Donnerstag, 25. August 2011

Jenseits von SOLID

In einem hübschen Artikel hat Mark Nijhof ein Refactoring nach SOLID beschrieben. Dem ist nichts hinzuzufügen – wenn man denn bei SOLID stehen bleiben will. Ich sehe SOLID aber nicht als sakrosankt an; für mich darf Code gern noch “cleaner” werden.

Hier zunächst die Code-Ausgangslage:

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Eine Klasse mit eine Menge Verantwortungen. Mark löst sie im Sinne des Single Responsibility Principle (SRP) wie folgt auf:

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Dagegen ist nichts einzuwenden. Es entstehen drei “Akteure”, d.h. Funktionseinheiten mit jeweils wiederum potenziell vielen Aufgaben. Hinweis darauf ist die Benennung mit Substantiven. Für den Moment hat Mark zwar Verantwortlichkeiten getrennt – doch das ist “Rückspiegelweisheit”: Bei Vorlage einer Brownfield-Klasse ist ihm die Vermengung von Verantwortlichkeiten in einer Klasse aufgefallen.

Wäre es aber nicht viel besser, bei einer Refaktorisierung Code zu erzeugen, der einer solchen Entwicklung von vornherein Widerstand leistet? Vorbeugen ist besser als Refactoring. Dazu bedarf es jedoch einer Idee von der Ursache der Verantwortungsanhäufung. Woher könnte die rühren?

Ich glaube, das hat nicht nur mit Unaufmerksamkeit der Entwickler zu tun, die zum ursprünglichen Stand von OrderProcessor beigetragen haben. Mitschuldig ist auch die Bennung der Klasse. Sie ist als Akteur ausgelegt, als Substantiv, d.h. als Funktionseinheit, die qua Name suggeriert “Stopfe mich voll mit allem, was mit der Auftragsverarbeitung zu tun hat.”

So machen wir es doch auch, wenn ein Mensch als Akteur vor uns steht. “Ach, kannst du das nicht auch noch machen?” Und schon hat er eine Verantwortlichkeit mehr am Hacken.

Um das Wurzelproblem anzupacken, fände ich es besser, die Namen anders zu wählen. Allemal die der Logik-Funktionseinheit. Sie sollte nicht OrderProcessor heißen, sondern Process_order. Denn nur darum geht es hier. Noch schöner wäre es, wenn dazu dann Send_confirmation_email und Save_order dazu kämen:

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Lassen Sie Ihr Unwohlsein angesichts der merkwürdigen Methodenbezeichnung “_” kurz beiseite. Spüren Sie stattdessen einmal in sich hinein: Wir groß ist nun die Gefahr, dass Process_order oder eine der beiden anderen Klassen mit weiterer Funktionalität aufgeladen wird, die nichts direkt mit dem Klassennamen zu tun hat? Für mich ist da jetzt eine spürbare Barriere.

Nun aber zu einem noch wichtigeren Aspekt im wahrsten Sinn des Wortes, den Mark bei seinem Separierungsbestreben übersehen hat. Er ist schwer zu sehen, weil wir alle so traditionell OO-konditioniert sind. Wir halten den Code in dieser Hinsicht für normal. “So macht man das halt” denken wir und hat Mark gedacht.

Mit geht es um das, was in Process_order passiert. Ich greife es mal heraus:

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Wieviele Verantwortlichkeiten hat Process()? Wieviele Gründe für Veränderung gibt es?

  1. Muss die Methode “angefasst werden”, wenn die Bestätigungen per Fax statt der Email versandt werden sollen?
  2. Muss die Methode verändert werden, falls nach der Email-Bestätigung auch noch ein Eintrag in ein Protokoll gemacht werden soll?
  3. Muss die Methode überarbeitet werden, wenn sich die Bedingung für eine Email-Bestätigung verändert?

Die Antwort auf alle drei (!) Fragen ist Ja. Die Methode hat mithin nicht nur eine Verantwortlichkeit. Die Fragen gehören nämlich zu unterschiedlichen Verantwortlichkeitsbereichen:

  1. Implementationsauswahl
  2. Integration
  3. Kontrolle

Die Methode kontrolliert die Integration konkreter Implementationen für Operationen. Sie stellt also nicht nur sicher, dass bestimmte Operationen in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen, nein, sie entscheidet auch noch über diese Reihenfolge zur Laufzeit und instanziiert ganz bestimmte Ausprägungen der Operationen.

Zur Marks Ehrenrettung sei gesagt, dass er eine dieser Verantwortlichkeiten auch durch seine SOLID-Brille erkannt hat: die Implementationsauswahl. Sie löst er über Inversion of Control auf. (Dass er später auch noch einen DI Container einsetzt, ist nicht so wichtig.)

Also mache ich meine Code-Version auch IoC-konform:

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Dabei bleibt es dann bei Mark. Er belässt die Verantwortlichkeiten Integration und (!) Kontrolle in der Methode. Er erkennt sie schlicht nicht. Sie liegen außerhalb seines Wahrnehmungshorizonts.

Dabei ist es so einfach: Wo eine Kontrollstruktur – nomen est omen – wie if oder for im Spiel ist, da werden Operationen nicht nur “hintereinandergeschaltet”, sondern auch darüber entschieden, wann die unterschiedlichen Pfade durchlaufen werden. Also muss man ein Augenmerk darauf haben, dass diese Entscheidung nicht ebenfalls in derselben Methode gefällt wird. Darum geht es beim Prinzip Single Level of Abstraction (SLA) – das allerdings nicht zu SOLID gehört. Schade.

Um konsequent SRP umzusetzen, muss die Bedingung, unter der eine Bestätigung gesendet werden soll, raus aus der Auftragsverarbeitung. Das kann zunächst in einfacher Weise geschehen:

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Aber fühlt sich das wirklich gut an? Mich schüttelt es, weil nun ganz deutlich wird, dass die Bedingung zwei Verantwortlichkeiten hat. Nicht umsonst musste ich einen Namen wählen, der eine Konjunktion enthält. Nur Is_order_valid() hätte die Speicherung unterschlagen, nur Successfully_saved_order() hätte die Validation unterschlagen.

Das Ziel ist richtig, die Verantwortlichkeiten zu entzerren. Aber das Mittel ist falsch. Besser finde ich es so:

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Jetzt ist deutlicher und ohne Schachtelung die Sequenz des Ablaufs zu sehen:

  • Gültigkeit des Auftrags prüfen
  • Auftrag speichern
  • Email-Bestätigung senden

Hier könnte ich es gut sein lassen. Doch ich bin seit der Lektüre von “Clean Code” sensibel geworden. Die Verantwortungshäufung lauert überall. Vor allem lädt der obigen Code bei aller Sauberkeit immer noch (oder wieder) dazu ein, in ihm weitere Verantwortungen anzuhäufen. Wie schnell ist die Validitätsbedingung aufgebohrt und sieht dann z.B. so aus:

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Schon wieder steckt die Kontrollverantwortung mit drin.

Und warum? Weil die Kontrollstruktur if in der Methode geblieben ist. Sie ist zwar relativ harmlos, solange sie nur eines tut, nämlich den Codefluss entsprechend eines Flags mal in dieser und mal in jener Richtung zu leiten. Doch wie ein Stäubchen in der Luft ist sie ein Kristallisationskeim: für Domänenlogik. Eben noch steckte die ausschließlich in IsValid, doch dann hat die sich ausgebreitet, weil grad keine Zeit war, über eine Methode auf Order oder sonst wo nachzudenken, die beide Bedingungsklauseln umfasst. Ja, so schnell kann es gehen. So entsteht Entropie (oder dirty code) in kleinsten Inkrementen.

Hört sich vielleicht nach Erbsenzählerei an. Mag sein. Aber wenn ein Container voller Erbsen zerbricht, kann das ordentlichen Schaden anrichten.

Ich meine also, dass die Verantwortlichkeit Integration solange nicht ordentlich herauspräpariert ist, wie in einer Methode noch Kontrollstrukturen stehen. Aber wie kann die Integration der drei Operation zu einem Ganzen – der Auftragsverarbeitung – erreicht werden, wenn sie einerseits von Bedingungen abhängig ist, andererseits jedoch keine Kontrollstrukturen dafür enthalten darf?

Die verblüffend einfache Antwortet lautet: mit Continuations. (Mit Erweiterungsmethoden ginge es auch. Aber damit würden wir uns auf statische Methoden festlegen.)

Meine Version der Refaktorisierung mit Continuations so aus:

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Die Methode zur Auftragsverarbeitung ist jetzt ausschließlich für die Integration von Operationen im Sinne eines Verarbeitungsflusses zuständig. Und sie lädt niemanden mehr ein, Logik hineinzustecken. (Naja, wer will, der bohrt natürlich die Lambda-Ausdrücke auf. Aber das halte ich für weniger naheliegend als mal eben eine Bedingung zu erweitern.)

Validate_order() ist ebenfalls auf eine Verantwortlichkeit konzentriert: Kontrolle. Wer die Validitätsbedingung verändern will, ist dort genau richtig. Was anderes kann man dort aber auch nicht sinnvoll tun. Insofern muss der Ausdruck auch nicht in eine weitere Methode ausgelagert werden.

Zum Schluss noch zu den merkwürdig benannten Methoden der zum Speichern und Senden des Auftrags. Ich habe die Namen auf einen Unterstrich beschränkt, um den Code besser lesbar zu halten. Oder ist _save._() nicht besser zu lesen als _save.Process() oder _save.Save()?

Dennoch verstehe ich, wenn Sie bei “_” als Methodenname zucken. Er scheint so nichtssagend. Klar. Er muss ja auch nichts sagen, weil der Klassenname (und der davon abgeleitete Feldname) alles sagt.

Fallen Sie angesichts Ihres Unwohlseins nun aber nicht zurück in alte Gewohnheit. Prügeln Sie sich aber auch nicht, “_” als Methodenname zu akzeptieren. Sondern machen Sie den nächsten konsequenten Schritt, den Mark ebenfalls nicht vollzogen hat. Den Robert C. Martin sich vor ihm nicht getraut hat.

Denken Sie das Interface Segregation Principle (ISP) weiter.

In Marks Artikel kommt das ISP in Bezug auf den Ausgangscode eigentlich gar nicht zum Einsatz. Er muss dafür weitere Einsatzszenarien erfinden. Das liegt daran, dass das ISP eben ein I-SP ist; es beharrt darauf, Dienstleistungen in Bündeln anzubieten und zu nutzen. Das IoC und der DI Container arbeiten auf Interfaces, obwohl im Beispiel von jedem Interface nur 1 Methode gebraucht wird.

Das ist nicht nur hier, sondern sehr oft der Fall. Integrationen bekommen Akteure mit vielen Dienstleistungen hineingereicht, nutzen davon aber nur sehr wenige, oft nur 1 oder 2. Warum also überhaupt Abhängigkeiten auf Interfaces basieren? Der Code könnte ohne auskommen, ohne IoC und DI Container zu vernachlässigen:

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Voilà! Die Unterstriche sind verschwunden. Interfaces sind nicht mehr nötig. Process_order ist von keiner Implementation abhängig. Process_order.Process() hat weiterhin nur eine Verantwortlichkeit.

Fazit

SOLID ist gut. SOLID+SLA ist besser. Und SOLID+SLA+ISP2TheMax ist noch besser.

SOLID hat uns auf dem Weg zu Evolvierbarkeit voran gebracht. Wir sollten uns nun aber nicht ausruhen. Das Ziel ist nicht erreicht. Deshalb dard es gern noch konsequenter prinzipieller zugehen. Schauen Sie genau hin, hinterfragen Sie das Selbstverständliche und Überkommene. Die Kristallisationskeime für Dreck sind manchmal klitzeklein. Über die Zeit entfalten sie nichtsdestotrotz eine ungute Wirkung. Versuchen Sie deshalb, Code schon beim Schreiben in der Form so zu halten, dass an ihm Dreck nicht anhaften kann.

Continuations statt Kontrollstrukturen und Delegaten statt Interfaces sind ein Anfang.

Eine Technik zur Vermeidung von dreckigem Code von vornherein ist besser als eine Prinzip zum Aufspüren von Dreck im Code im Nachhinein.

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Mittwoch, 17. August 2011

Mit dem Teppichmesser gegen Verlagsträgheit

Buchhandel und Verlage sind nicht die Schnellsten, was neue Technologien angeht. Ideen aus meiner Sicht als Leser, was der stationäre Buchhandel tun kann, um nachzuziehen und sich zu erhalten, um für mich attraktiv zu bleiben, habe ich schon geäußert.

Für die Verlage gibt es natürlich auch Ideen. Hier nur eine, wie ein cooles Buch 2.0 aussehen könnte.

Das scheint mir Lesen auf der Höhe der Zeit. Wie krude ist dagegen ein Kindle-Book oder ein Hörbuch.

Bis Verlage solche Produkte herstellen, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Auch nicht alle heutigen Verlage werden das schaffen. Andere werden an ihnen vorbeiziehen und die Gunst der Leserschaft erringen. Die Schnellen fressen die Langsamen.

Einstweilen wäre ich ja schon zufrieden, wenn Verlage ganz selbstverständlich jedes Buch auch als eBook herausbrächten. Für Romane und Fachbücher fährt der Zug in diese Richtung langsam los. Bei Sachbüchern und Schulbüchern scheint mir da aber noch einiges im Argen zu liegen.

Case in point: Das Französich Lehrwerk Découvertes von Klett, mit dem nun meine Tochter in der 6. Klasse beginnt. Der Verlag bietet keine eBook-Version an. (Warum nur? Weil Kinder keinen Computer haben? Das Gegenteil scheint mir der Fall. Alle haben ein Handy, fast alle haben einen Computer zuhaus. Meine Tochter – naja, wie könnte es anders sein ;-) - sogar zwei und noch ein eigenes iPad.)

Ich möchte nun mit meiner Tochter einen erneuten Anlauf nehmen, Französich zu lernen – aber natürlich auf meine Weise. Das heißt ich werde die Vokabeln mithilfe von FlashCards Plus Pro auf iPad und iPhone lernen. Und ich werde das Lehrbuch auf dem iPad und iPhone studieren – ob der Verlag das will oder nicht.

Wie das? Er bietet doch kein eBook an.

Ganz einfach mit roher Gewalt :-)

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Bauanleitung – Aus einem Papierbuch wird ein eBook

Wenn der Verlag es nicht schafft auch nur das einfachste eBook herzustellen, dann schaffe ich das halt selbst: mit einem Teppichmesser, ScanSnap S1500, Abbyy FineReader, iPhone, pdfasm, Dropbox und GoodReader.

Schritt 1: Ich zerschneide das Lektionsbuch und das Grammatik-Beiheft mit dem Teppichmesser.

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Schritt 2: Ich scanne die Seiten mit ScanSnap “Schnappi” S1500. Ein Hoch auf das papierlose Büro! Das Resultat sind PDF-Dateien. Da die Seiten als Bilder gescannt wurden, sind die Dateien natürlich sehr groß. 30 KB für 76 Seiten Grammatik-Beiheft. Deshalb zerlege ich das Lektionsbuch in Blöcke (Kapitel 1-3, Vokabeln + Index usw.).

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Schritt 3: Ich lasse die Abbyy FineReader als OCR Texterkennung über die PDFs laufen, damit aus den Bildern echte Texte werden und ich in den PDFs suchen und markieren kann. (Abbyy liegt übrigens dem “Schnappi” bei.)

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Schritt 4: Ich fotografiere noch einige Seiten des Lektionsbuches mit dem iPhone, die ich nicht durch den Scanner schieben konnte. Ist halt ein Hardcover, das Schulalltag standhalten muss. Die Photo-App meiner Wahl: Camera+

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Schritt 5: Ich bündele einige PDFs mit den fotografierten Seiten, damit der Look hübsch einheitlich ist. pdfasm ist mein Freund – auch wenn die Bedienung etwas intuitiver hätte sein können. Da waren wieder mal Techniker die Gestalter der Benutzeroberfläche.

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Schritt 6: Ich lege die PDFs in meine Dropbox, um von allen Devices (Laptop, iPad, iPhone) darauf zugreifen zu können. (Hoppla, aufpassen, damit die PDFs nicht ins öffentliche Verzeichnis geraten und ich durch Unachtsamkeit einen Link darauf in die Welt sende, auf dass auch noch andere Schüler, Eltern, Lehrer ein elektronisches Découvertes in die Hand bekommen.)

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Schritt 7: Schließlich werfe ich den GoodReader auf dem iPad an, um mit der Lektüre der ersten Lektion zu beginnen.

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Zeitaufwand für diese Aktion? Hm… ich habe es nicht gestoppt, aber ich schätze mal, dass es in Summe 2 Stunden gedauert hat. Zeitaufwendig war dabei allerdings nur die Texterkennung. Hat mich aber nicht gestört. Abbyy hat ja still vor sich hingepusselt im Hintergrund, während ich am Rechner weiterarbeiten konnte.

Fazit

Das war gar nicht so schwer. Den Verlag hätte es kaum mehr Aufwand gekostet bei besserem Ergebnis (kleinere PDFs, weniger Stückelung des Inhalts). Der hat den ganzen Content ja in Quark Xpress oder so und könnte ihn ganz leicht nach PDF exportieren.

Warum tut man das nicht? Ich kann nur einen Grund erkennen: ängstliche Unsicherheit. “Oh, mein Gott, was alles passieren könnte, wenn erstmal so ein PDF auf einer CD – nein, zu teuer! – oder im Internet auf unserer Homepage verfügbar wäre. Kriminelle Kinder könnten es verbreiten! Unsere Schulbuchverkaufe würden ins Bodenlose fallen. In 2 Jahren wären wir pleite. Arrghhhh! Das darf nicht passieren!” (Besonders verständlich ist so eine Denke natürlich bei Schulbuchverlagen, die garantierte Verkäufe dadurch haben, dass ihre Lehrwerke verbindlich durch Schulen oder Eltern in Papierform angeschafft werden müssen.)

So stelle ich mir die Verlagsredaktion vor – bis mir jemand plausibel macht, dass es ganz andere, mir als Leser total verständliche Gründe gibt, meine Lesegewohnheit nicht zu bedienen, obwohl es technisch möglich ist. Wenn dies also ein Verlagsmitarbeiter lesen sollte, möge er mich über solche Gründe bitte ins Bild setzen.

imageNun, gut: Wie ich festgestellt habe, kann mir das Verhalten der Verlage ziemlich egal sein. Mit relativ wenig Aufwand habe ich mir mein eBook in “good enough” Qualität selbst hergestellt. Nächstes Mal mache ich das mit meiner Tochter zusammen. Daraus wird dann ein kleiner Event, die jährliche “School Book Slashing Party” oder so :-) (Vielleicht eine Anregung für Pädagogen, um Kindern eine Möglichkeit zum Ausagieren von Aggressionen zu bieten? Mit Teppichmessern auf Schülbücher statt auf Mitschüler oder später Flugzeugpiloten?)

In jedem Fall habe ich schon ein zweites Buch geordert, das ich mit dem Teppichmesser und den anderen Werkzeugen in ein eBook transformieren werde. Diesmal ist es ein Philosophiebuch: Das Prinzip Verantwortung. Suhrkamp verweigert hier die Veröffentlichung als eBook. Ob man meint, eine Existenz als eBook sei einem solchen Inhalt oder dem Klassiker-Status nicht würdig? Hm…

Naja, mir egal. Das Teppichmesser liegt schon bereit. Bei dem Buch wird es auch einfacher. Ist ein Paperback. Vielleicht kann ich das sogar komplett in Text umwandeln.

Aber nun kommen erstmal Sie: Machen Sie mit bei der großen Buchtransformation! Welchen Titel “rippen” Sie, um ihm die ewige Jugend als eBook zu schenken?

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Mittwoch, 3. August 2011

Ideen für den Buchhandel

Wie könnte sich denn nun der Buchhandel auf eine neue Art von Leserschaft einstellen?

Mit meinem vorherigen Blogartikel habe ich erstmal nur ein wenig aufrütteln wollen. Mir liegt etwas am Buchhandel oder besser: an Buchgalerien, in denen ich in pBooks stöbern kann und von deren Auswahl und Präsentation an Büchern ich mich inspieren lassen möchte. Deshalb wollte ich dem Buchhandel einmal berichten, mit welcher Art von Lesern er es (auch) zu tun hat. Nämlich mit solchen, die ihn benutzen, ohne ihm etwas dafür zu geben. Klingt hart, ist aber so.

imageVorgestern habe ich das wieder getan, diesmal in Münster. Die Thalia-Buchhandlung dort hat mir zwei schöne Lesetipps vermittelt. Die habe ich mir in meiner iPhone Amazon App gemerkt und bin wieder gegangen. Auf meine Frage ans Personal, wie sie es denn mit eBooks hielten, hatte man keine überraschende Antwort: “Die finden Sie im Internet.” Ach, ach was.

Also: Wie könnte es der Buchhandel denn besser machen? Das bin ich seit meiner Nachricht an den Buchhandel öfter gefragt worden. Denn besser als diese Thalia-Antwort geht es bestimmt.

Natürlich kenne ich kein Patentrezept. Die Silberkugel habe auch ich nicht gegossen. Allerdings bin ich mir in einem sicher: Wenn es besser werden soll, dann muss es anders werden. Ziemlich anders. Und das auch noch ziemlich schnell. Immerhin droht 40% der Buchhandelsfläche in den nächsten 5 Jahren das Aus, prophezeit Carl Halff, Chef des Weltbild-Medienversands. Und das, obwohl seine Einschätzung des iPads sehr, hm, konservativ ist:

“Für Bücher ist das iPad ungeeignet, zu unhandlich und zu schwer, um damit länger zu lesen, auch nicht blendfrei.”

Aus seiner Sicht liegt die Zukunft des Buchhandels im Multichannel geschäft, d.h. Buch allein bringt es nicht. Aber Buch + Notizbuch zum Buch + Tasse zum Notizbuch zum Buch + Schrank zur Tasse zum Notizbuch zum Buch usw., das bringts. Wirklich? Hm… Für mich verschwimmt da eher der Unterschied zum Kaufhaus immer mehr. Wenn ich heute im Supermarkt oder auch in der Videothek Bücher kaufen kann, wodurch zeichnet sich dann der Buchhandel der Zukunft aus, in dem ich Videos oder Nahrungsmittel kaufen kann?

Irgendwie mögen solche Läden dann Geld verdienen. Gratulation. Aber mit Buchhandel hat das dann für mich nicht mehr viel zu tun. Schon heute ist das Personal im Buchhandel meist recht unverständig. Man kann Bücher räumen und am PC bestellen. Aber beraten… das können die meisten nicht. Überblick – auch nur über eine Sparte –, den haben die meisten nicht. (Besser ist das nur in Antiquariaten. Dort sitzen Enthusiasten.)

Multichannel ist aus meiner Sicht also nicht die Lösung, sondern eine Unterwerfung. Wer als Buchhandel ein Problem hat und dann die Bücher, d.h. die Träger von Inhalten zurückfährt und auf Bauchladen umsattelt, der wechselt schlicht die Branche. Lidl hat kein Problem mit dem Buchverkauf, Karstadt auch nicht. Aber die haben dafür andere Probleme. Ob man also gut beraten ist, die Probleme des Buchhandels gegen andere auszutauschen?

Aus meiner Sicht schlägt Herr Halff also keine Lösung vor, sondern ein Ausweichmanöver für Unternehmen, denen letztlich egal ist, was sie verkaufen. Aus Vorstandsicht natürlich plausibel. Derzeit z.B. im Vorstand von Thalia: Albert Hirsch, der auch schon in Software und Mineralwasser gemacht hat, oder Oliver Reul, der aus dem Bereich Logisik zu kommen scheint und auch schon bei T-Mobile gearbeitet hat, oder Michael Weber, der Erfahrung bei Star Finanz, HanseNet und Tchibo gesammelt hat. Was soll ich als Buchfreund da denken? Dass diese Herren sich dem Buch, den Buchinhalten verpflichtet fühlen, dass sie ein genuines Interesse am Lesen und an Lesern haben? Nein, leider kommen solche Gedanken bei mir nicht auf.

imageDa lobe ich mir echte Buchhändler wie Andrea Nunne mit ihrem kleinen Laden oder die Geschwister Heymann mit ihrer kleinen Ladenkette in Hamburg. Denen geht es um die Inhalte. Und nur von denen erwarte ich in Zukunft auch echte Hilfe bei Selektion und Präsentation, weil es zukünftig vor allem darum geht: Inhalte. Bücher lagern, bestellen, verschicken ist keine Kompetenz mehr, die ein Buchhändler braucht. Alles, was mit der Form von Büchern zu tun hat, ist eigentlich nicht mehr sein Thema. [1]

Was kann der Buchhändler aber nun besser machen in Bezug auf sein Thema? Wie kann er die Umwandlung in einen Bauchladen vermeiden? Hier ein paar Ideen aus meiner Sicht als Leser:

Idee #1: Embrace

Wenn es weh tut, dann mach mehr davon. Diesen Rat an alle, die etwas verbessern/lernen wollen, kann ich nur dem Buchhandel geben. Wenn online Buchverkäufe weh tun, dann versucht mehr damit zu machen. Wenn eBooks weh tun, dann versucht, mehr davon zu verkaufen. Oder wenn nicht verkaufen, dann zumindest besser verstehen, mehr selbst nutzen.

Wenn´s im Bauch zwickt, muss man nicht sofort zum Arzt laufen. Mal einen Tag aushalten und schauen, ob es weggeht, reicht meist aus. Die Schmerzen durch online Buchhandel und eBooks sind aber nicht vorrübergehend. Soviel ist schon heute klar. Wer also noch aushält und darauf wartet, dass es von allein besser wird, der hofft vergeblich.

Wenn aber klar ist, dass Schmerzen Symptome einer ernstzunehmenden Krankheit sind – 40% Flächenverlust für Bücher scheinen mir ziemlich ernst –, dann ist Aktivität angezeigt. Dann muss schleunigst nach einer Kur gesucht werden. Dann darf man sich dem Problem nicht verschließen.

Im Falle des Buchhandels bedeutet das für mich: ausprobieren, mitmachen, selber machen, mehr machen, besser machen. Unvermeidliche Veränderung sollte begrüßt werden. Jeden Morgen ein Hoch auf die neuen Medien singen, ist das Mindeste. Jedem Angestellten ein iPad, Kindle, Smartphone oder sonstwas in die Hand geben. Bücher nur noch online im eigenen oder fremden Shop bestellen. Erfahrung sammeln als Leser. Sich aktiv in die Rolle der heutigen und zukünftigen Kunden versetzen. Als tägliche Pflichtübung für alle.

Damit geht dann einher, jeden Tag wieder zu überlegen, wie mit online und eBook usw. mehr Geschäft gemacht werden kann. Physische Bücher (pBooks) muss man nicht mehr anpreisen. Die verkaufen sich von selbst; ich meine, deren form factor verkauft sich von selbst. Gefragt sind Ideen, wie mit pBooks online oder eben mit eBooks Geschäfte gemacht werden können. “Wie kann ich den nächsten Kunden motivieren, sein Geschäft demnächst mit mir online zu machen oder ein eBook zu kaufen?”, diese Frage sollte sich jeder Buchhändler bei jedem Kunden stellen. Nur so wird das Neue wirklich ernst genommen. [2]

Der Grossist libri macht es jedem Buchhändler leicht, einen online Buchshop zu betreiben. Nunnes kleines Bücher & Co ist dafür ein Beispiel, aber auch die große Mayersche Buchhandlung. Das ist ein schöner Anfang. Technisch haben Buchhandlungen zunächst also nichts auszustehen. Doch dann… Gerade ein Gelegenheitskäufer findet nur schwer den Weg zum online Buchladen eines kleinen Geschäfts. Amazon hingegen ist in jedermanns Kopf verankert. Mit einem Shop von libri fängt die kreative Arbeit der Umarmung der “neuen Medien” erst an. Darauf kann sich niemand ausruhen.

Idee #2: Fokus

Wer als Buchhändler das Heil im Multichannel sucht, wird sich und seiner Kundschaft untreu. Aus meiner Sicht führt der ehrliche Weg im Buchhandel daher nicht in die Breite, in die Diversifikation, sondern in die Tiefe. Spitzer werden, fokussieren, auf das Wesentliche konzentrieren, das, so glaube ich, sollte die Strategie der Stunde sein.

Worin liegt die Aufgabe des Buchhandels, genauer: des Buchladens? Früher ging es darum, Bücher schlicht zugänglich zu machen. Ohne ausgefeilte internationale Logistik und ohne umfassende, frei zugängliche Verzeichnisse war der Buchhandel das Nadelöhr zum Buch. Er hat es beschafft – mit oder ohne eigenes Lager. Er hat es gefunden in dicken Katalogen. Darüber hinaus hat er sogar bei der Auswahl beraten. Die Präsentation vor Ort war immer nur ein klitzekleiner Ausschnitt.

Beschaffung, Lagerung, Nachschlagen: das alles ist heute aber kein Problem mehr. Jeder kann das genauso gut wie der Buchhändler (oder sogar besser, je nach Enthusiasmus). Und das auch noch von zuhause aus.

Worum geht es also heute beim Buchladen? Es bleibt nur der Inhalt. Es geht nur noch um die Vermittlung von Inhalten unabhängig vom Medium. Inhaltsproduzenten müssen an Inhaltskonsumenten vermittelt werden. Die vornehme Aufgabe der Buchladeninhaber ist dieselbe wie die guter Gastgeber: sie stellen Menschen einander vor – und ziehen sich dann zurück.

Wenn die Zusammengebrachten einander interessieren, dann wird mehr daraus. Sie treffen sich nach der Party wieder bzw. der Leser kauft Inhalte des Autors. Wie, wo, wann, wieviel… das sollte Gastgeber wie Buchhändler egal sein. Sie haben ihren Job getan, wenn sie ein Angebot einem Bedarf zugeführt haben.

Und dafür sollen sie dann auch entlohnt werden. Dem Gastgeber ist Beifall gewiss, der Buchhändler verdient dafür Geld.

Der Buchladen der Zukunft sollte sich also genau darauf konzentrieren: Lesebedarf und Lesestoff zusammenbringen. Egal wie. Je genauer und verlässlicher, desto besser. pBook, CD, MP3, eBook… egal. Im Laden kaufen, online kaufen… egal.

Die Frage, die sich der Buchhändler jeden Tag stellen sollte ist: Wie kann ich die Inhalte, die es gibt, die sich jeden Tag vermehren, interessierten Lesern zuführen? Alles ist erlaubt. Alles kann in Frage gestellt werden.

Schon lange hat der Buchhandel ja erkannt, dass es besser ist, Kunden beim Stöbern zu unterstützen. Statt von der Kasse aus zu rufen, “Bitte das Buch vorsichtig behandeln!” lieber noch einen Stuhl unter den Kunden schieben und ihn zum Weiterblättern animieren. Vor 30 Jahren wäre das in Deutschland noch undenkbar gewesen – außer in einer Bücherei. In gleicher Weise könnte anderes bisher Undenkbares aber auch Realität werden:

Beispiel Probekauf: Warum nicht noch einen Schritt weitergehen und Kunden Bücher mit nach Hause geben? Sozusagen Kauf auf Probe. Bei Nichtgefallen kann das Buch innerhalb von 48 Stunden zurückgebracht werden. (Mit Umtausch kann man sich soetwas als Kunde natürlich heute schon erschleichen. Deshalb vergibt sich der Buchhandel nichts, diese Möglichkeit als Dienstleistung offiziell anzubieten.)

Beispiel Serienabo: Es gibt zunehmend Autoren, die Buchreihen schreiben. Da tritt immer wieder derselbe Protagonist auf oder sie drehen sich ums selbe Thema usw. Wer Dona-Leon-Fan ist, der will wahrscheinlich all ihre Bücher lesen, dito wer Fan von Inspektor Wallander ist oder Kay Scarpetta mag. Warum also als Buchhandel nicht ein Abo auf Bücher solcher Reihen anbieten? Ja, ich weiß, dass es eine Buchpreisbindung in Deutschland gibt. Ein günstiger Abopreis wird deshalb wohl schwer bis unmöglich sein. Doch mit Kreativität lässt sich da doch etwas machen, denke ich. Lesern geht es nicht immer um den Preis. Sie wollen Bequemlichkeit, sie wollen Aufmerksamkeit. Ich würde mich freuen, wenn der Buchhändler meiner Wahl mir versichern könnte, mir z.B. jedes Buch von Martin Suter bei Erscheinen als Taschenbuch sofort zurückzulegen, mich zu informieren oder mir sofort zuzuschicken als Probekauf. Wenn dann noch jedem Buch eine kleine Aufmerksamkeit beiläge… Was wollte ich mehr? Das Abo brächte mir doch schon Ruhe und Gewissheit, kein Buch zu verpassen.

Beispiel Kontextkontakt: Man kann Bücher einfach nur so lesen – oder man kann in sie eintauchen. Mein Eindruck ist, dass das immer mehr Menschen wollen. Sie lieben es, sich in andere Welten zu begeben. Warum diesen Trend nicht aufgreifen? Ich fände es ausprobierenswert für Buchhändler, zusammen mit Reiseveranstaltern Angebote zu Büchern zu erarbeiten. Beispiel: Für Dona Leon Fans die Venedig Reise zu den Originalschauplätzen der Bücher inkl. Treffen mit der Autorin. Oder für Kay Scarpetta Fans eine Führung durch die Rechtsmedizin. Oder für Fans von Fantasy-Büchern Rollenspielabende. Oder, oder, oder. Das wären dann keine direkten Buchangebote mehr, aber es ginge immer noch um den Inhalt, weil sich diese Angebote Kontakt zum Kontext des Inhalts böten. Der kann im Buchladen oder außerhalb stattfinden. Bücher kann man lesen – doch Bücher haben das Potenzial für mehr. Ihr Inhalt ist immer nur Ausgangspunkt. Am Ende will der Leser ein Erlebnis. Das ist nicht anders als bei Fußball, Musik, Film, Autokauf. Es geht immer ums Erlebnis, um Gefühle. [3]

Beispiel Rückkauf: Wenn schon pBook, warum dann als Buchladen nur einmal daran verdienen? Wäre es nicht toll, wenn man sein pBook am Ende statt ins Regal daheim wieder ins Regal im Buchladen stellen könnte, um ein anderes mitzunehmen? Warum dafür in die Bücherei gehen, die irgendwie nie das aktuelle Buch hat, das man gerade lesen will? Der Buchladen nimmt heute schon Bücher ungelesen im Umtausch zurück. Da wäre es ein kleiner Schritt, sie in einem gewissen Zeitraum nach Kauf und in einem gewissen Zustand auch gelesen wieder zurückzunehmen – natürlich zu einem geringeren Rückkaufpreis. Das würde den Buchhandel auch an die zunehmende collaborative consumption heranführen. Die stellt nämlich die nächste Gefahr für alle dar, die neue Waren an jeden verkaufen wollen. Amazon macht es im Internet vor; dort schämt man sich nicht, neben neuen auch gebrauchte Bücher anzubieten.

Das sind vier Beispiele für eine Erweiterung der Dienstleistungspalette, ohne gleich zum Multichannel-Höker zu werden. Hier geht es ganz klar um den Inhalt, wenn nicht sogar ums Buch. Andere Ideen für Umsätze durch mehr Fokus lassen sich bestimmt finden. Für diese hier habe ich ja nur 10 Minuten gebraucht als Laie. Auch geht es nicht um den einen Knüller, sondern um eine Bandbreite an Angeboten neben dem pBook/eBook, ohne gleich auf Tassen und Frühstücksbrettchen ausweichen zu müssen. Warum bei Leseecke und Leseabend stehenbleiben?

Idee #3 Selektion

An ein Vollsortiment ist im offline Buchhandel gar nicht zu denken. Auch eine große Mayersche Buchhandlung kann nicht alles auf Lager haben oder auch nur präsentieren. Ich glaube deshalb, dass es zukünftig mehr denn bisher darauf ankommt, als Buchladen zu selektieren.

Die Selektion könnte entlang von Genregrenzen verlaufen: Krimibuchladen, IT-Buchladen, SF-Buchladen usw. Sie könnte das Alte auswählen (Antiquariat) oder das Neue: Warum nicht ein Buchladen, der von allen Verlagen immer und ausschließlich nur das Neuste hat? Und ich meine wirklich nur das Neueste. Für einen begrenzten Zeitraum, z.B. 3 Monate. Oder man schießt sich auf die Klientel in einem Quartier ein?

In jedem Fall gehört zur gezielten Selektion, die wirklich Mut hat, Titel wegzulassen, eine echte Kompetenz. In Bezug auf die Selektion muss der Buchhandel kundig sein: Autoren kennen, Empfehlungen aussprechen können, abgrenzen können. Wie beim Outdoor-Laden käme es dafür nicht auf eine formale Ausbildung an, sondern auf Enthusiasmus und Erfahrung.

Wenn der Buchladen aufgrund seiner Selektion und seines Fokuses mir helfen kann, zu neuen spannenden Titel in jedem Format zu kommen, dann bin ich als Leser begeistert. Das kann im persönlichen Gespräch geschehen oder durch eine besonders hilfreiche “Regallandschaft” oder durch eine eigene “Suchmaschine”… egal.

Der Buchhandel, der 2 Regale Krimis, 1 Regal Kinderbücher, 1 Regal SF, 4 Regale allgemeine Romane usw. hat, wird wohl leider keine Zukunft haben. Ihm fehlt die klare Selektion, ein deutliches Kompetenzprofil. Nicht, dass er keine Kunden fände, aber ich glaube nicht, dass sie ihm reichen können. Ich wüsste einfach nicht, was ich von ihm erwarten soll als “das Übliche”, d.h. 95% das, was ich auch bei Thalia und Amazon sofort angeboten bekomme. So ein Sortimentsdurcheinander wird zukünftig nur immobile Leser befriedigen, die quasi auf diesen Buchladen angewiesen sind.

Für mich liegt die Zukunft des Buchhandels aber nicht bei denen, die nicht anders können, sondern bei denen, die gezielt einen Buchladen aufsuchen, weil sie anders können, aber nicht anders wollen. Sie wollen in das Geschäft, weil das Geschäft ihnen unwiderstehliche, womöglich einzigartige oder zumindest sehr persönliche Angebote macht. Kunden von Buchläden wollen keine Bücher mehr – also Seiten zwischen Pappdeckeln –, sondern “Leseerlebnisse” rund um Inhalte. Und da es von denen potenziell viele gibt, freuen sie sich, wenn sie auf dem Weg dahin Gleichgesinnte treffen und mit Leuten zu tun haben, die sie wirklich verstehen. Je undefinierbarer die Selektion einer Buchladens aber ist, desto weniger ist zu erwarten, dass ein solcher Kontakt entsteht.

Idee #4 Präsenz

Den Buchhandel macht aus, dass man dort Bücher in die Hand nehmen kann. Ob er viele irgendwo auf Lager hat, interessiert nicht mehr. Ob er sie schnell besorgen kann, auch nicht. Im Laden interessiert mich, was ich dort vor Ort durchstöbern kann, was präsent ist und zwar in einer Form, die mir mehr bietet als ein online Bookshop.

Ich denke daher, dass Buchläden ihr Angebot in Bezug auf Buchpräsenz optimieren müssen. Heute sehe ich hohe Bücherberge mit demselben Titel. Warum? Weil man an Leser denkt, die das Buch physisch sofort mitnehmen wollen. Dabei ist das doch nicht mehr das Problem. Jeder kann das Buch morgen in seinem Postkasten haben oder in 30 Sekunden auf seinem eReader.

Mir wäre lieber, die Buchläden würden in den Regalen eine größere Vielfalt an Büchern präsentieren, statt vom selben Titel viele Exemplare. Auf die Spitze getrieben hieße das: Im Buchladen der Zukunft ist entsprechend seiner Selektion jedes Buch nur 1 Mal vorhanden – als Präsenzexemplar. Das kann ich mir vor Ort ansehen, aber nicht sofort mitnehmen. Stattdessen bestelle ich es an der Kasse und bekomme es morgen geliefert oder kann es mir runterladen. D.h. auf dem Präsenzexemplar ist auch klar ersichtlich, welche anderen Formate es gibt: ePub, PDF, Kindle, MP3, CD.

Auch nicht jedes Buch muss physisch komplett vorhanden sein. Wo es eBooks gibt, reicht im Regal eine Karte, die aussieht wie das Buch, um mir Geschmack zu machen. Oder ein Booklet mit einem Auszug. Davon würden viiiiel mehr ins Regal passen. Wenn ich dann mehr will, nehme ich mir einen der rumliegenden eReader und lese damit weiter im Buch, bis ich weiß, ob ich es haben will oder nicht. Natürlich kann ich es damit auch sofort über den online Bookshop des Ladens kaufen. [4]

Fazit

Soweit mal vier Aspekte mit Ideen für eine Zukunft des offline Buchhandels, d.h. von Buchläden. Wie gesagt, darunter ist keine Silberkugel. Es gibt keine Wunderwaffe zur Rettung des Buchhandels. Aber ich denke, Fatalismus ist fehl am Platze. Es lässt sich eine Menge tun, wenn man etwas kreativ ist und Mut hat.

Die Zukunft des Buchhandels liegt im Nebel. Nur soviel ist gewiss: das Terrain vor ihm ist tückisch und das bisher Bewährte gibt wenig Sicherheit für den weiteren Weg.

Deshalb halte ich es für wichtig, den Nebel nicht aussitzen zu wollen. Stattdessen besser frisch voran. In kleinen experimentellen Schritten. In den Nebel hinein. Oder gar selbst zum Nebel werden, mit ihm verschmelzen. Agieren statt reagieren. Niemand ist Opfer des Wandels durch das Internet – außer man macht sich dazu.

Bei diesem mutigen Voranschreiten dann auf eines vertrauen: dem inneren Kompass in Richtung Inhalt. Denn darum geht es: Inhalte, “Leseerlebnisse” zu vermitteln. Wer daran nicht interessiert ist und im Grunde alles verkaufen könnte, um “am Leben zu bleiben”, der ist schon heute kein Buchhändler mehr. Also fokussieren auf alles, was mit Inhalten zu tun hat.

Da dieser Bereich jedoch eher wächst denn schrumpft, braucht es wieder mal Mut: um sich in der Auswahl zu beschränken und in Bezug auf diese Auswahl echte Kompetenz aufzubauen. Mich zumindest wird in Zukunft der Bauchladenbuchhandel nicht mehr interessieren. Von allem ein bisschen…? Das kriege ich bei Amazon besser. Wenn ich in den Buchladen gehe, dann will ich, dass man mich anspricht, mich versteht. Rundum. In Bezug auf Inhalte und auch die Form. Wer da verlegen lächelt, wenn es um das Thema eBook geht, ist raus.

Für mich liegt daher die Zukunft des offline Buchhandels in der Präsentation einer profilierten Vielfalt. Ich will möglichst viel dort “begreifen” können im Laden. Denn was ich im Laden “ausprobieren” kann, dass kaufe ich eher. “Try before you buy.” Mitnehmen muss ich es nicht unbedingt und schon gar nicht als pBook.

Und nun kommt ihr, liebe Leser. Wer hat noch andere Ideen für den Buchhandel? Wenn der sich selbst schwer tut mit dem Wandel, können wir ihm vielleicht aus Lesersicht auf die Sprünge helfen.

Spendieren Sie mir doch einen Kaffee, wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat… (Den trinke ich dann auch gern in einer Buchhandlung mit Coffeeshop ;-)

PS: Noch ein Hinweis dazu, wie die Veränderungen angegangen werden können in den Buchläden: gemeinsam. Der Buchhändler, der glaubt, er könne die Zukunft vorausdenken für seine Mitarbeiter (wenn er noch welche hat), verschenkt Ideenpotenzial. Alle müssen an einen Tisch, weil alle im selben Boot sitzen. Dabei ist dann alles erlaubt. Es gibt nur eine Pflicht: mutig nach vorne denken und Veränderungen ernsthaft ausprobieren. Ja, ich meine ausprobieren, d.h. zunächst nur für begrenzte Zeit implementieren. Nicht alles auf eine Karte setzen. Manche Aktion läuft dann vielleicht 4 Wochen, eine andere 3 Monate, eine dritte ein ganzes Jahr.

PPS: Wer als Buchhändler noch nicht damit angefangen hat, sollte übrigens schleunigst einsteigen ins Sammeln von Kundenadressen. Hier ist der Begriff Kanal tatsächlich wichtig: einen Kommunikationskanal zu den Kunden aufbauen. Briefpost, Twitter, Facebook, Email-Newsletter… egal. Dem Buchladen müssen die Kunden per Adresse bekannt sein. Die Zahl anonymer Buchkäufe muss minimal sein. Auch hier ist also Kreativität gefragt: Wie kann der Buchkäufer überzeugt werden, sich zu erkennen zu geben zumindest mit einer Email-Adresse?

Fußnoten

[1] Es sei denn, es geht um neue Formen, bei denen Leser noch Hilfestellung benötigen. Doch gerade da schwächelt der traditionelle Buchhändler. Ich kenne jedenfalls nur solche, denen das gute alte pBook so lieb ist, dass sie eigentlich keine eigene Erfahrung mit eBooks haben, geschweige denn Fans von eBooks wären.

[2] Oder auch die Kundschaft fragen, warum sie eben nicht online kauft oder kein eBook liest. Auch das zu wissen, ist wichtig. Wenn da die Antwort ist, “Weil ich ihren persönlichen Rat als Buchhändler schätze”, dann ist das toll und ein Hinweis darauf, was in Zukunft ausgebaut werden muss. Falls die Antwort jedoch lautet, “Ach, ich kenn mich mit Computern nicht so aus”, dann ist klar, dass dieser Kunde nur gezwungenermaßen im Laden steht; er kann nicht anders – und wird aussterben. Ihn zu bedienen, ist natürlich selbstverständlich. Irgendwie. Auf ihn die Strategie auszurichten, wäre aber verfehlt. Außer man sieht es als Marktlücke an, für “internet challenge people” einen Laden zu machen so wie in anderen Ländern Schreibstuben für Leseunkundige.

[3] Deshalb ist der Buchladen eigentlich auch gut aufgestellt. Er hat den persönlichen Kontakt zum Erlebnishungrigen. Amazon hat den nicht. Wenn der Buchhandel zum Multichannel wird, nutzt er diese Chance nicht. Eine Tasse zum Buch ist kein Erlebnis. Eine Harry-Potter-Party aber, die HP-Sondervorstellung in einem Kino, der Zauberkurs für HP-Fans im Laden, die HP-Reise nach Schottland, das Twitter Re-enactment eines Quidditch-Spiels jedoch… das sind Erlebnisse. Die kann man online nicht bestellen.

[4] Hier wird deutlich, dass der Buchhandel Hilfe von den Verlagen braucht. “Buchpräsentationskarten” und Booklets stellen sich nicht von allein her. Auch könnten pBooks schon gleich mit Hinweisen auf weitere Formate bedruckt sein. Für Neuerscheinungen gibt es manchmal vorab Booklets; warum aber nicht konsequent für alle Titel? Die können ja ganz einfach gehalten sein. Damit könnten die meisten Verlage mit ihrem kompletten Programm vor Ort in jeder Buchhandlung sein. Zum Anfassen.