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Freitag, 29. November 2013

Zug ist ökonomischer

Dieses Arrangement fand sich neulich auf dem Wohnzimmertisch meiner Freundin. Noch nicht weihnachtlich – es ist ja erst Mitte November – aber trotzdem hübsch und Gemütlichkeit verbreitend so mit den Kerzen und ein bisschen Obst.

imageNur leider war es mir im Weg. Ich wollte an dem Tisch mit meinem ebenfalls hübschen und vor allem ungemein praktischen neuen MacBook Pro nämlich arbeiten. Also musste es weichen.

Da ich faul war und ein schnelles Ergebnis suchte, habe ich es nicht abräumen wollen. Also schob ich es von mir weg.

Und dabei wurde mir klar, wie schädlich Druck (push) ist.

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Sehen Sie: Das ganze schöne Arrangement verformt sich. Es leistet dem Druck Widerstand. Deshalb werfen sich die Servietten auf. Die Kerzenständer sind träge und weichen nur widerwillig. Obst und Kerzenständer kollidieren, Zwischenräume – Puffer – schrumpfen.

Erschrocken hielt ich in meinem Schub inne. Das sah nicht schön aus. Ich wollte ja das Arrangement nicht kaputt machen, sondern nur auf die Schnelle etwas Platz machen.

Genau: Auf die Schnelle. Wie es in Projekten, im Geschäftsleben und auch sonst immer wieder sein soll. Auf die Schnelle sollen Ergebnisse erzielt werden. Und das Mittel der Wahl ist dann… Druck. Der liegt immer irgendwie auf der Hand. Der lässt sich schnell aufbauen. Man muss ja nur etwas anschieben, also Forderungen aufstellen – und schon wird das Ergebnis hergestellt. Oder?

Doch, so funktioniert das. Ich habe ja auch mein Ergebnis bekommen: Platz für das MacBook. Das ging einfach und schnell. Leider hat sich dabei das Arrangement unschön verformt. Mein Ergebnis habe ich mit Druck also auf Kosten eines Systems hergestellt.

Das wollte ich nicht. Also habe ich es noch einmal probiert. Jetzt mit Zug (pull).

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Wie anders das Verhalten des Arrangements da war! Erstaunlich. Das Ergebnis – Platz fürs MacBook – war dasselbe. Diesmal jedoch mit viel weniger Kollateralschäden. Das Arrangement blieb nahezu vollständig in Form.

Ein Paar “Zuglinien” entstanden in den Servietten, ein paar Positionsveränderungen gab es bei Obst und Kerzenständern. Alles in allem waren das jedoch vernachlässigbare Verformungen. Ich hatte eher den Eindruck, dass sich das Arrangement ausgerichtet hatte. Es folgte willigem dem Zug in Richtung auf ein durch ihn repräsentiertes Ziel (die Tischkante).

Außerdem war der Kraftaufwand für den Zug geringer als für den Druck.

In Summe war der Effekt mit pull also deutlich besser als mit push. Platz habe ich mit beiden Maßnahmen geschaffen – doch beim Zug gab es weniger Nebeneffekte, weil “das System” weniger Widerstand geleistet hat.

Zug scheint mir also ökonomischer, ja, nachhaltiger. Denn wenn ich nicht nur auf den Platz schaue, den ich schaffen wollte, sondern auch auf das Arrangement, dann ist ja deutlich, dass für dessen Zweck “hübsch Aussehen” mit Druck mehr Aufwand betrieben werden muss. Nach Druck muss ich das Arrangement wieder herstellen. Mehrfaches Platzschaffen würde mehrfache erhebliche Eingriffe ins Arrangement bedeuten. Anders mit Zug. Da bleibt das Arrangement nahezu unverändert. Nicht nur kostet Zug weniger Kraft, auch muss ich hinterher viel weniger Aufwand für eine Wiederherstellung des Arrangements treiben. Das kann sich nur vorteilhaft auf die Haltbarkeit aller beteiligten Materialien auswirken.

Das – so glaube ich – ist nicht anders als bei Organisationen (Unternehmen, Teams). Da lässt sich mit Druck natürlich Veränderung erzielen. Vielleicht sogar schneller als mit Zug. Denn auch in meinem Fall musste ich für den Zug aufstehen und um den Tisch gehen.

Aber das schnelle Ergebnis scheint mir oft Schäden zu verursachen. Der Druck führt zu Verformungen im gedrückten System. Wenn man mit dem noch weitere Ergebnisse erzielen will, dann kostet es Aufwand, es wieder herzustellen. Das geht auch nicht verlustfrei.

Anders beim Zug. Die Organisation richtet sich auf das Ziel aus. Verformungen sind minimal oder gar dem Ergebnis dienlich. Weniger Wiederherstellungsaufwand ist zu treiben. Die Organisation ist schneller bereit, ein nächstes Ergebnis herzustellen.

4 Kommentare:

ToniG hat gesagt…

Ein Ostfriese zieht ein 10 Meter langes Tau hinter sich her und begegnet einem Bayern. Fragt der Bayer: "Warum ziehst du denn das Tau hinter dir her?" Darauf der Ostfriese: "Hab schon versucht es zu schieben, ging aber auch nicht besser."

Mike M hat gesagt…

Wie soll Zug im Unternehmen denn konkret aussehen? Druck aufbauen geht dagegen einfach...

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

Wie sieht Zug aus? Das Wesentliche ist, dass da einer klar sagt, dass er etwas haben will - und dann auch da ist, um es abzunehmen. Holschuld statt Bringschuld.

Ein PO, der sagt, "X muss rein!", drückt - solange er nicht zu einem abgesprochenen Zeitpunkt dasteht und fragt, "Wo ist X?" Ja, der PO muss fragen! Er muss wissen, was er will. Wo ein Team präsentiert, was es alles gemacht hat, fehlt der Zug.

Die (Ab)Frage ist wichtiger als der Wunsch.

Wichtig ist auch, dass klar ist, dass der Zug aus Richtung des Ziels der Arbeit kommt. Ziel ist ein Stakeholder - vor allem der Kunde.

Wenn die Verbindung zwischen einer zu erbringenden Leistung und dem Kunden (und damit dem eigenen Gehalt) klar ist, dann macht es wahrlich Sinn, eine Antwort auf die Frage vorzubereiten.

Genau das jedoch ist bei größeren Organisationen aber oft nicht klar. Da herrscht Entfremdung. Da macht man etwas für irgendwen, ohne dass eine Verbindung zum Kunden sichtbar ist. Dann dient man dem System. Dann sind Arbeiten scheinbar Selbstzweck.

Mike M hat gesagt…

Danke für deine Antwort Ralf.

Trotzdem glaube ich das Konzept kommt so nicht an. Zug oder Druck kommen vom Management, aber der einzelne Mitarbeiter empfindet bzw. spürt es. Was er fühlt ist entscheidend.

Ich behaupte nun, es ist egal, ob eine Leitungsperson zum Team kommt, bestellt was sie haben möchte und es etwas später auch auf die selbe Art abholt, oder ob das per Meetings organisiert ist, bei denen präsentiert wird. Die Mitarbeiter fühlen Druck (zumindest wenn er ausgeübt wird ;-) ), in beiden Situationen. Zumindest habe ich es so erlebt.

Der gefühlte Unterschied soll ja der sein, dass Mitarbeiter lieber arbeiten, keinen Druck (=Stress) empfinden, sondern motiviert sind zu liefern.

Der Vorteil von Zug, den wir bereits bei Kanban sehr gut sehen, liegt eher in der Organisation von abhängigen Arbeitsgruppen als in der Ausrichtung auf den Einzelnen. Wirkung für den Einzelnen wird trotzdem erzielt, weil nun zumindest auf einer Ebene (teilweise) selbstbestimmte Strukturen herrschen und mehr gefühlte Kontrolle vorhanden ist.