Freitag, 21. Dezember 2007

OOP 2008: Reflexe sind schlecht für die Softwarequalität

IT Projekte stehen irgendwie immer unter Druck. Zeitdruck, Kostendruck, "Hoffnungsdruck" (Motto: "Die neue Software wird es schon rausreißen!")... wer wüsste das nicht. Und wenn Ihr Projekt heute gerade mal nicht unter Druck steht, dann sicherlich bald, wenn die Deadline näher gerückt ist.

Druck hat nun aber die unangenehme Eigenschaft, die Menschen auf ihr, hm, Stammhirn zu reduzieren. Unter Druck fallen wir zurück auf früheste und festeste Verhaltensmuster. Druck lässt uns regredieren; wir vergessen unter Druck sehr schnell, was wir gelernt haben. "Höheres Wissen" wird dann ersetzt durch "niedere Instinkte". Extrembeispiele sind Unfälle, Krieg, Panik, Katastrophen: das Denken setzt aus, Höflichkeit war einmal, Reflexe bestimmen die Handlungen. Nicht umsonst drillt jedes Militär der Welt seine Soldaten, auf dass sie unter Druck eben nicht planlos werden, sondern funktionsfähig bleiben. Druck erfahren, aushalten und unter ihm weiterhin angemessen und weitsichtig agieren, das macht den wahren Meister aus.

Weniger lebensbedrohliche Situationen sind dann Prüfungen, die auch so manchen Wissenden in aus der Leere in die Leere starren lassen. Oder nur der Wochenendausflug mit der Familie inkl. Schwiegermutter. Was da alles organisiert werden muss... und dann findet der Kleinste seinen Stoffhund und ist nicht mehr zu beruhigen... Da liegen die Nerven blank, da helfen dann nur Machtworte. Oder?

Druck führt zu "Spontanregressionen" in Bezug auf Handlungsoptionen und Umgangsformen. Druck erzeugt bekanntlich dann auch Gegendruck. Eine unheilvolle Spirale setzt sich in Gang.

So ist es kein Wunder, dass die Manager einer Branche, die ständig unter Druck steht, sich langsam aber sicher den Ruf von Krankmachern erarbeitet haben (Originalstudie). Denn Manager sind auch nur Menschen. Also verfallen sie bei anhaltendem Druck auch auf basale Verhaltens- bzw. Führungsformen: autoritäres Gebahren (24%), bürokratisches Verhalten (38%) und reaktives Handeln (45%) sind so alt wie die menschlichen Kulturen. Autoritär haben sich schon die Clanchefs in der Bronzezeit gebärdet, bürokratisch waren schon die mittelalterlichen Zünfte, reaktiv gehandelt hat schon die DDR-Regierung der letzten Tage.

Verständlich ist also solch Rückfall unter Druck auf Bewärtes oder eher Überkommenes. Aber ist es auch gut? Ist er den Projekten zuträglich? Nein, natürlich nicht. Autorität, eine gewisse Bürokratie (sofern man dem Begriff überhaupt etwas Positives abgewinnen kann) und auch Reaktion haben ihre Zeit, sind unter gewissen Umständen angemessen. Doch als Führungsinstrumente für Wissensarbeiter sind sie schlicht ungeeignet.

Komplexes wie Software lässt sich nicht mit Autorität erzwingen. Kreative Problemlösungen lassen sich nicht in einem bürokratischen Verhau finden. Und Reaktion statt vorausschauendem Agieren ist schlicht zu langsam in einer Welt, die ständig im Fluss ist.

Und insofern ist meine These: Wenn denn die Manager in unserer Branche sich wirklich so krankmachend verhalten - wobei ich keinen bösen Willen unterstelle, sondern schlicht Regression mangels ausreichendem Training -, wenn die Manger wirklich in so großer Zahl autoriät, bürokratisch und reaktiv sind, dann schaden sie damit massiv der Qualität von Software.

Reflexartiges Handeln, das unter Druck ganz normal, wenn auch außerhalb von physischen Notsituationen unangebracht ist, hat in der Softwareentwicklung nichts zu suchen. Das heißt natürlich nicht, dass alles immer bis zum letzten Handgriff durchgeplant und mit stoischer Ruhe abgewickelt werden muss. Nein, nein. Das heißt vielmehr, dass a) Manager ihre Führungswerkzeuge intensiver und auch unter Druck erlernen müssen, um sie auch im Ernstfall parat zu haben; und b) Manager müssen verstehen, dass Wissensarbeit und kreative Arbeit anders funktionieren als eine Manufaktur des 19. Jahrhunderts. Wer physische Anwesenheit von 9h-17h mit Arbeit gleichsetzt, der hat mindestens 60 Jahre Arbeitspsychologie verschlafen.

Manager müssen vor allem damit zurechtkommen lernen, dass sie keine Kontrolleure sind, sondern Ermöglicher. Sie können Wissensarbeit, d.h. Softwareentwicklung nicht zentral steuern wie ein Stahlwerk. Sie müssen vielmehr einen anti-autoritären, bürokratiearmen Raum schaffen, der zu Kreativiät und zum Agieren ermundert.

Wenn also schon der Druck nicht aus der Branche genommen werden kann, dann müssen wenigstens die Führungskräfte damit angemessen umgehen lernen. Das heißt, sie müssen Führungsinstrumente im Schlaf, nein, unter Druck beherrschen, die zu den Eigenarten der Softwareentwicklung passen.

Reflexe sind gut beim Tennisspielen. Bei der Softwareentwicklung geht es aber nicht um Gegnerschaft und Konkurrenz, sondern um Kooperation. Deshalb schadet reflexartige Führung auf dem Niveau der letzten 5000 Jahre der Softwareentwicklung besonders.

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