Soziokratische Geschäftsführung führt iterativ. Die Grundlage ist eine Lernschleife aus Messen, Reflektieren/Beschließen, Handeln - ganz ähnlich wie bei Scrum. Der soziokratische Führungsprozess ist also ein Kreisprozess.
Jetzt die Frage: Wie ist denn die Geschäftsführung in der Soziokratie organisiert? Zur Organisation des operativen Geschäftes sagt die Soziokratie nichts Spezielles. Sie ist vielmehr Ergebnis soziokratischer Geschäftsführung. Wenn die beschließt, das operative Geschäft hierarchisch zu belassen, dann ist das ok. Die soziokratische Theorie mischt sich also nicht in die Praxis des operativen Geschäftes ein. Sie gibt nur einen Rahmen vor, wie eine angemessene Organisation dafür gefunden werden soll. Welche das dann ist, ist der Soziokratie (oder Soziokratischen Methode, SKM) einerlei.
Insofern ist die Soziokratie als Methode auch leer. Sie ist auf kein spezifisches Geschäftsfeld zugeschnitten. Auch hier wieder Ähnlichkeit zu Scrum. Scrum ist ebenfalls leer. Ob Sie Software mit Scrum entwickeln oder eine Party planen, das ist Scrum einerlei. Scrum ist eine Methode zur Produktion von Lösungen bei wechselnden oder unklaren Anforderungen eines Kunden. SKM ist eine Methode zur Entwicklung von nachhaltigen Organisationen in einer volatilen Umwelt. Scrum ist nicht auf Softwareentwicklung festgelegt. SKM ist nicht auf Unternehmen festgelegt und schon gar nicht auf bestimmte Branchen. Mit SKM können Sie auch einen Verein führen.
Der Kreis als Grundbaustein soziokratischer Führungsorganisation
Also, wie sieht die Struktur soziokratischer Führung aus? Auch hier steht der Kreis im Mittelpunkt. Allerdings nicht als Prozess, sondern als Ort. Alles Auswerten von Feedback und Diskutieren und Beschließen von Veränderungen geschieht in Kreisen. (Mir fallen dazu gerade die früheren Versammlungen der Germanen ein, Thing genannt. Auch dort kam man im Kreis an der Thingstätte zusammen. Doch die Ähnlichkeit mit den SKM-Kreisen ist natürlich nur sehr weitläufig. Vor allem, weil SKM in der Durchführung von Kreissitzungen keine Regel für´s Betrinken zur Lockerung der Zuge kennt ;-)
Der Kreis fasst gleichberechtigte Teilnehmer zusammen und hat einen Leiter. Wie in dem Kreis gearbeitet wird, beschreibe ich in einem nächsten Posting. Heute geht es mir nur um die Struktur der SKM-Geschäftsführung.
Der Leiter des Kreises ist natürlich kein autokratischer Chef, sondern eher ein Moderator. Er leitet den Kreis im Sinne eines soziokratischen Prozesses durch Kreissitzungen.
Was bedeutet das für das Beispielunternehmen SoftWunder aus meinem früheren Posting? Das Unternehmen könnte auf die Führung durch einen soziokratischen Kreis umstellen:
Die bisherige hierarchisch autokratische Geschäftsführung wäre jetzt allerdings nur in einen Kreis umgewandelt. Das ist möglich und legitim, schöpft das Potenzial von SKM allerdings nicht aus. Wenn schon Änderung der Geschäftsführungsphilosophie in Richtung "lernende Organisation", warum dann nicht richtig? Bei einem so kleinen Unternehmen wie SKM wäre es möglich oder gar naheliegend und angezeigt, das gesamte Personal in einem geschäftsführenden Kreis zu organisieren:
Da haben wir nun den Salat. SKM ist eine partizipative Methode. SKM fördert die Einbindung sovieler Menschen wie möglich in unternehmerische Entscheidungsprozesse. Der Grund dafür ist ganz einfach: mehr Menschen in der Führungsorganisation liefern mehr Feedback. Feedback von innen aus dem operativen Geschäft und Feedback von außen, vom Markt. Im Sinne des Agilitätsmanifestes könnte man vielleicht sagen: "people over reports". Statt Feedback durch vorgegebene Kanäle zu schicken, besser direkt in einem Kreis geben.
Viele Menschen in SKM-Kreise einzubeziehen, ist aber nicht nur ein Vorteil für die Lernfähigkeit des Unternehmens! Durch solche Partizipation wird auch noch das allgegenwärtige Motivationsproblem angegangen. Wo die Literatur sich mit Ideen zur Motivation von Mitarbeitern überschlägt, setzt Soziokratie ein ganz simples Mittel dagegen: Teilnahme. Lass die Menschen teilnehmen, gib ihnen ernsthaft die Möglichkeit, sich einzubringen, dann fühlen sie sich wertgeschätzt und sind motiviert. Soziokratie ist insofern eine sinnstiftende Methode. Und Sinnempfinden ist der Motivator schlechthin. (Das hat übrigens die Motivationsliteratur auch schon gemerkt ;-)
Soziokratie ist also schon eine kleine Revolution. Zumindest werden es viele eingefleischte Führungspersonen in traditionellen Hierarchien so empfinden. "Wo kommen wir denn hin, wenn jeder bei der Geschäftsführung mitreden kann?" Nun, SKM sagt: Wir kommen weiter.
Soetwas lässt sich natürlich nicht gegen den Willen von Menschen einführen. Vor allem nicht gegen den Willen der bisherigen Geschäftsführung. Aber wenn die überzeugt ist, dann steht dem Versuch wenig im Wege, SKM einfach auszuprobieren. Ob die allgemeinen Bedenkenträger Recht behalten oder erstaunt feststellen, dass SKM doch funktioniert, wird sich zeigen. Soziokratie garantiert insofern auch kein Gelingen. Wie bei Scrum oder andere Praktiken muss die Veränderung zu ihr hin auch in einem Lernprozess stattfinden. Und so wie es Scrum Master gibt, so bildet die Soziokratie auch für ihre Einführung und Durchführung Begleiter aus. Im Vergleich zu Scrum steckt das allerdings noch in den Kinderschuhen.
Nochmal: Ein SKM-Kreis versammelt Menschen zu einer soziokratischen Unternehmensführungsgemeinschaft. Die ist innerhalb der Kreises nicht hierarchisch. Deshalb wird innerhalb eines Kreises nach gewissen Protokollen vorgegangen, um gemeinschaftlich zu Entscheidungen zu kommen. Dazu ein andermal mehr. Kreise handeln gegenüber dem operativen Geschäft, sie delegieren dorthin Leitung und Ausführung und messen den Effekt ihrer Handlungen. Messungen werden auch an Kreisteilnehmer als Aufgabe delegiert; ansonsten ist aber auch jedes spontane Feedback von Kreisteilnehmern erwünscht. Alle sind im Kreis gleichberechtigt. Wenn Lehrling und Meister in einem Kreis zusammenkommen, dann gibt es keinen Vorrang durch Ausbildungsstand. Jeder trägt nach Kräften bei.
Außerhalb der Kreise kann das Verhältnis hingegen ganz anders sein! Wie oben schon gesagt, macht SKM keine Aussage über eine "richtige" Organisation des Tagesgeschäftes. Die entwickeln die Teilnehmer der SKM-Kreise nach den Bedürfnissen ihres Unternehmens. Im operativen Geschäft kann es also weiterhin Hierarchien geben. Die sind jetzt aber fokussiert eben auf das Tagesgeschäft. Bei SoftWunder darf der Vertriebsleiter Heinz also weiterhin seine Außendienstler einteilen und ihnen Anweisungen geben. Ganz autokratisch. Seine "Befehlsgewalt" ist jedoch beschränkt auf das operative Geschäft! Sie bezieht sich auf die Sache, hier: den Verkauf.
Sobald Heinz dann mit Rolf und Volker im SKM-Führungskreis zusammensitzt, ist er ihnen gleichgestellt. Dann können die beiden an ihm vorbei Feedback in den Kreis geben, dem auch der Unternehmenseigener angehört. Das kann sich natürlich auf die Befehlsausübung durch Heinz beziehen. So üben sie Macht miteinander aus, statt übereinander.
Soziokratie und Autokratie vertragen sich also. Das ist ganz passend zum sonstigen Leben: Manchmal muss man handeln und nicht diskutieren. Dann sind klare Prozesse und auch Befehlsketten sinnvoll. Aber immer öfter muss man halt im Geschäftsleben nicht nur handeln, handeln, handeln, sondern auch mal nachdenken; und zwar über möglichst breite Wahrnehmungen. Organisationen müssen nachdenken. Dafür schafft Soziokratie eine "Bewusstseinsinstanz" mit maximaler Reichweite ihrer Fühler ins Unternehmen hinein.
Skalieren mit Kreisen
SoftWunder ist klein. Das operative Geschäft könnte wohl durch einen Kreis geführt werden. Vielleicht stellt sich dabei aber auch heraus, dass das zu schwerfällig ist. Vielleicht sollten viele Mitarbeiter nur gelegentlich in einem Kreis zusammenkommen, wenige jedoch häufiger. Die Geschäftsführung kann dann auf mehrere Kreise in einer Hierarchie verteilt werden. Das gilt auch für Organisationen, die mehr Menschen umfassen, als sich praktikablerweise in einem Kreis zusammenfassen lassen. Für effektive und effiziente Diskussionen in einem Kreis sollte die Obergrenze wahrscheinlich bei 50 Teilnehmern liegen. Letztlich macht die Soziokratie darüber jedoch keine Aussage, sondern bietet ganz allgemein, Kreise in einer Hierarchie anzuordnen. Und das geht so:
Jetzt besteht die Geschäftsführung von SoftWunder aus einer Kreishierarchie mit zwei Ebenen. Auf der oberen Ebene 1 hat der Kreis 4 Mitglieder, auf der unteren Ebene 2 sind es 9. Das sind zusammen 13 Teilnehmer an Kreisen bei 11 Mitarbeitern. Wie kann das sein? Des Rätsels Lösung liegt in der soziokratischen Doppelbindung von Kreisen: Übereinanderliegende Kreise sind durch je mindestens 2 Personen miteinander verzahnt. Diese Personen sind Mitglied sowohl im unteren wie im oberen Kreis. Sie bilden die Schnittmenge der beiden Kreise. Die Soziokratie drückt das in ihren kanonischen Bildern durch überlappende Dreiecke aus:
Warum diese Doppelbindung? Sie sorgt dafür, dass der Informationsfluss erstens immer persönlich ist und zweitens in beide Richtungen läuft. Wären die Hierarchieebenen nicht gekoppelt, dann würde eine obere die untere nicht persönlich über ihre Beschlüsse informieren, sondern mittels Dokumenten. Auch wäre die obere Ebene an den Diskussionen der unteren nicht persönlich beteiligt. Das würde bürokratischen Prozessen statt effizienten, lernenden Vorschub leisten. Die Umsetzung von Beschlüssen von oben nach unten durch die Kreishierarchie wäre behindert. "Die da oben" wären wieder nur "anonyme Herrscher". Indem jedoch ein gleichberechtigtes Mitglied des oberen Kreises ebenfalls gleichberechtigtes Mitglied des unteren ist, garantiert Soziokratie verlustfreie Übersetzung im Sinne ineinandergreifender Zahnräder. Und da Hierarchien den Zweck haben, Entscheidungen von oben nach unten zu verbreiten, ist das Mitglied, das der obere an den unteren Kreis delegiert, sogar der Leiter des unteren Kreises! In dieser Rolle "herrscht" dieses Mitglied zwar nicht über den unteren Kreis, aber es leitet ihn zumindest mit Blick auf die Interessen des oberen Kreises.
Kreise in einer Hierarchie sind deshalb nur halbautonom. So frei und gleichberechtigt ihre Mitglieder sind, es werden ihnen schon Weisungen "von oben" zuteil. Aber erstens wird die Erarbeitung solcher Weisungen durch soziokratische Protokolle in Bahnen gelenkt, die maximal kompatibel mit den Bedürfnissen aller Ebenen sind. Zweitens kann ein Kreis immer noch selbst über die Interpretation der Weisungen entscheiden - wobei der von oben delegierte Leiter bei der Auslegung hilft. Und drittens, fließt Information eben nicht nur von oben nach unten.
Gekoppelt sind die Kreise nämlich nicht nur von oben nach unten durch den Leiter, sondern auch von unten nach oben durch einen Repräsentanten. Der untere Kreis entsendet auch einen "Interessenvertreter" in den oberen Kreis, in dem er gleichberechtigt zu allen anderen Kreismitgliedern ist. So fließt Feedback ungehindert von der Basis zur Spitze. Das ist einer der wichtigstes Aspekte der Soziokratie.
In der Autokratie fließen Weisungen nur von oben nach unten. Aber auf welcher Grundlage werden sie beschlossen? Eine persönliche Präsenz von Informationen der Basis "in höheren Gefilden" gibt es nicht. Führungskräfte leben dort im ständigen Spagat. Sie sind hin und her gerissen zwischen den Interessen der oberen und unteren Ebene, an deren Schnittstelle sie sitzen. "Nach oben ducken, nach unten treten" ist ein typisches Symptom dafür. Kommt unliebsames Feedback von unten, ist es für sie leicht, seinen Fluss nach oben zu sperren.
In der soziokratischen Kreishierarchie kann das nicht passieren. Niemand muss dort ambivalent sein. Der von oben delegierte Leiter kann in angemessener Manier die Interessen des oberen Kreises im unteren vertreten. Und der Repräsentant des unteren Kreises im oberen die seines Heimatkreises. Und wenn es die Situation verlangt, kann der untere Kreis auch mehr als eine Person in den oberen Kreis delegieren oder den einen Repräsentanten durch einen anderen ersetzen.
Die Doppelbindung der Kreise fügt also eine feste Kette die maximal Durchlässig ist für Informationen in beide Richtungen. Die Pfeile über die Schnittmenge hinweg im vorstehenden Bild der SoftWunder-Kreishierarchie sollen das versinnbildlichen.
Im Kreissaal der Kreise
Aus wievielen Kreisen sollte eine soziokratische Kreishierarchie bestehen? Aus einer angemessenen Anzahl. Die Soziokratie macht da keine Vorschriften. Es gilt jedoch: Je mehr Menschen einer Organisation in den Kreisen vertreten sind, desto besser kann die Geschäftsführung die Bedürfnisse aller berücksichtigen. Das erhöht die Motivation der Mitarbeiter - und sensibilisiert gleichzeitig die Wahrnehmung von Feedback.
Mit wievielen Kreisen Soziokratie in einer Organisation aufgesetzt wird, ist daher unternehmensindividuell verschieden. Ebenso der Ort, d.h. wo in der bisherigen autokratischen Hierarchie. Sie kann an der Spitze beginnen oder an der Basis oder auch in der Mitte. Denn wo ein Kreis ist, da kann jederzeit ein zweiter daraus entstehen. Kreise können sozusagen weitere Kreise gebähren. Ein großer kann sich aufspalten, ein kleiner kann andere zu einem Kreis zusammenschließen - eine organisationsentwickelnde Maßnahme! - und anbinden.
Veränderungen an der Kreishierarchie sind immer möglich. Es können sogar "Task Force"-Kreise mit begrenzter Laufzeit gebildet werden ganz im Sinne der Spike Solutions von eXtreme Programming. Wesentlich ist nur immer wieder die Doppelbindung zwischen den Kreisen.
Wie die Kreishierarchien für SoftWunder schon angedeutet haben, ist die Hierarchie der Kreise auch unabhängig von den weiterhin durchaus bestehenden Hierarchien des operativen Geschäftes. Es gibt keinen Zwang, für jede operative Abteilung einen eigenen Kreis aufzumachen. Entwicklung, Vertrieb, Sekretariat müssen sich in der orthogonalen soziokratischen Geschäftsführung nicht in eigenen Kreisen widerspiegeln. SoftWunder könnte durch verschiedene Kreishierarchien geführt werden:
Auch wenn die bisherige Hierarchie in einem Unternehmen eine spiegelbildliche soziokratische Hierarchie nahelegt, so sind Sie nicht daran gebunden. Sie können nach Gesichtspunkten der Akzeptanz, des Wahrnehmungshorizonts für Feedback (Messung), der Umsetzung (Implementation der Geschäftsführungspolitik), der Sinnstiftung usw. immer wieder neu entscheiden, wie die Kreishierarchie aussehen soll.
Soziokratische Führung produziert deshalb auch nicht nur operative Strukturen, sondern ebenfalls ihre eigenen. Soziokratie ist essenziell reflexiv.
Aus diesem Grund ist Soziokratie auch besonders für wachsende Unternehmen geeignet. Sie in einem großen, hierarchisch festgefügten Unternehmen einzuführen, mag schwerer sein als in einem noch kleinen. Hier wie so oft gilt: je früher desto besser. Wer im Kleinen schon Soziokratie geübt hat, dem fällt es später im Großen leichter. Denn Soziokratie skaliert! Sie lässt sich in kleinen Unternehmen wie SoftWunder praktizieren. Oder sogar in noch kleineren, denn eigentlich geht es schon mit 2 Personen los. Die können einen von ihrem operationalen Geschäft getrennten Kreis für dessen Führung bilden. Auch wenn sie sonst den ganzen Tag am selben Schreibtisch sitzen, verhalten sie sich anders, wenn sie ihre "Soziokratiehüte aufsetzen". Dann verhalten sie sich den soziokratischen Regeln konform und kommen auf anderem als üblichem Weg zu Beschlüssen.
Nach oben gibt es keine Grenze für Soziokratie: 2, 20, 200, 2.000 oder auch 20.000 Menschen lassen sich soziokratisch führen. Ein Beispiel gibt davon einen Eindruck:
Diese Kreishierarchie umfasst alle 281 Mitarbeiter eines Mittelständischen Unternehmens. Die Zahl der Teilnehmer eines Kreises ist die darin notierte Summe. Der zweite und dritte Summand bezeichnen jedoch Mitglieder, die von einem oberen oder unteren Kreis delegiert sind. "4+1+2" bedeutet: 7 Kreismitglieder, davon 1 Leiter von oben delegiert und 2 Repräsentaten von unten delegiert. Die Mitarbeiterzahl ergibt sich also aus der Addition nur der ersten Summanden.
Nochmal, weil es so wichtig ist: Mit einer flachen Hierarchie (3 der Basis übergeordnete Ebenen) und insgesamt 15 Entscheidungsinstanzen führen 281 Mitarbeiter sich selbst. Alle Mitarbeiter sind an der Unternehmenspolitik, an ihren Grundsatzentscheidungen beteiligt! Und alle finden durch die doppelte Bindung bei Bedarf Gehör bis in den obersten Kreis. Das Unternehmen ist partizipativ selbstorganisiert.
Wer das gern etwas weniger abstrakt möchte, der findet in "Die kreativen Kräfte der Selbstorganisation" dazu eine kleine Geschichte.
Ausflug Zum Begriff Führung
In diesen Blog-Postings benutze ich immer wieder den Begriff "Führung" für das, was die soziokratische Kreishierarchie tut. Die Kreise führen das operative Geschäft. Sie sind die Geschäftsführung.
Was ist das aber, was ein Geselle auf der Baustelle mit einem Lehrling macht, wenn der ihm eine Aufgabe zuweist? Ist das nicht auch Führung?
Hm... im weiteren Sinn ist das natürlich auch Führung. Der Geselle führt den Lehrling physisch zu seinem Einsatzort und inhaltlich zu seiner Aufgabe.
Wenn von "Unternehmensführern" gesprochen wird oder in einem Buchtitel wie "Führen, Leisten, Leben" von Fredmund Malik der Begriff "Führung" auftaucht, dann steckt dahinter allerdings mehr als Aufgabenzuweisung im Tagesgeschäft und Ergebniskontrolle. "Führung" im engeren Sinn ist - zumindest für mich und deshalb gebrauche ich den Begriff hier - mehr als Lenkung oder Koordination von Menschen in Prozessen des Tagesgeschäfts.
Führung steht über dem Tagesgeschäft oder außerhalb seiner. Führung definiert die Rahmenbedinungen innerhalb derer das Tagesgeschäft koordiniert wird. Führung reflektiert über den Verlauf der Geschäftsprozesse, die Effizienz der operativen Organisation und entwickelt beide. Insofern führt Führung nicht Menschen, sondern eine Organisation: die operative Suborganisation eines Unternehmens. Führung findet selbst dann natürlich auch in einer Suborganisation statt - die sie wie oben gezeigt auch reflexiv führt.
Dazu kommt aber dann doch auch noch der Mensch. Gute Führung heute hat den Menschen im Blick. Sie ist an ihm interessiert, will ihn entwickeln und stiftet Sinn.
Und es ist auch wegen dieser Bedeutung, die der Begriff "Führung" für mich hat, dass ich das, was Soziokratie will, als Führen bezeichne. Kurz und knapp. Andere würden vielleicht modern "governance" dazu sagen: soziokratische Governance. Das wäre für mich auch ok. Aber warum nicht den schlichten Begriff "Führung" verwenden?
Dass dann im Tagesgeschäft auch Führung "passiert", weil sich Kopf und Herz nicht ausschalten lassen und auch nicht ausgeschaltet werden sollen, sobald man vom soziokratischen Kreis wieder an den operativen Schreibtisch wechselt, das ist klar. Dem großen Zweck der Führung durch Soziokratie tut das aber ja keinen Abbruch.
Soziokratie führt also umfassend und im Großen eine Organisation. Sie definiert Grundsätze, bestimmt die Organisationspolitik, stiftet Sinn durch Einbeziehung möglichst vieler.
Was dann in der Umsetzung, im Tagesgeschäft, im Kleinen getan wird... nun, das nenne ich mal vor allem Koordination. Im Sinne von Prozessen und Aufgaben werden Menschen und Ressourcen in und durch mehr oder weniger tiefe Hierarchien koordiniert. Das schöne an diesem Begriff ist, dass er so wenig vorbelastet ist. In ihm schwingt nicht die Macht mit, die in "Management" oder auch noch "Leitung" steckt. Wo koordiniert wird, geht es also gar nicht mehr um Macht, sondern um Aufgabenbewältigung.
Macht übt nur die soziokratische Hierarchie über das operative Geschäft aus. Aber das ist nur noch eine Macht über eine Suborganisation und nicht mehr über Menschen. Denn die Menschen, die von dieser Macht betroffen sind, stecken ja im "Machtorgan". Sie sind es selbst. Sie sind beteiligt in den soziokratischen Kreisen. Deshalb spricht die Soziokratie immer wieder auch von "Macht mit" statt "Macht über".
So wie Soziokratie und operatives Geschäft bildlich durch Orthogonalität und Kreisprozess deutlich getrennt sind, so trennen die Begriffe Führung und Koordination die unteschiedlichen Aspekte im Wort.
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