Dienstag, 30. Dezember 2008

Twitter - Nur Versuch macht kluch [OOP 2009]

image Früher war Brief. Dann war Telefon. Aber noch mein Vater hatte immer einen Blick darauf, dass niemand im Haushalt zu lange telefonierte. Dann Handy, SMS, Email - oder war die Reihenfolge anders? Schließlich Instant Messaging (IM), Blog, Wiki, XING. Alles habe ich bisher mitgemacht. Manches früher, manches später. Mit allem fühle ich mich wohl. Aber Twitter? Muss das sein?

Keine Ahnung. Aber es heißt ja, dass "die jungen Leute heute" inzwischen schon Email für "old fashioned" halten. Wenn ich also nicht frühvergreisen will... dann muss ich mich wohl mal mit Twitter beschäftigen. Eine Gelegenheit, bei der ich das Motto vom "lebenslangen Lernen" endlich mal gegen meine Neigung oder ein Verständnis für den unmittelbaren Nutzen leben kann.

Also Twitter: Ein Dienst, bei dem "man" mit kurzen Nachrichten (s)einen "Zustand" veröffentlichen kann. Andere können diese Zustandsmeldungen abonnieren, "man" kann die Zustände anderer abonnieren. Hm... Wo ist der Unterschied zu anderen Medien?

Twitter ist ein asynchrones Medium. Wer publiziert, erwartet keine Antwort, ja noch nicht einmal einen Leser. Insofern ist Twittern Monologisieren. Ohne konkreten Adressaten ähnelt Twitter einem Blog. Es ist eine Broadcasting-Plattform.

Die Kürze der Nachrichten jedoch macht es ähnlich SMS oder IM. "Romane" lassen sich mit Twitter nicht veröffentlichen - zumindest nicht in der traditionellen Form. (Allerdings: Ein Autor könnte eine Figur erschaffen, der er ein Twitter-Konto gibt. Der "Roman" ließe sich dann als Folge von Twitter-Updates spinnen, in denen die Figur ihre Erlebnisse protokolliert. Bram Stokers "Dracula" war seinerzeit hochmodern, weil die Figuren leading edge technology benutzten, um ihn zu spinnen: z.B. Schreibmaschine und Telegraph. Twitter & Co für heute zeitgemäße Literatur zu benutzen, wäre also angezeigt. Einige Alternate Reality Games versuchen sich daran ja auch schon.)

Kurze Statusnotifikationen in die Welt geworfen: Was kann das nützen? Ich denke, zwei Seiten sind zu unterscheiden: Twittern als Monolog und Twittern als Dialog.

  • Als monologisierender Autor könnte der unmittelbare Nutzen darin liegen, dass Twitter mir unmittelbar hilft, meinen Tag zu strukturieren und zu protokollieren. Twitternachrichten als kontinuierlich fortgeschriebenes Tagebuch. Termine im Kalender sind Planung und Blick in die Zukunft. Ein Twitterprotokoll hingegen ist Retrospektive. Indem ich bei einer "Zustandsänderung" (z.B. Tätigkeit, Ort) ein Twitterupdate schreibe, halte ich einen Moment inne. Das gibt Reflektionen raum und trägt womöglich zur Entschleunigung bei.
  • Sobald ich mich als Autor nicht mehr allein sehe, sondern als Knoten in einem Netzwerk, kommt weiterer Nutzen hinzu. Dann haben meine Twitterupdates nicht nur einen Effekt für mich. Wenn andere sie lesen, kann ich ihnen auch eine Botschaft mitgeben. Ich kann Aussagen machen (z.B. über Werkzeuge, die ich gerade benutze, oder Themen, die mich beschäftigen) oder Fragen stellen. Meine Aussagen mögen andere anregen, meine Fragen mögen mir Antworten bescheren. Einmal kann ich mich als Person oder gar Kompetenzträger darstellen, ein andermal als Hilfesuchender. Ganz zwanglos. Ohne Garantie auf "Erfolg". Aber eben auch mit quasi vernachlässigbarem Aufwand.

Twitter scheint mir damit ein Werkzeug zur Selbstorganisation wie auch zur Kommunikation. Mit Twitter können man sowohl nach innen wie nach außen gehen. Geradezu esoterisch mutet das an, denn der Strom meiner Twitternachrichten ist ja quasi ein "stream of consciousness", ein Gedankenstrom, und also ist Twitter ein Gedankenlesewerkzeug. Besser als bei der herkömmlichen Telepathie behalte ich die Veröffentlichungshoheit über meine Gedanken. Sie werden mir nicht "herausgelesen", sondern ich gebe sie freiweillig preis.

Es stellt sich also die Frage: Was kann sich alles entwickeln, wenn wir unsere Gedanken lesen können?

Wie Briefe und Telefon war Big Brother auch früher. Früher hatten viele Menschen Angst, sie würden ausgespäht. Heute hingegen muss sich niemand mehr die Mühe machen. Die Informationen über die Menschen liegen auf der Straße, weil sie sie selbst dorthin werfen. Twitter ist ein weiteres Medium dafür.

Aber ist das schlimm? Nein, ich finde, nicht. Im Gegenteil! Wer sich vor Big Brother fürchtet, macht zu. Wer sich zu macht, reduziert seine Kontaktoberfläche, seine Verbindungen. Wenn eines aber wichtig heutzutage ist, um in einer komplexen Welt fortzuschreiten, dann sind es mehr Verbindungen, einfachere Verbindungen. Dafür müssen wir aber offen sein, kontaktfreudig. Und das beginnt mit Angeboten, die wir machen. Bei der persönlichen Begegnung ist ein Lächeln ein Angebot. In der virtuellen Welt können es "Broadcasts" sein wie Blogs oder eben Gedankenströme in Twitter. (Dass dann solche Gedankenströme nicht einmal von einem Menschen, sondern von einer Software stammen können, ist womöglich zu vernachlässigen. Am Ende geht es um "Entitäten", um Informationsquellen, die für mich wertvoll und vertrauenswürdig sind. Das können auch Twitter-Bots sein, die die "Gedanken" eines Unternehmens "senden".)

image Soweit ein paar Überlegungen zu Twitter. Ob und inwiefern sie mit der Realität zu tun haben, weiß ich allerdings noch nicht. Ich muss sie versuchen zu verifizieren. Am besten im Selbstversuch. Denn nur Versuch mach kluch. Also öffne ich mal meinen Kopf und eröffne einen Blick auf meine "Zustände". Zum Glück ist das mit Twitter weniger schmerzhaft als bei früheren Trepanationen ;-)

Wer mit auf meinen Gedankenströmen schwimmen will, kann sich als "Follower" bei mir in Twitter anmelden. Mein Twitter-Konto ist: http://www.twitter.com/ralfw.

5 Kommentare:

Prof. Dr. Stefan Edlich hat gesagt…

Nette Gedanken. Woher wohl der Anstoss kam...

"Wer Twittert erwartet zwar keine Antwort." Früher oder später bekommt er aber immer mehr Antworten. Z.B. frage ich mich was der "Clean Code Developer Camp" ist. Gibt es einen Link?

Wenn das ein Developer Camp zum sauberen Coden wäre, könnte das interessant werden...

Viele Grüße
Stefan E.

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Stefan: Tja, von wem wohl der Anstoß zum Twittern kam... Wer hat denn da so schnell beim Blogposting gefunden und einen Kommentar geschrieben? ;-)

Ja, beim Clean Code Developer Camp geht es um sauberen Code und mehr. Das könnte nicht nur interessant werden, das ist es auch :-) Das erste Camp im Feb/März 09 ist auch schon ausgebucht. 10 Tage .NET Grundlagen und fundamentale Werte der Softwareentwicklung. Dazu aber ab 1.1. mehr hier im Blog. Keine Sorge.

-Ralf

Anonym hat gesagt…

Link zum Twitter Account:
http://twitter.com/ralfw

Warum muß ich einen Request schicken, um zu folgen? Das wiederspricht doch der Twitter Philosophie...

Liebe Grüße
Hannes

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Hannes: Den Link hab ich jetzt ins Posting aufgenommen.

Mit der Registrierung, weiß ich auch nicht. Ich hatte einfach die Defaults von Twitter übernommen. Aber jetzt hab ich mal etwas rumgeschaltet und denke, nun muss ich nicht mehr bestätigen.

-Ralf

Anonym hat gesagt…

Die Idee eines weltweiten feingranularen Gedankenraums ist sicher bestechend. Ich wette, dass man sich seitens der dt. Beamtenschaft auch schon Gedanken zur Ausgestaltung einer Impressumspflicht macht. Dann gibts auch wieder reichlich neue Fischgründe für Abmahnanwälte.

-Ingolf

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