Erfolgreiche Typen haben immer klare Ziele. Ohne Ziele geht nix. “10% mehr Umsatz im nächsten Jahr!” oder “Maximal 1 Bug Report pro Monat im Support” oder “Feature X bis zum 30.6.2010 realisieren” – das sind Ziele für echte Männer (und gern auch Frauen, wenn sie sich angesprochen fühlen). Die sind auch total SMART – ist zumindest in Bezug auf A=Attainable und R=Relevant zu hoffen.
Soweit der Stand der Ziel-Dinge. Den habe ich auch schon mal versucht zu verinnerlichen. Fällt mir aber für mich selbst oft nicht ganz leicht; SMARTe Ziele allerdings für andere zu fordern, ist etwas ganz anderes ;-) Doch darum geht es mir nicht. Ich bin vielmehr über etwas Grundsätzliches gestolpert.
Solche oder ähnliche Ziele sind wohl nötig “im Business” und auch sonstwo. Ok. Dazu kommen dann aber noch aus den Zielen abgeleitete Rahmenbedingungen. “Um das Ziel ‘10% mehr Umsatz im nächsten Jahr’ zu erreichen, bekommen Sie das Budget X.”, “Um maximal 1 Bug pro Monat zu erreichen, erhalten Sie die Ressourcen Y” usw. Ziele sind quasi nicht von Grenzen zu trennen, in denen sie erreicht werden müssen. Sie sind immer an irgendwelche Budgets gekoppelt (Geld, Zeit, Menschen, Maschinen, Material usw.).
Das hört sich auch plausibel an. Die Rahmenbedingungen stehen für den maximalen Preis, den man zahlen will, um ein Ziel zu erreichen. Und da immer viele Ziele zu erreichen sind, die zur Verfügung stehenden Ressourcen jedoch meist begrenzt sind, müssen sie in zielindividuelle Budgets partitioniert werden. Oder?
So plausibel sich diese Argumentation anhört, mir scheint sie ganz grundsätzlich an einem Missverständnis zu leiden. Oder sogar an mehreren.
Missverständnis #1: Das Ziel ist der Weg
Da ist zum einen das Missverständnis, Ziele seien irgendwie unbeweglich. Klar, das gibt es. In sehr künstlichen Umgebungen wie Sportschießständen sind Ziele meist unbeweglich. Ich habe selbst mehr als 10 Jahre Leistungssport auf solchen Schießständen getrieben und weiß, wovon ich rede. Selbst solche starren Ziele sind schwer zu treffen. Im Sportschießen bringt man deshalb einiges Material in Anschlag (sogar im doppelten Sinn). Da gibt es Schuhe, Jacken, Hosen, Handschuhe, Mützen, Riehmen um die Bewegungsfreiheit des Schützens einzuschränken – auf das er das Ziel leichter erreiche, äh, treffe. Trotzdem meinen Glückwunsch dem, der in diesem Rahmen Höchstleistungen vollbringt.
Allerdings, da wollen wir ehrlich sein, realitätsnah ist das Sportschießen nicht. Es ist eine tolle Disziplin, in der man eine Menge lernen kann – nur nicht den Umgang mit der Waffe in realen Situationen. Die sind nämlich insofern entscheidend anders, als dass man sich erstens selten auf sie so vorbereiten kann und zweitens – das ist der Knackpunkt – allermeistens mit Zielen aufwarten, die nicht stillhalten.
In der realen Welt sind Ziele immer das, was sich bewegt. Militär, Polizei und “außersportliche” Waffenfreunde wissen das. Deren Schießstände sehen deshalb auch anders aus. Dort bewegen sich die Ziele.
Die Kunst, Ziele im realen Leben zu treffen, besteht also darin, nicht zu erstarren, sich nicht einzuschnüren, sondern so beweglich wie das Ziel zu bleiben – und es trotzdem zu treffen. Managerseminare sollten deshalb vielleicht mal Völkerball ins Programm nehmen – da bewegen sich nämlich anders als bei Handball oder Fußball die Ziele. Oder wie wäre es mit einer Runde Paintball? Die würde nicht nur Erkenntnise zur Natur realer Ziele, sondern auch zur persönlichen Kondition bringen ;-) Doch das nur am Rande…
Also: Ziele “in der Natur” sind beweglich. Deshalb müssen Jäger ebenfalls beweglich sein. Menschen sind den Tieren insofern überlegen, als dass sie nicht nur körperlich, sondern auch geistig beweglich sind.
Umso verwunderlicher ist es, dass diese Beweglichkeit üblicherweise massiv eingeschränkt wird, wenn es um Ziele in Unternehmen geht. Nicht nur sind die merkwürdig unnatürlich fix; nein, auch die Beweglichkeit der Mitarbeiter, die sie treffen, äh, erreichen sollen, ist eingeschränkt.
Das fühlt sich für mich so an, als sei eigentlich der Weg, d.h. die Bewegung in den Randbedingungen oder gar die Randbedingung selbst das eigentliche Ziel. “Wichtig ist, dass Ihr das Budget einhaltet!” Besonders deutlich wird das Missverständnis, wenn Budgets ausgeschöpft werden müssen. Müssen! Denn sonst droht ja, dass das Budget im nächsten Jahr kleiner wird. Unverbrauchtes Budget ins nächste Jahr (oder zum nächsten Projekt) zu retten, ist kaum möglich.
Philosophisch-spirituell ist es hübsch, vom Weg als Ziel zu sprechen. In wirtschaftlichen Zusammenhängen fühlt sich das jedoch komisch an. Weg und Wegbegrenzungen dürfen nicht das Ziel sein. Wo das passiert, wird der Unternehmenszweck pervertiert und die Motivation der Mitarbeiter mit Füßen getreten. (Ok, ausgenommen die der Mitarbeiter, die dafür verantwortlich sind darauf zu achten, dass der Weg als Ziel eingehalten wird.)
Also: Ich plädiere für einen natürlichen Umgang mit Zielen. Wenn schon Ziele, dann solche, die sich bewegen dürfen. Wenn sich im Verlauf eines Jahres herausstellt, dass 10% Umsatzzuwachs nicht zu erreichen sind (aufgrund zu geringen Budgets oder sonstiger Faktoren), dann muss man den eigenen Anschlag nachführen. Die Objekte der Begierde sind da, wo sie sind – und nicht dort, wo man mit seinen Rahmenbedingungen hinzielt. Man muss sich suchen – dafür gibt es einen Sucher bzw. Kimme und Korn – und man muss sich ihnen nachführen, wenn sie sich bewegen. Das nennt man Zielen. Zielen ist eine Tätigkeit, kein Zustand.
Wer ein Ziel benennt, der muss das im Blick haben. Er muss seinen Jägern vertrauen, dass sie gut zielen können. Und er muss damit leben, dass sich die Ziele bewegen und die Jäger Freiheit brauchen, um ihnen folgen zu können. Und schließlich: Es kann die Zielverfehlung keine Sache der Ehre und der quasi persönlichen Enttäuschung sein. Zielverfehlung ist vielmehr der Normalfall in einer Welt hoch beweglicher oder im Nebel verborgener Ziele.
Zielverfehlung also mit noch engeren Rahmenbedingungen zu beantworten ist grob kontraproduktiv. Nicht Einschnürung hilft Jägern, sondern Befreiung, Mobilität, Autonomität.
Das haben Polizei und Militär schon lange begriffen. Die Helden sind heute nicht mehr Heere, sondern hochmobile, intelligente, autonome Einsatzkommandos – die vor Ort jeder unvorhergesehenen Bewegung ihrer Ziele folgen können.
Missverständnis #2: Das Ziel ist der Zweck
Dann gibt es noch ein zweites Missverständnis. Es werden nämlich oft Ziele für Zwecke gehalten. “Warum machen wir das alles hier, Leute? Um Geld zu verdienen! Und deshalb brauchen wir im nächsten Jahr 10% mehr Umsatz.” So wird ein Ziel schnell als Zweck geadelt.
Doch das halte ich für ein großes Missverständnis. Weder ist “10% mehr Umsatz” ein Zweck, noch ist “Geld verdienen” ein Zweck. Beides sind nur Mittel. Sie sind Mittel zu einem Zweck, zu etwas “Höherem”.
Da will ich jetzt nicht gleich Weltfrieden und Klimaziele beschwören – aber ein bisschen geht´s schon in die Richtung. Zweck ist, wofür etwas getan wird. Was ist der Antrieb hinter einer Unternehmung? Um dessentwillen werden Menschen zu Kunden. Der Zweck ist die Antwort auf die Frage: “Warum sollte sich irgendjemand für uns interessieren?” (Die Betonung liegt dabei auf “uns”, denn die “Identität der Firma” ist am Ende das einzige, was sich nicht austauschen lässt. Sie ist das, was sich nicht in ein fernes Land auslagern lässt, um es billiger herzustellen.) Er drückt aus, warum einer/eine Firma wirklich etwas tut.
Wenn der Zweck also “Geld verdienen” sein soll, dann ist die Frage, ob irgendjemand deshalb Kunde würde. Nein, ich glaube nicht. “Ach, du willst Geld verdienen? Klar, dann kaufe ich dein Produkt.” So funktioniert es nicht.
Aber: “Wir bauen die besten Autos der Welt”, ja, das ist ein Zweck. Oder “Unser Unternehmen gibt es, weil wir verstanden haben, was Ihnen bei der Ernährung am Arbeitsplatz fehlt.” Oder “Wir glauben daran, dass Software ohne Support auskommen kann.”
Das sind Zwecke, denn dazu können Sie sagen “Dafür kämpfe ich!”, “Dahinter stehe ich!”, “Das ist auch mein Anliegen!”, “Es gibt mir etwas, wenn ich mithelfen kann, diesen Zweck zu erreichen.”
“Viel Geld verdienen” oder “10% mehr Umsatz” oder “1 Bug pro Monat” sind keine Zwecke. Es sind nur Ziele. Deshalb sollte jede offene oder unterschwellige Überhöhung sofort angezeigt werden. Ziele dürfen nicht zu Zwecken umgemünzt werden, um ihnen mehr Gewicht zu verleihen.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn Ziele eben nur Ziele sind, dann können sie jederzeit hinterfragt werden im Sinne von Zwecken. Wer ein Ziel benennt, der muss Antwort darauf geben können, inwiefern es welchem Zweck diene. Welchem Unternehmenszweck dient “10% mehr Umsatz im nächsten Jahr”? Welchem Zweck dient “Nur 1 Bug pro Monat”?
Tja, bei solchem Nachfragen kann dann herauskommen, dass “10% mehr Umsatz” keinem Unternehmenszweck dient. Denn “Das beste Callcenter für Medizinprodukte!” als Zweck zu haben, bedeutet nicht unbedingt, “10% mehr Umsatz im nächsten Jahr” machen zu müssen. Es könnte sein, dass ein Ziel wie “Die Fluktuation der Mitarbeiter um 10% verringern” (bei gleichem Umsatz) dem Zweck viel dienlicher ist.
Fazit
Es ist so eine Sache mit den Zielen. Alle sollen welche haben – dafür gibt es ja auch Personalgespräche mit Zielfestlegungen. Aber der richtige Umgang mit ihnen, die passende Kultur zur Natur von Zielen, die sich in der realen Welt bewegen, ist nicht leicht zu finden. Und die Gefahr der Verwechslung von Ziel mit Zweck lauert überall und umso mehr, je verzweifelter man versucht, das Ziel zu rechtfertigen und zu erreichen.
Was tun? Mehr Völkerball spielen könnte helfen ;-) Oder mehr mit den Menschen umgehen, statt mit Human Resources. Denn wer letztlich Menschen, Maschinen, Geld und Zeit über einen Leisten schlägt, weil er in allem nur Ressourcen sieht, der vergisst, was am Ende des Tages der ultimative Zweck aller Unternehmen ist: den Menschen zu dienen. Egal, ob sie im Unternehmen sind oder draußen. Womit wir dann doch bei der Philosophie angelangt sind. Denn dass Menschen immer nur Zweck und nicht Mittel sein sollen, das sagte weiland Immanuel Kant.
2 Kommentare:
Gestern habe ich einen TED Talk über was ähnliches gesehen: http://www.ted.com/talks/simon_sinek_how_great_leaders_inspire_action.html.
Ergebnisziele sind allgemein schwierig, denn sie lassen sich nach Bedarf immer einfach entkräften durch „die Marktlage war nicht so wie wir sie eingeschätzt haben“ oder „Clean-Code hat einfach nicht zu dem Projekt gepasst , der Kunde hat das geblockt“. Was Sinn macht sind Handlungsziele.
Gutes Ziel: „Alle Entwickler beschäftigen sich 5h die Woche mit Clean-Code.“
Schlechtes Ziel: „Alle Entwickler müssen Clean-Code-Entwickler werden.“
Durch Messen und schauen was das bringt, lässt sich so kontinuierlich verbessern und nachsteuern. Es entsteht Stück-Für-Stück eine Unternehmenskultur die Handlungs/Prozessorientiert ist und deren Leistungsfähigkeit auf verhalten basiert.
Welche Ziele mit einer solchen „Management-Strategie“ verfolgt werden ist sekundär. Ob Maximal-Profit oder der Erhalt eines Froschwanderwegs ist egal. (Aber Wertefreiheit, „leere“ scheint ein Wesen von allen Management Methoden und Konzepten zu sein.
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