Dienstag, 26. März 2013

Entwerfen fürs Schreiben

Gerade merke ich es am eigenen Leibe, wie wichtig Entwurf ist. Nein, Software entwickle ich gerade nicht. Ich schreibe Texte. Aber ich erlaube mir, meine Erfahrungen dort auf die Softwareentwicklung zu übertragen.

Dass ich viel schreibe, ist ja nichts Neues. Warum fällt mir das Thema Entwurf dazu gerade jetzt ein? Weil ich anders schreibe als sonst.

Normalerweise sind meine Texte bis 20-25 A4 Seiten lang, inklusive Code, Abbildungen, Tabellen. Und das Thema kenne ich gut. Solche Texte kann ich leicht runterschreiben. Thema überlegen – es reicht eine grobe Überschrift oder die Idee für eine Anwendung – und dann losschreiben. Der Rest ergibt sich von selbst. Der Text gliedern sich beim Schreiben von allein. Manchmal unterbreche ich das Schreiben, um zuerst etwas zu codieren, danach geht es dann umso flotter weiter. Alles kein Problem.

Aber jetzt sitze ich an zwei Texten, die sind anders. Da kann ich nicht einfach so drauflosschreiben. Meine Schreiberfahrung und Themenkenntnis gliedert den Text nicht just-in-time. Deshalb muss ich einen Gang zurückschalten. Nachdenken ist angesagt. Entwerfen.

Das Drehbuch

Der eine Text ist ein Drehbuch. Das schreibe ich mit einer Freundin zusammen. Trotzdem ist es nicht einfach. Form und Genre sind für mich neu. Zum Inhalt nur soviel: Es ist eine Liebeskomödie. (Ja, ja, ich höre schon die Lacher. Aber mir macht es Spaß, mal etwas ganz anderes auszuprobieren. Hat sich einfach so ergeben. Ob das mal verfilmt wird? Vielleicht. Erstmal interessiert mich der Prozess.)

Bei dem Dreh konnten wir nicht einfach drauf los schreiben. Wir hatten zwar eine Idee – doch für 90 oder 100 Minuten Film ist das nicht genug. Da muss man sich an den Text ranrobben. Das ist Entwurfsarbeit at its best. Dazu gibt es eine Menge Literatur. Ein Klassiker ist Syd Fields “Das Drehbuch”. Den hatte ich schon vor vielen Jahren mal gelesen… und jetzt ziehe ich endlich Nutzen daraus. Die Zeit musste einfach reif werden. (Es hilft natürlich auch, dass ich nun eine Co-Autorin mit Erfahrung in dem Metier habe.)

Und was tun wir? Wir strukturieren. Kein Satz “Drehbuchcode” ist bisher geschrieben. Stattdessen hangeln wir uns top-down heran.

  • Ebene 1: Die Idee. Wir überlegen ganz grob, worum es geht. Was ist der Kern der Story? Welche Entwicklung sollen die Protagonisten durchlaufen? Haben wir eine “Moral von der Geschicht”? Das ganze passt auf 1 A4 Seite.
  • Ebene 2: Wir verfeinern die Geschichte. Ein paar Highlights kommen auf den Zettel. Wir überlegen, was Wendepunkte sein könnten. Woraus könnten sich Konflikte speisen? Erste Charakterstudien für die wichtigsten Protagonisten. Das passt auf vielleicht 10 A4 Seiten.
  • Ebene 3.1: Nächste Verfeinerungsstufe. Jetzt überlegen wir uns einen Handlungsverlauf, der für bestimmte Entwicklungen/Phasen schon Minutenzahlen zugeordnet bekommt. Dafür gibt es sogar eine Entwurfsskizze. Das ist schon alles ziemlich detailliert. Insgesamt kommen am Ende 30-40 Seiten Fließtext heraus, das sog. Treatment. Die Geschichte wird grob in Szenen eingeteilt erzählt.

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  • Ebene 3.2: Gleichzeitig entwickeln sich die Charaktere. Wir erfahren immer mehr über ihre Motive und ihr Vorleben. Manchmal geben wir ihnen bewusst gewisse Züge, um in der Geschichte etwas zu bewirken; aber manchmal ergeben die sich von allein. Als hätten die Figuren ein Eigenleben.
  • Ebene 4: Das Drehbuch wird geschrieben. So richtig mit Dialogen und Einstellungsbeschreibungen. Der Umfang wird ca. 90-100 Seiten haben. Aber da sind wir noch nicht.

Dass es so am besten funktioniert, habe ich immer gewusst. Aber ich habe nie selbst Zugang zu diesem Vorgehen gefunden. Insofern kann ich jetzt besser mit Ihnen fühlen, falls Sie es schwierig finden, sich auf Softwareentwurf einzulassen.

Mit ein wenig Anleitung durch meine Co-Autorin hab ich jetzt aber den Sprung in dieses Vorgehen geschafft – und es macht Spaß. Wir haben auch eine schöne Rollenverteilung gefunden. Ich bin eher der Mann fürs Grobe :-) Sie feilt dann die Details aus. Auch beim Drehbuch konzentriere ich mich also eher auf den Entwurf, das Big Picture, den Rahmen. Das liegt mir irgendwie.

Natürlich geht es am Ende wie bei Software nicht ohne Details. Die dreckige Dialogrealität will ausgefleischt werden. Aber das geht viel, viel einfacher auf der Basis eines mehrstufigen Entwurfs.

Der ist auch auf jeder Ebene ein Durchstich. Die ganze Geschichte wird immer wieder erzählt – nur eben mit unterschiedlichem Detailierungsgrad.

Das läuft natürlich nicht sauber in Wasserfallmanier von oben nach unten ab. Es ist eher Jo-Jo-Schreiben. Mal ganz oben, dann wieder kurz durchfallen auf die unterste Ebene. Wir wissen schon ein paar Einstellungen und Sätze für Dialoge, auch wenn wir eigentlich noch beim Treatment sind. Und manchmal gehen wir auch wieder auf eine höhere Ebene und drehen den Fluss der Geschichte in eine andere Richtung.

Das Fachbuch

Das Drehbuch ist Hobby. Arbeit ist das Buch über Flow-Design, an das ich mich nun endlich doch mal gemacht habe. Die Nachfrage ist gestiegen – und ich empfinde das Thema als inzwischen so stabil, dass sich das Aufschreiben lohnt.

Hier bin ich nun voll in meinem Metier. Trotzdem kann ich nicht einfach losschreiben. Dafür ist der Scope zu groß. Ein Blogposting wie dieses oder einen Artikel von 10 Heftseiten für die dotnetpro sind überschaubar. Da kann ich die Text-IDE Word aufklappen und losschreiben. Aber ein ganzes Buch… Nein, das geht nicht. Das würde zwar am Ende auch irgendwie alle Details enthalten – nur in einer nicht sehr leserfreundlichen Weise. Einen so großen Text beim Schreiben entstehen zu lassen, würde zuviel Refaktorisierungsaufwand bedeuten. Das ist wie beim Coden.

Also denke ich vorher über den Text nach. Auch auf mehreren Abstraktionsebenen.

  • Ebene 1: Grobe Gliederung. Ich unterteile das Thema in Bände. Jeden einzelnen will ich als eBook veröffentlichen, sobald er fertig ist. Es kommt also nicht alles erst am Ende als ein Buch heraus.

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  • Ebene 2: Gliederung eines Bandes. Zu jedem Band überlege ich mir eine Kapiteleinteilung für den groben Erklärungsfluss. Das habe ich aber bisher nur für Band 1 getan. Ich möchte mich konzentrieren auf ein Inkrement. Denn nichts anderes sind die Bände. Jeder für sich bietet schon einen Nutzen.
    Ob es am Ende wirklich soviele Bände oder genau die werden? Keine Ahnung. Das ist auch nicht wichtig. Bisher ist ja kein Aufwand in Band 2 bis 5 geflossen.

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  • Ebene 3: Ich schreibe mir zu jedem Kapitel Stichpunkte auf. Eine Sammlung von Material, das ich in den Kapitel behandeln will. Das habe ich für Band 1 auch für alle Kapitel gemacht. Hier nur ein Auszug für ein Kapitel:

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  • Ebene 4: Ich schreibe jedes Kapitel in einem eigenen Word-Dokument. Das mache ich vor allem, um mich besser fokussieren zu können. Aber ich will damit auch technischen Problemen vorbeugen. Wer weiß, wie Word reagiert, wenn am Ende hunderte Bilder in einem Dokument sind und dessen Größe mehrere hundert MB umfasst?
    Das ist jetzt “Codieren”: Ich schreibe den Text, den Sie später lesen sollen. Aber beim Schreiben gliedere ich weiter. Das ist sozusagen situativer Entwurf. Vorher war strategischer und taktischer Entwurf. Hier die dabei entstandene Gliederung für ein Kapitel:

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Auch dieser Prozess ist natürlich jo-jo-iterativ. Ich kann vom Schreiben jederzeit wieder in den Entwurf. Und ich kann jederzeit zwischen den Entwurfsebenen wechseln.

Der Entwurf gibt mir einen Überblick und definiert Ösen, in die ich dann Fließtext einhängen kann. Ich kann jederzeit an jeder Stelle arbeiten, weil ich weiß, wie der Zusammenhang ist. Aber ich ziehe es vor, Inkremente zu produzieren. Zuviel Springen ist auch nicht gut. Außerdem habe ich zu bestimmten Themenblöcken, die weiter hinten im Buch liegen, noch keine rechte Idee, wie sie konkreter aussehen sollten. Das mache ich auch abhängig von dem, was ich weiter vorne an Text produziere oder was mir bis dahin noch für Gedanken kommen mögen. Ich will keine Entwurfshalde auftürmen.

Auch beim Fachbuch erfahre ich also, wie wichtig es ist, vor dem Codieren, äh, Schreiben mal nachzudenken, einen Rahmen aufzuziehen, ein Big Picture zu entwickeln. Ein Plan ist gut – und ich erwarte nicht, dass der 100% eingehalten wird. Trotzdem ist er besser als keiner.

Beim Entwurf geht es nicht darum, alles komplett vorwegzunehmen. Dann wäre es kein Entwurf mehr, sondern schon Schreiben bzw. Codieren. Ein Entwurf ordnet vielmehr grob. Sein Ergebnis sind handhabbare Blöcke. Ein Kapitel ist so groß wie ein Artikel. Das kann ich ad hoc formulieren und strukturieren. Ein ganzes Buch jedoch, das ist zu groß. Dito bei Software. Eine ganze Software ist zu groß, um einfach mit dem Codieren anzufangen. Aber eine Klasse oder eine Methode, die durch einen guten Entwurf entstehen, sind überschaubar.

Es braucht daher für Software wie für Texte eine Entwurfsmethode. Das ist mir jetzt durch diese Schreiberfahrungen nochmal klar geworden.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Eventuell wäre hier ein guter Anfang, auf Word zu verzichten und LaTeX zu nehmen.
Hier hat man keine Probleme mit evtl. Abstürzen o.ä.
Desweiteren kann man sich auf das Schreiben konzentrieren...

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

Warum sollte ich Word aufgeben? Ich habe keine Probleme mit Abstürzen. Word ist für das bequemste Schreibwerkzeug, das ich nun 20+ Jahre einsetze. Wenn ich mich mir irgendeinem Werkzeug aufs Schreiben konzentrieren kann, dann mit Word.

Das mag merkwürdig klingen, weil doch einige Tools damit werben, dass mit ihnen der Fokus noch besser wäre. Ganze Apps werden mit dem Zweck entwickelt.

Aber jenseits trivialer Texte ziehe ich aus denen keinen Nutzen. Mein Fokus ist mit Word am höchsten. Da kenne ich mich aus. Da habe ich einen Eindruck vom Fortschritt durch die Seiteneinteilung. Da habe ich durch die Seiten auch eine Fokusunterstützung.

Anderen mag das anders gehen. Dann sollen die andere Tools benutzen. Aber einen Autor auf ein Tool zu zwingen, ist unzeitgemäß. Wenn Publikationsplattformen sich nicht einer jahrzehntealten Toolvielfalt von Markdown über LaTeX bis Word anpassen, dann sind die technologiegetrieben und nicht autorenorientiert.

Anonym hat gesagt…

Sicher Latex erfordert eine gewisse Einarbeitungszeit. Andererseits hat es keinerlei Probleme mit grossen Dokumenten und hält nicht solche tückischen Überraschungen für den ambitionierten Schreiberling parat. Ich persönlich verwende Word nur für kurze Texte und kenne einige Leute die schmerzhafte Erfahrungen gemacht haben, als sie sich an großen Dokumenten versucht haben. Damit soll niemand zu einem Tool gezwungen werden. Jeder hat die Freiheit eigene Erfahrungen zu sammeln. Von daher kann ich meinem Vorredner nur zustimmen.

Anonym hat gesagt…

Als begeisterter "One Man Think Tank"-Leser bin ich bin sehr gespannt auf das Buch.

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