstellt.
Dito in der Softwareentwicklung. Hier mag es zum Beispiel bei einem Startup nötig sein, überhaupt eine Software herzustellen, um fundamental Optionen in der Zukunft zu haben. Wenn die nicht sauber ausgeführt ist, also eigentlich nicht nachhaltig, dann ist das für den Moment verzeihlich.
[2] Dass es auch Menschen gibt, die Schmerz lieben, ihn quasi als Qualitätskriterium ansehen, ist nicht zu leugnen. Jenseits einer gewissen Grenze, kann das aber als Perversion bzw. pathologisch angesehen werden. Ob wir uns dann als Befriedigungsgehilfen einspannen lassen… das muss jeder für sich überlegen. Als Normalzustand sollten wir es nicht ansehen.
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