Samstag, 30. Oktober 2010

Lesenswerte Widerlegung

Eine Allaussage geht um: “Es kann nur sein, wie es ist.”

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Unternehmen geht es schlecht, weil der Markt halt so ist, wie er ist; böse Globalisierung. Oder die Mitarbeiter sind halt, wie sie sind; böse Ausbildungsdefizite und Konsumentenhaltung. Daran kann man kaum was ändern. Höchstens sollte man die bisherigen Anstrengungen verstärken: “Nachsitzen”, wenn das Release noch raus muss; mehr Incentives, damit endlich die Softwarequalität steigt; strengere Budgetschrauben, damit alles unter Kontrolle bleibt; weniger Investition in Mitarbeiterfortbildung, weil dadurch wertvolle Zeit zur Kundenwunscherfüllung verloren geht. Usw. usf. ad nauseam.

[Pause]

Mir ist ein wenig übel geworden, da ich diese Litanei geschrieben habe. Die komprimiert und verkürzt zwar, ist aber ein Abbild der Stimmung, die mir in Beratungen, Trainings oder auf Community-Veranstaltungen entgegenschlägt. Früher war vor allem Klagen über Tools oder Microsoft. Veteranengeschichten folgten dann schnell. Wie es damals mit dem C64 war… und die Lochkarten…

Heute scheint das weniger Thema. Vielleicht liegt es auch an meinem neuen Fokus, der nicht mehr auf Technologien, sondern auf Softwarequalität liegt. imageHeute höre ich Klagen über Arbeitsbedingungen. Immer wieder werden da Mauern beschrieben, gegen die Entwickler laufen, weil sie nicht so dürfen, wie sie wollen. ReSharper darf nicht angeschafft werden: zu teuer. Automatisiertes Testen darf nicht in Anschlag gebracht werden: dafür hat der Kunde nicht bezahlt. Eine Fortbildung darf nicht besucht werden: vier Monate Urlaubssperre, weil die Projekte weit jenseits des Plans liegen.

Dahinter – wie schon gesagt – der Glaubenssatz: Irgendwie kann es nicht anders sein. So ist die Welt halt. Vor allem ist sie kein Wunschkonzert. Dem Schicksal und den Marktgesetzen den ehernen sollte man sich daher ergeben.

Widerlegung

Die Allaussage, der unumstößliche Glaubenssatz wird ad absurdum geführt durch den Nachweis der Existenz auch nur eines Gegenbeispiels.

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Wenn es auch nur einmal anders gehen kann, als die Überzeugung diktiert… dann ist die Welt anders als gedacht. Dann ist Hoffnung auch in schlimmsten Zeiten.

Und solche Hoffnung gibt es. Der campus Verlag hat eine mehr als 200 Seite starke Widerlegung des allgegenwärtigen Glaubenssatzes herausgebracht, die Unternehmensverhältnisse könnten kaum anders sein. Ihr Titel: “Nur Tote bleiben liegen” vom Autorenduo Förster und Kreuz.

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Gelesen habe ich das Buch, weil Rezensionsexemplare davon im Blog der Autoren an andere Blogger vergeben wurden. Da konnte ich nicht nein sagen ;-)

Gefallen hat mir das Buch aber nicht wegen seiner Kostenlosigkeit für mich. Nein, keine Sorge. Es ist seine “Schwingung”, die gute Laune, der Optimismus, die Hoffnungsfülle, der Gegenentwurf, das Ja zu Neu und Anders, die es für mich zu einer Empfehlung machen.

Ich will deshalb auch gar nicht lange auf den Inhalt eingehen. Man muss es einfach aufschlagen und loslesen. Irgendwo. Jede Seite eine Widerlegung. (Naja, vielleicht übertreibe ich ein wenig ;-) Jede Seite ein Beispiel dafür, dass andere Arbeitsverhältnisse, andere Organisation von Unternehmen möglich ist. Und zwar ganz handfest. Dies ist kein Thesenbuch, sondern eine Beispielsammlung. Förster und Kreuz berichten aus der Realität. Die mag mal fern sein, auf anderen Kontinenten, aber sie ist immer relevant. Auch das ein Effekt der schlimmen Globalisierung. Oder ist die gar nicht so schlimm?

Wer glaub, man können nicht anders umgehen mit der Arbeitszeit oder der Führung oder der Aus-/Fortbildung oder der Kontrolle oder dem Kunden, der schlage dieses Buch auf uns lasse sich eines Besseren belehren. Es geht anders, als die allermeisten Unternehmen es heute tun und meinen nicht anders tun zu können. Irgendwo geschieht schon die kleine oder große Revolution, die Kunden zufrieden macht, Unternehmen prosperieren lässt und Mitarbeiter ganz einfach motiviert.

Internet, Globalisierung, neue Medien, anspruchsvolle Kunden, Digital Natives als Mitarbeiter… das alles und mehr muss keine Bedrohung althergebrachter Ruhe und Ordnung sein. Es liegt an uns, das Glas als halb voll und nicht als halb leer zu betrachten. Die Chancen auf etwas Besseres lauern überall. Das beweist “Nur Tote bleiben liegen” mit einem Feuerwerk an weltweit gesammelten Impressionen.

Im Maul vom Gaul

So empfehlenswert ich das Buch finde, man darf keine Tiefründigkeiten erwarten und auch keine Tipps für die Praxis. Wer von der Lektüre motiviert das Berichtete selbst ausprobieren möchte, ist auf sich gestellt.

Das soll keine Klage sein, sondern nur ein Hinweis, um falsche Erwartungen zu zerstreuen. Förster und Kreuz haben einen hochfrequenten Impulsgeber und Motivator geliefert, kein Handbuch.

Nein, eine tiefergehende Kritik am Inhalt habe ich nicht. Man nehme einfach das Buch für das, was es will und kann. Die knapp 25 EUR für das Hardcover sind nicht zuviel für die Portion Zuversicht, die sich daraus löffeln lässt.

Aber -- denn ohne Aber geht es nicht ;-) -- eines hat mir nicht gefallen. Es ist mir erst nach einiger Zeit aufgefallen, als ich nachfragte, ob es auch eine elektronische Version des Buches gäbe, die ich mit meinem iPad auf den prio.walk hätte nehmen können. Das, was fehlt, ist eben oft schwerer zu erkennen, als das, was da ist.

Nein, ich meine nicht eine eBook-Version oder ein Hörbuch. Beides gibt es.

Ich meine die Abwesenheit von Innovation bei Verlag und Autoren.

Es hat einen Moment gedauert, weil auch ich in Jahrzehnten konditioniert wurde, bei Büchern ersteinmal an Papier zu denken. Aber was für ein Quatsch! Bücher müssen weder aus Papier bestehen noch als zusammenhängendes PDF ausgeliefert werden. Sie müssen auch nicht daheim am Schreibtisch verfasst, zu einem Verlag getragen und dann von einem Vertriebler an den Buchhändler gebracht werden. All das inklusive eBook und Hörbuch ist so Buch 1.0, dass es kaum auszudenken ist. Das ist so un-innovativ und so un-mutig, dass es mich bei diesem Buch erschreckt und enttäuscht hat. Schade.

Warum haben Förster und Kreuz, die als Erfolgsautorenduo genügend Reichweite auch ohne Verlag haben, ihr neues Buch “im stillen Kämmerlein” geschrieben? Sie haben natürlich ein Blog, dessen Inhalte früher oder später wahrscheinlich in der einen oder anderen Weise auch wieder in einem Buch auftauchen werden. Dennoch findet das Schreiben ab von der Öffentlichkeit und somit ab vom Feedback statt.

Wie Buch 2.0 ist dagegen dieser Titel:

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Der Autor hat sich schon beim Schreiben dem detaillierten Feedback der Community gestellt, indem er den kompletten Text online veröffentlicht hat – mit der Möglichkeit, absatzweise Kommentare zu geben. Hier ein Auszug:

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Das ist Web 2.0 gelebt. Vom Autor wie vom Verlag.

Oder warum haben Förster und Kreuz den potenziellen Rezensenten überhaupt als Default ein Papierbuch angeboten? Warum nicht einen Link auf ein PDF oder einen Kindle-Gutschein? Der ganze Aufwand mit Verpackung und Porto ist überflüssig. Allemal für Rezensenten. Mich interessiert doch nur am äußersten Rand, ob das Papierbuch geschmeidig in der Hand liegt. Auch hier also eine merkwürdige Zurückhaltung in Bezug auf das, was möglich und zukunftsweisend ist.

Wo ist auch das virale Marketing? Warum nicht das Buch launchen im Blog mit einem befristeten kostenlosen Download für jedermann? Von mir aus kann es dabei ja durch Einbinden des Namens des Herunterladenden personalisiert werden.

Oder wenn schon nicht ganz umsonst für eine gewisse Zeit, dann zumindest Zahlen mit einem Tweet. Das ist ja trivial aufzusetzen: http://www.paywithatweet.com/

Nett, dass die Blogeinträge der Rezensenten am Ende von den Autoren zusammengefasst werden. Aber auch das ist letztlich Buch 1.0, weil es auf Zentralisierung setzt.

imageOder wie wäre es, das Buch sofort in “Module” zu zerlegen. Und nicht nur dieses Buch, sondern auch die bisherigen von Förster und Kreuz? Dann die Module mit Tags versehen oder in eine Concept Map o.ä. einbinden und ab ins Internet damit.

Dann könnte der Inspiration suchende Leser sich durch das Förster und Kreuz Universum bewegen, online lesen z.B. mit Scribd, sich am Ende sein persönliches Buch aus den interessantesten Modulen zusammenstellen, alles in ein PDF “zusammenschweißen” und das womöglich noch ad hoc in der Auflage 1 für sich z.B. durch www.epubli.de drucken lassen. Das (!) wäre Buch 2.0. Das würde dem amerikanischen Sprichwort “Put your money where your mouth is!” entsprechen.

Aber ich will nicht abschweifen. Dies ist ja nur eine Buchrezension und keine Verlagsberatung ;-) Eine Beratung wäre für viele Verlage wohl auch eher das falsche Mittel, um aus deren Klagehaltung herauszukommen. Da scheint mir eher eine Therapie angezeit. Aber das ist ein anderes Thema…

Also komme ich mal zum Schluss:

“Nur Tote bleiben liegen” finde ich lesenswert, weil kurzweilig und inspirierend. Lockere Schreibe, lockerer Inhalt, macht gute Laune. Einfach mal auf den Wunschzettel für Weihnachten setzen – oder gleich dem Chef schenken ;-)

Denn wer sagt, es ginge nicht anders in den Unternehmen, Erfolg und Zufriedenheit seien nur mit Verstärkung tradierter Maßnahmen – Management 1.0 – zu erreichen oder gar nicht, der findet in diesem Buch einen bunten Strauß an Widerlegungen.

Und ganz vielleicht sind Förster und Kreuz ja beim nächsten Buch auch selbst mutiger. Raus aus der Komfortzone gilt nicht nur für die, über die sie berichten, würd´ ich mal sagen.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Private Methoden einfach testen

In einer Session auf der ADC fragte Stefan Lieser mich heute, ob nicht die dynamischen Features von C# helfen könnten, private Methoden von Objekten zu testen. Erst war ich skeptisch – doch dann half Google. Es geht tatsächlich.

Wer das also dringend tun will, der kann es so wie folgt beschrieben tun. Besonders mag das in Brownfield-Projekten helfen. Denn ansonsten ziehe ich es vor, Privates privat sein zu lassen und nicht direkt zu testen. Und Internes mache ich für Tests mit InternalsVisibleTo zugänglich.

Gegeben dieses Systen under Test:

public class MyFizzBuzzer
{
   
public static IEnumerable<string
> FizzBuzz()
    {
       
return Enumerable
.Range(1, 100).Select(FizzBuzzThis);
    }

   
private string FizzBuzzThis(int
i)
    {
       
if (IsFizzBuzz(i)) return "FizzBuzz"
;
       
if (IsFizz(i)) return "Fizz"
;
       
if (IsBuzz(i)) return "Buzz"
;
       
return
i.ToString();
    }

   
private static bool IsFizz(int
i)
    {
       
return
i % 3 == 0;
    }


Dann können Sie in Zukunft solche Tests schreiben für die privaten Methoden:

[TestFixture]
public class testMyFizzBuzzer
{
    [
Test
]
   
public void
Check_fizz_numbers()
    {
       
dynamic sut = typeof(MyFizzBuzzer
).Undress();
       
Assert
.IsTrue(sut.IsFizz(3));
       
Assert
.IsTrue(sut.IsFizz(12));
       
Assert
.IsFalse(sut.IsFizz(5));
    }


    [
Test
]
    [
TestCase(1, "1"
)]
    [
TestCase(2, "2"
)]
    [
TestCase(3, "Fizz"
)]
    [
TestCase(5, "Buzz"
)]
    [
TestCase(15, "FizzBuzz"
)]
   
public void FizzBuzz_number(int number, string
expected)
    {
       
dynamic sut = new MyFizzBuzzer
().Undress();
       
Assert
.AreEqual(expected, sut.FizzBuzzThis(number));
    }

Dazu ist es nur nötig, dass Sie diese Klassen ins Testprojekt einbinden:

namespace System.Dynamic
{
   
public static class UndressObjects
    {
       
public static dynamic Undress(this Type
type)
        {
           
return new UndressedObject
(type);
        }

       
public static dynamic Undress(this object
obj)
        {
           
return new UndressedObject
(obj);
        }
    }


   
public class UndressedObject : DynamicObject
    {
       
private const BindingFlags MEMBERS_FLAGS =
BindingFlags.Instance | BindingFlags
.Static |
               
BindingFlags.Public | BindingFlags
.NonPublic;

       
private readonly object
_dressedObject;


       
public UndressedObject(object
o)
        {
            _dressedObject = o;
        }


       
public override bool TryInvokeMember(InvokeMemberBinder binder,
object[] args, out object
result)
        {
           
var
method = TypeOfDressed().GetMethod(binder.Name,
                                                   MEMBERS_FLAGS,
                                                  
null
,
                                                   GetParameterTypes(args).ToArray(),
                                                  
null
);

           
if (method == null) return base.TryInvokeMember(binder, args, out
result);

            result = method.Invoke(_dressedObject, args);
           
return true
;
        }


       
private IEnumerable<Type> GetParameterTypes(object
[] args)
        {
           
return from a in args select
GetActualType(a);
        }


       
private Type GetActualType(object
t)
        {
           
return (t is ParameterInfo) ? (t as ParameterInfo
).ParameterType
: t.GetType();
        }


       
private Type
TypeOfDressed()
        {
           
return (_dressedObject is Type) ? (Type
)_dressedObject
: _dressedObject.GetType();
        }
    }
}

Die Idee stammt aus diesem Artikel. Ich hab sie lediglich etwas, hm, fokussiert.


Getestet werden können also private statische Methoden oder Instanzmethoden.


Enjoy your brownfield! ;-)

Freitag, 22. Oktober 2010

Wider die Softwarearchaeologie

imageAuf der prio.conference habe ich mal die Event-Based Components Dru Sellers vorgestellt, einem der Entwickler des MassTransit Busses. Das war ein sehr interessantes Gespräch in vielerlei Hinsicht.

Zu einem Aspekt daraus bin ich dann auch gleich heute zurückgekehrt: der Archaeologie der Software.

Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem Steinkreis von Stonehenge und einem Klassendiagramm?

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Meine Antwort: Es gibt keinen Unterschied.
Naja, außer dem offensichtlichen Zwinkerndes Smiley

Sowohl der Steinkreis wie das Klassendiagramm sind archaeologische Artefakte. Das heißt für mich hier, sie sind Menschengemachtes mit einem Zweck, den es zu entschlüsseln gilt. Er lässt sich nicht einfach ablesen, sondern muss durch langwieriges Studium rekonstruiert werden. Stonehenge wie Klassendiagramm zeigen nicht an, wie sie funktionieren.

Für Stonehenge mögen Sie mir da auch zustimmen. Beim Klassendiagramm jedoch schütteln Sie sehr wahrscheinlich den Kopf. Dennoch: Ich meine es genau so. Ein Klassendiagramm zeigt nicht, wie eine Software funktioniert. Die Prozesse, für die es steht, sind aus ihm nicht abzulesen.

Ist das nun ein Mangel des Klassendiagramms? Sicher nicht. Sein Zweck ist allein die Darstellung von Struktur, es beschreibt Beziehungen zwischen Funktionseinheiten.

Meine Kritik richtet sich daher nicht an das Klassendiagramm, sondern an die, die es zum Symbol für die rechte Softwareentwicklung gemacht haben.

Unter den Diagrammarten ist es wohl die heute am wohl häufigsten verwendete – aber sie sagt am wenigsten über Software aus. Oder anders: Ein Klassendiagramm kümmert sich nicht um das Wesentliche von Software und doch hält die Branche es hoch als Symbol für zeitgemäße Softwareentwicklung à la Objektorientierung.

Denn was ist das Wesentliche an Software? Seine Funktion, die Verarbeitung von Eingaben zu Ausgaben, EVA. Laufende Software ist ein Prozess, der knetet und transformiert Daten in vielen Schritten.

Wäre es da nicht naheliegend, dass es die vornehmste Aufgabe eines Softwareentwicklers sei, diese Schritte klar sichtbar zu machen, für jedermann nachvollziehbar?

Aber nein, die Softwareentwicklung tut alles, um die Funktionsweise von Software zu verschleiern. Einem Klassendiagramm können Sie nicht ansehen, wie die Prozesse ablaufen, für die es steht. Ebenso sind Paket- und Komponentendiagramme archaeologische Artefakte, die man lange studieren muss, um irgendetwas über die Funktionsweise einer Software herauszubekommen.

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Das ist wieder kein Mangel an den Diagrammen, denn sie wollen Funktionsweise auch nicht repräsentieren. Wieder gehören sie aber zu den meist verwendeten Diagrammarten.

Was aber mit den Sequenzdiagrammen? Stehen die denn nicht für Funktionsweise?

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Sicher, Sequenzdiagramme beschreiben Funktionsweise. Doch sie tun das in immer noch schwer verständlicher Weise. Das Problem ist die Schachtelung. Sequenzdiagramme visualisieren Callstacks.

Wenn eines aber schwer für Menschen zu verstehen ist, dann ist es Schachtelung. Wie man es dreht oder wendet, wir kommen damit nur schwer zurecht. Simples Beispiel: Beobachten Sie sich beim nächsten Gespräch mit Freunden oder Kollegen. Sie beginnen ein Thema, dann wirft jemand ein anderes Thema auf, ohne dass das erste abgeschlossen wäre… was nun? Sie werden entweder dafür sorgen, dass das erste Thema beendet wird, bevor Sie mit dem zweiten weitermachen. Oder Sie werden das zweite aufgreifen – und am Ende das erste nicht zuende führen.

Die dritte Alternative – Sie behandeln das zweite Thema als Einschub und kehren am Ende zurück zum ersten Thema – werden Sie nur sehr selten realisieren. Denn dafür braucht es ein gutes Gedächtnis und einigen Willen. Von einem weiteren Einschub während der Behandlung des zweiten Themas ganz zu schweigen.

Schachtelungen sind schwer zu verstehen. So ist das nun mal.

f(g(h(x)));

ist schwerer zu verstehen als

h(x).g().f();

oder

var rh = h(x);
var rg = g(rh);
f(rg);

Und so sind Sequenzdiagramme ebenfalls schwer zu verstehen. Sie zeigen zwar das Wesentliche einer Software, doch sie helfen nur suboptimal beim Verständnis, weil sie immer noch dem von-Neumann-Modell von Software folgen.

Vier der hauptsächlich verwendeten Diagramme der Softwareentwicklung verschleiern damit, worum es eigentlich geht. Undv om Code wir gar nicht erst reden. Aus dem Funktionsweise ablesen zu wollen, ist ein mühseliges Unterfangen, wie jeder bezeugen kann, der schonmal an Brownfieldcode arbeiten musste.

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Das ist es noch einfacher, ein Sequenzdiagramm zu lesen. Nicht umsonst wurden die auch entwickelt, nämlich als Analyseinstrumente und nicht als Entwurfswerkzeuge.

Und das bedeutet?

Die Softwareentwicklung leidet unter selbstverschuldeter Verschleierung. Mit jedem Diagramm, das nicht die Funktionsweise leicht verständlich offenbart, mit jeder Zeile Code, die einschachtelt, macht sie es Softwareentwicklern schwer, das Wesentliche von Code zu verstehen. Sie erzwingt wieder und wieder, Softwarearchaeologie zu betreiben. Wohl dem, der dann noch mit den “Altvorderen” sprechen kann, die ein Artefakt hinterlassen haben.

Hochgepriesene visuelle und nicht visuelle formale Sprachen helfen also nicht, die Prozesse, die als Problemlösungen erdacht und dann in ihnen codiert wurden, anschließend aus ihnen abzulesen.

Das kann nicht anders beschrieben werden als Vernichtung von Information. Dadurch entsteht ungeheurer betriebswirtschaftlicher und am Ende auch volkswirtschaftlicher Schaden. Um den in Zukunft zu vermeiden, müssen wir den Fokus ändern.

Software ist fundamental dynamisch. Sie tut etwas. Das ist ihr ganzer Zweck. Sie ist kein Regal oder Bild, sondern eine Maschine. Dafür braucht sie Input, Daten. Aber noch wichtiger ist, wie diese Daten verarbeitet werden. Verständliche Beschreibungen von Funktionsweisen haben deshalb für mich Vorrang vor Datenbeschreibungen.

Am Ende müssen beide sein, doch die Funktionalität ist wichtiger, weil sie der Zweck von Software ist. Daten gibt es durchaus auch ohne Software. Funktionalität nicht. Dafür wird sie entwickelt.

Und wie sollte die geforderte Beschreibung von Funktionalität aussehen?

Sie sollte visuell sein und Schachtelung nur zum Zwecke der Abstraktion verwenden.

  • Eine visuelle Beschreibung ist leichter zu überschauen als eine textuelle derselben Funktionalität – außer in trivialen Fällen.
  • Und Abstraktion ist nötig, um Kompliziertes überhaupt überschaubar zu machen. Es kann dann auf verschiedenen Abstraktionsebenen dargestellt werden.

Eine visuelle Sprache, die die Funktionsweise einer Software auf verschiedenen Abstraktionsebenen darstellen kann, sollte das Hauptwerkzeug des Softwareentwicklers sein.

Nur so vermeiden wir teure Softwarearchaeologie. Davon bin ich fest überzeugt, auch wenn damit zwei Jahrzehnte Objektorientierung als Verirrung dastehen mögen. Denn die de facto Objektorientierung hat nie den Prozess im Fokus gehabt, sondern immer die Struktur.

Dass es die auch geben muss, ist unzweifelhaft. Aber die Objektorientierung hat sie auf ein Podest gehoben und angebetet. Jedes Domänenobjektmodell legt dafür lebendiges Zeugnis ab.

Die Zukunft der Software liegt daher aus meiner Sicht nicht in der Objektorientierung, sondern einzig in der Prozessorientierung. Ohne Fokus auf den Prozess und seine einfache Implementierung wie verständliche Darstellung auf verschiedenen Ebenen – von kleinen Funktionen bis zu großen Services –, kommen wir nicht aus dem Brownfieldmatsch heraus.

PS: Es gibt natürlich Hoffnung. Aktivitätsdiagramme, Datenflussdiagramme oder BPMN sind Mittel, um Prozesse darzustellen. Wir müssen ihnen nur den gebührenden Platz im Zentrum der Softwareentwicklung einräumen. Und natürlich gehören auch Event-based Components dorthin.