Kann Unternehmensorganisation von der Softwareentwicklung etwas lernen? Dass umgekehrt Softwareenwicklung von der Unternehmensorganisation lernen kann, zeigt ja in der letzten Zeit sehr schön Kanban. Das Vorgehensmodell überträgt erfolgreiche Organisationsmuster aus warenproduzierenden Unternehmen in die Programmierung
Aber auch umgekehrt ist Lernen möglich. Die Komponentenorientierung ist ein Beispiel, wo Unternehmen der Softwareentwicklung etwas abschauen können.
Komponenten in der Softwareentwicklung
In der Softwareentwicklung stehen Komponenten zunächst für Wiederverwendbarkeit, d.h. den unveränderten Einsatz von Code in verschiedenen Anwendungen. Die Motivation dahinter ist die Erhöhung des ROI: Wenn schon in Code investieren, dann am besten in einer Weise, dass der möglichst häufig zum Einsatz kommen kann.
Beispiel Rechtschreibprüfung: Wenn ein Softwareentwicklungsteam einen Blog-Editor entwickeln soll und dafür eine Rechtschreibprüfung braucht, dann tut es gut daran, diese Funktionalität so zu formen und zu verpacken, dass sie nicht nur im Blog-Editor zum Einsatz kommen kann, sondern auch in einem zukünftigen Twitter- oder Google+-Client oder auch noch in einem Chat-Client oder Email-Client.
Die Entwicklungskosten mögen für eine solch allgemeinere Rechtschreibprüfung etwas höher sein als für eine Blog-Editor-spezifische - doch das wird kompensiert durch zukünftige Ersparnisse. Bei den anderen Produkten fallen keine weiteren Kosten für die Rechtschreibprüfung mehr an.
Programmcode wiederverwendbar auszulegen, d.h. Komponenten zu entwickeln, spart also Geld. Noch mehr Geld spart jedoch, Programmcode gar nicht mehr zu entwickeln, sondern einzukaufen. Warum sollte das Softwarehaus überhaupt eine Rechtschreibprüfung entwickeln? Rechtschreibprüfung ist eine so grundlegende Aufgabe für viele Programme, dass sicherlich schon andere vor dem Softwarehaus dafür Lösungen entwickelt haben. Warum also nicht eine solche Lösung einkaufen? Das kostet zwar Geld, aber der enorme Aufwand, den Entwicklung und Pflege einer eigenen Rechtschreibprüfung bedeuten würden, steht gewöhnlich in keinem Verhältnis zum Kaufpreis einer Komponente oder gar eventueller Lizenzgebühren.
Wo die Aufgabe einer Software sich standardisieren lässt, sollte also nach einer existierenden Komponente Ausschau gehalten werden. Das ist eine Entscheidung für buy statt build, für den Einkauf statt den Selbstbau.
Die Entwicklung von allgemeinen Komponenten statt immer wieder spezieller Softwarebausteine spart also Kosten, wenn zu erwarten ist dass sie wiederholt zum Einsatz kommen.
Der Einkauf von Komponenten statt ihrer Entwicklung spart darüber hinaus Kosten, selbst wenn kein wiederholter Einsatz im eigenen Haus zu erwarten ist.
Software aus existierenden Komponenten zusammenzusetzen spart Geld; doch selbst wenn die Kosten genauso hoch wären wie die einer Eigenentwicklung oder vielleicht sogar etwas höher, wäre der Einkauf existierender Komponenten der Eigenentwicklung vorzuziehen.
Der Nutzen eingekaufter Komponenten liegt nämlich nicht nur in einer wahrscheinlichen Kostenersparnis, sondern in der Freisetzung von Ressourcen. Wo Funktionalität nicht selbst entwickelt werden muss, kann man seine Aufmerksamkeit etwas anderem widmen.
Der Einkauf von Komponenten, die für Standardfunktionalität existieren, konzentriert die Arbeitskraft auf das, was nicht standardisierbar ist. Und genau dort liegt die Aufgabe eines Teams.
Der Job eines Teams, das einen Blog-Editor entwickeln soll, ist es vor allem, sich auf das "Blog-Editor-hafte" zu konzentrieren. Was macht einen Blog-Editor aus? Wie unterscheidet er sich von einer allgemeinen Textverarbeitung, wie unterscheidet er sich von einem Twitter-Client? Alles, was ein Blog-Editor mit anderen Programmen gemein hat, sollte das Team nicht selbst programmieren müssen, sondern einkaufen.
Damit erreicht es, dass es mit dem, worum es ihm eigentlich geht, schnellstmöglich voran kommt.
Standardfunktionalität selbst zu entwickeln ist ein Luxus, den Teams sich leisten können, wenn sie durch das Mehr an Kontrolle über diesen Softwareteil, einen deutlichen Vorteil erlangen. [1] Das ist allemal in frühen Phasen eines Softwareprojektes eher selten der Fall. Projekte werden ja nicht aufgesetzt, um etwas Existierendes zu duplizieren, sondern einen Unterschied zu machen. Auf diesen Unterschied müssen deshalb alle Kräfte ausgerichtet sein.
Neben der durch Wiederverwendbarkeit ermöglichten Konzentration auf das Wesentlich bieten Komponenten aber noch einen weiteren Vorteil: Austauschbarkeit. Komponenten sind Black Boxes, deren Aufgabe durch einen separaten Kontrakt definiert ist. Wie welche Daten wann zwischen ihnen und der Umgebung fließen, das ist unabhängig davon beschrieben, wie konkret sie ihre Aufgabe erfüllen, d.h. wie sie implementiert sind. Kontrakte verbergen Details, mit denen sich Komponentennutzer nicht herumschlagen wollen und sollten.
Kontrakte für Standardfunktionalität sind Standardkontrakte. Das heißt, nicht nur eine bestimmte Komponente kann sie erfüllen, sondern viele verschiedene Varianten oder Modelle einer Komponente. Das Blog-Editor Team, das komponentenorientiert denkt und entwickelt, ist also nicht darauf angewiesen, die Rechtschreibkomponente von Hersteller X zu verwenden. Wenn es damit Erfahrung gesammelt hat und unzufrieden ist, kann es zur Rechtschreibkomponente von Hersteller Y wechseln. Das ist selbst dann der Fall, wenn es zunächst in eine eigene Rechtschreibkomponente investiert haben sollte (out-sourcing, buy) - oder umgekehrt, wenn es später von einer eingekauften Standardkomponente zu einer Eigenentwicklung wechseln will (in-sourcing, build).
Komponentenorientierung reduziert die Gefahr eines lock-in, d.h. der Festlegung auf eine ganz bestimmte Implementation von Funktionalität. Das ist günstig, falls die Implemenation in puncto funktionaler oder nicht-funktionaler Anforderungen nicht mehr genügt oder der Anbieter sich als unvorteilhaft erweist.
Es gibt noch weitere Vorteile der Komponentenorientierung für die Softwareentwicklung. Doch schon die aufgezeigten können der Unternehmensorganisation Impulse geben.
Die Vorteile von Komponenten nochmal auf den Punkt:
- Komponenten setzen Ressourcen frei
- Komponenten entkoppeln
Komponentenorientierung in der Unternehmensorganisation
Unternehmen haben über "Geld verdienen heute und in Zukunft" eine inhaltliche Mission. Sie bieten einen Haarschnitt, Möbel, Hausbau, Entrümpelung und Millionen andere Leistungen. Ziel jedes Unternehmers, insbesondere jedes Gründers, sollte daher sein, die besonders knappe Ressource Aufmerksamkeit auf seine Mission zu fokussieren.
Beispiel Ad-hoc Buchdruck: Die Mission des Unternehmens ist, Lesern von elektronischen Dokumenten - seien es PDFs oder Web-Seiten - die Möglichkeit zu geben, daraus Bücher zu machen. Beliebige Seiten beliebiger Dokumente sollen ad-hoc zusammengefasst werden können. Und diese Zusammenfassungen sollen dann on-demand in beliebiger Auflagenhöhe, d.h. beginnend mit Auflage = 1, als Buch gedruckt und innerhalb von 2 Tagen geliefert werden.
Was kann der Entrepreneur, der eine solche Leistung aufbauen möchte, nun von der Komponentenorientierung lernen?
1. Out-sourcing vs in-sourcing
Der Entrepreneur sollte sich fokussieren auf das, was seine Idee, sein Geschäft ausmacht. Für das Beispiel ist das die einfache individuelle Zusammenstellung von Inhalten zu Büchern, der Druck von Einzelexemplaren und die schnelle Lieferung.
Print-on-demand Dienste wie epubli oder lulu.com bieten das heute auch schon grundsätzlich - nur nicht in dieser Einfachheit und Geschwindigkeit. Die nicht-funktionalen Aspekte machen mithin die Geschäftsidee aus: individuelle Bücher aus existierenden Inhalten in Auflage 1 drucken und übermorgen liefern. Darauf muss sich der Entrepreneur fokussieren.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Alles, was nicht im Fokus seiner Mission ist, sollte der Entrepreneur nicht selbst leisten. Stattdessen sollte er nach Komponenten Ausschau halten, die es für ihn leisten.
Sollte der Entrepreneur seine Buchhaltung selbst machen? Nein. Das gehört nicht zu seiner Mission.
Sollte er selbst drucken? Nein, jedenfalls nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Drucken ist zwar Teil der Idee, doch deren Unterschied zu existierenden Angeboten besteht nicht in Funktionalität (Buchdruck), sondern in einer Qualität der Funktionalität (Geschwindigkeit). Die Aufgabe des Entrepreneurs ist es daher, Buchdruck nicht zu ermöglichen, sondern zu beschleunigen. Wenn er das kann, ohne selbst zu drucken, dann ist das der einzuschlagende Weg.
Sollte er selbst das Marketing machen? Nein. Das gehört nicht zu seiner Mission. Der Entrepreneur hat die Idee von einem Ganzen. Dieses Ganze aus Teilen zusammenzufügen, das ist seine vornehme Aufgabe. Er ist Integrator und Koordinator, nicht Executor.
Sollte der Entrepreneur selbst die Homepage seines Unternehmens erstellen? Nein. Das gehört nicht zu seiner Mission.
"Selbst machen" bezieht sich bei diesen Fragen nicht nur darauf, ob der Entrepreneur als Person, sondern ob sein Unternehmen eine Aufgabe selbst erledigt. In-sourcing vs out-sourcing ist die Frage.
Und die Antwort der Komponentenorientierung ist: out-sourcing soweit möglich, in-sourcing soweit nötig.
Dem out-sourcing kann natürlich das Budget entgegenstehen. Wo das Geld knapp/unsicher ist, tendieren Unternehmensgründer daher zum in-sourcen. Lieber die Buchhaltung im eigenen Haus, lieber die das Sekretariat im eigenen Haus, lieber Lager und Auslieferung im eigenen Haus usw.
Wo es vergleichbare Leistungen nicht am Markt einzukaufen gibt, stellt sich die Frage nach dem out-sourcing nicht. Immer mehr Leistungen lassen sich heute jedoch einkaufen. Der Gründer hat also die Alternative. Und er sollte sich im Zweifel für das out-sourcing entscheiden.
In-sourcing kostet auch Geld, manchmal vielleicht sogar weniger. In-sourcing hat aber mehrere Nachteile, die sich gerade ein Gründer bewusst machen sollte:
- In-sourcing erfordert Führung. Out-sourcing erfordert nur Koordination der zugekauften Komponente mit anderen; aber in-sourcing braucht darüber auch noch Führung der "Implementation" einer Leistung. Sie ist keine Black Box. Der Entrepreneur muss sich um die einzelnen Mitarbeiter kümmern.
- In-sourcing bindet. Ein Dienstleister kann ohne moralische Bedenken gewechselt werden; eigenen Mitarbeitern kann und/oder will man nicht so leicht kündigen.
- In-sourcing erzeugt Fixkosten. Zugekaufte Leistungen werden meist nach Aufwand/Stück abgerechnet. Hat das Geschäft keinen Bedarf, fallen keine Kosten an. Interne Leistungen kosten jedoch immer Geld, auch wenn es nichts zu tun gibt. Gehälter und Mieten laufen weiter.
Der Leitstern des Unternehmers sollte immer der Fokus sein. Bei jeder Entscheidung über in- vs out-sourcing sollte die Frage lauten: Wie kann ich mich mehr auf die eigentliche Mission konzentrieren?
Für Gründer kommt dann noch als zweite Frage hinzu: Wie kann ich flexibel bleiben, falls ich den Kurs des Unternehmens ändern muss?
2. Austauschbarkeit durch Kontrakte
Egal, ob eine Leistung selbst erbracht oder eingekauft wird, sie sollte klar kontouriert werden. Die Schnittstellen zwischen den Komponenten - ob interne oder externe - sind klar zu definieren. Kontrakte sollte so ausgelegt werden, dass die Kopplung zwischen Komponenten so lose wie möglich ist.
Wie eng Leistungserbringer - Abteilungen oder externe Dienstleister - gekoppelt sind, hängt davon ab, wie stark Änderungen auf der einen Seite des Kontraktes Änderungen auf der anderen Seite hervorrufen können.
Wenn der ad-hoc Buchdruck zum Beispiel den Versand selbst übernimmt, dann haben personelle Änderungen darin größere Auswirkungen, als bei Einbindung einer externen "Versandkomponente". Eine "Versandkomponente" ist für den Entrepreneur eine Black Box. Wie sie ihren Kontrakt erfüllt, ist ihm egal. Sollte es dort personelle Änderungen geben, darf das laut Vertrag keinen Einfluss auf die Leistungsqualität haben.
Intern lässt sich solche Entkopplung jedoch kaum herstellen. Und der Austausch einer internen "Versandkomponente" fällt auch nicht leicht.
Externe Komponenten erhöhen mithin die Flexibilität eines Unternehmens - zumindest ganz allgemein. Das ist besonders für Gründer wichtig. Die sind ja für ihre Mission noch auf der Suche nach einem Erfolgsweg. Da sollten sie in der Lage sein, Leistungen einfach zu verändern und auszutauschen. Bei internen Leistungen fällt das jedoch schwerer als bei externen. Mindestens die Kontrakte sind weniger explizit.
Deshalb sollte ein Unternehmen Wert darauf legen, nach Identifikation seiner Komponenten, deren Kontrakte möglichst ausdrücklich zu formulieren, ganz unabhängig davon, ob nun in- oder out-sourcing stattfindet.
Dazu gehört aber nicht nur die Form der Schnittstelle, also die Oberfläche, an der Komponenten miteinander (re)agieren. Es ist auch zu bedenken, was in einer Komponente an "Zustand" angehäuft wird. Der sollte sich bei Austausch nicht als hinderlich erweisen.
Ein Beispiel dafür sind Email-Dienstleister wie Google oder Hotmail. Wer sie benutzt, interagiert mit ihnen nicht nur über einen Email-Client (z.B. Web-Client oder Outlook), sondern akkumuliert auch "Zustand"; das sind all die Emails, die beim Dienstleister im Archiv liegen.
Wenn nun der Email-Dienstleister gewechselt werden soll, darf dieser "Zustand" dem nicht im Wege stehen. Er soll erhalten bleiben, wenn man z.B. von Hotmail nach Google oder Exchange umzieht. Darin liegen ja wertvolle Informationen aus Jahren der Arbeit. Wenn das nun nicht möglich ist, dann liegt ein lock-in vor. Der ist zu vermeiden. Darauf muss bei der Formulierung des Kontrakts geachtet werden.
Gerade wer auf externe Komponenten zurückgreifen will, tut gut daran, von vornherein den möglichen Fall des Wechsels anzusprechen. Im Kontrakt sollte stehen, was in dieser Hinsicht möglich ist, worauf zu achten ist. Bei externer Buchhaltung oder zugekauftem Marketing mag das relativ einfach sein, aber externe Softwareentwicklung macht da z.B. traditionell Probleme.
Das sollte aber nicht gegen out-sourcing sprechen, sondern nur für eine sorgfältige Kontraktgestaltung. Die Vorteile des out-sourcing gerade für Gründer sind so groß, dass sie nicht durch Unsicherheit in diesem Punkt verspielt werden dürfen. "Ach, dann machen wir das halt doch selbst, wenn es die Vereinbarungen so schwierig sind." wäre die falsche Reaktion.
Ein in-sourcing mag die Kontraktdefinition einfacher machen; sie fällt womöglich sogar ganz unter den Tisch, weil ja eben eine Leistung im Haus erbracht wird. Da muss man sich ja nicht um eine explizite Beschreibung kümmern, oder?
Der einfachere, weil fehlende Kontrakt zwischen Komponenten zieht dann aber später Probleme an. Ohne explizite Kontraktgrenzen wird das Unternehmen monolithisch, d.h. zu einem wenig flexiblen Block. Das verhindert zukünftige Entwicklung. Wissen ist dann eher implizit denn explizit; Leistungen werden irgendwie denn durch einen sauberen Kontrakt beschrieben erbracht. Wachstum fällt dann schwer.
Fazit
Unternehmensorganisation kann von der Softwareentwicklung lernen. Unternehmen wie Software sind komplexe Systeme, die davon profitieren, sauber strukturiert zu sein. Und beide profitieren davon, wenn sie nicht alles selbst leisten müssen, sondern sich auf ihren eigentlichen Zweck konzentrieren können.
Unternehmen sollten ihre Leistung daher als eine Kooperation von "Belangen" verstehen, die von Komponenten erbracht werden. Diese Komponenten sind Black Boxes definiert durch Kontrakte. Für jede Black Box kann dann entschieden werden, ob sie intern aufgebaut oder extern eingekauft werden soll.
Der externe Einkauf von Komponenten hat insbesondere dann vorteile, wenn das Unternehmen noch "in der Findungsphase ist", d.h. besonders flexibel agieren muss. Dann bedeutet Zukauf von externen Komponenten ein Plus an Flexibilität und Konzentration bei gleichzeitig geringeren Fixkosten.
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Fußnoten
[1] Ein solcher Vorteil könnte in mehr Qualität bei nicht-funktionalen Anforderungen wie Performance, Sicherheit, Usability oder Internationalisierung liegen. Dass er bei der Funktionalität liegt, ist eher nicht zu erwarten, da es sich ja sonst nicht um Standardfunktionalität handeln würde.
Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Blog-Parade des
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