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Dienstag, 3. Juni 2008

Ich würd so gern, aber... - 4 Gründe gegen das "aber" zum Schreiben

Auf mein gestriges Posting für mehr Klarheit und Nutzen bei Zeitschriftenpublikationen hat mir ein allseits bekannter "Community Thought Leader" betroffen und zerknirscht wie folgt geschrieben:

... die alte Leier... wie gerne würde ich mehr schreiben - ich (und andere freilich auch) habe so viel zu erzählen (Bezug nehmend auf dem Kommentar von Haggy).
Nur fehlt inmitten der Projekte einfach die Zeit qualitativ hochwertiges Material zu produzieren. Und mit dem (auch von Dir angesprochenen) Vergütungsmodell haut das eh' nicht hin.

Und die Artikel bzw. Autoren, die derzeit schreiben (also ich überfliege die dnp derzeit nur), kann man leider echt in der Pfeife rauchen (prominente Ausnahmen bestätigen diese Regel ;)).
Warum? Weil die "anderen", etablierteren scheinbar damit beschäftigt sind, Licht ins Dunkel all dieser auftretenden Fragen zu bringen - und zwar vor Ort in den Projekten, nicht im WORD Doc.

Glaube, ich denke oft drüber nach, wie man hier einen Kompromiss finden könnte - ich bin (noch) zu keiner Lösung gekommen.

Mich hat es sehr gefreut, dass da jemand sofort reagiert hat, den ich also Kompetenzträger und auch als Autor sehr schätze. Das ist doch schonmal ein Ansatz. Ihm ist die Situation nicht egal, aber er sieht keinen Ausweg. Das System scheint unveränderbar. Eine sehr nachvollziehbare Haltung. Wenn sich alles so schnell bewegt, wie soll man da innehalten und den Kurs neu bestimmen. Schon das, geschweige denn zu schreiben, kostet wertvolle Projektzeit.

Nachstehend meine Antwort an den Experten, mit der ich ihm in dieser eingefahrenen Situation einen Impuls geben möchte, um etwas zu verändern. Ich publiziere sie nun auch hier, weil ich denke, dass andere ebenfalls ein solches Dilemma spüren. Vielleicht kann ich auf diese Weise mehr Experten ermuntern, es mit der Publikation (wieder) zu versuchen. Und auch mehr ist möglich. Wir können uns auch zusammen tun, um konzertierter etwas zu bewegen. Mag altmodisch klingen, so nach 19. Jahrhundert ;-) Aber ist in Zeiten von Web und Flash Mob eigentlich hoch aktuell.

Also, hier meine Gedanken als Antwort auf die obige Email:

Freut mich, dass du dir diese Gedanken machst.
Und glaub mir, ich kann verstehen, dass du immer wieder so entscheidest, wie du es tust: für das Projekt, gegen den Artikel.

Aus mehreren Gründen halte ich das dann aber doch für die zweitbeste Entscheidung :-)

1. Erfolg: Publikationen bringen Sichtbarkeit. Sichtbarkeit bringt Aufträge.
Nun kannst du sagen, dass du mehr Aufträge nicht gebrauchen kannst. Aber deine Firma ist ein Unternehmen, dass früher oder später wachsen will und/oder muss.
Das ist dann leichter, wenn alle oder wichtige Mitglieder von deiner Firma breit sichtbar sind.

2. Effektivität und Skalierbarkeit: Publikationen verbreiten die Frohbotschaft. Sie nutzen dem guten Thema.
Wenn du von einem Thema überzeugt bist und gar noch denkst, dass andere darüber ungenügend berichten, dann kann dir nur am Herzen liegen, darüber zu publizieren. Du erreichst einfach mehr Menschen. Publikation ist effektiver als referieren oder gar in einem Projekt zu sitzen.
Solltest du also ein Sendungsbewusstsein haben, dann kommst du an Publikationen nicht vorbei, um es zu befriedigen.

3. Qualitätssicherung: Publikationen dienen nicht nur dem Lehren, sondern auch dem Lernen.
Wie in meiner letzten dotnetpro Sandbox ausgeführt, lernst du bei Publikationen immer selbst etwas. Du selbst wirst durch das Publizieren besser. Du denkst nach, du ordnest, du forschst. In projekten oder für vorträge tust du das auch. Publikationen sind aber ein Mittel, mit dem du dich noch weiter bringen kannst. Darin formulierst du aus, du legst dich also mehr fest, als in einem Vortrag. Das hat Wert für die Sicherheit deiner Aussagen. Du gehst nämlich bewusster mit ihnen um. In einem Vortrag mal etwas ausprobieren und "so daher sagen" ist gut. In einer Publikation "gewählter sprechen" ist aber auch gut. Der Mix machts.

4. Ganzheitlichkeit: Schreiben führt zu einer ausgewogeneren persönlichen Entwicklung Der Mensch ist mehr als Körper und Arbeit. Deshalb lieben wir die Romantik und die Freizeit. Aber auch innerhalb der Arbeit ist der Mensch mehr als Technik. Wenn du dich durch Lesen und Ausprobieren und Projekte weiterbildest, dann ist das gut und unverzichtbar. Du nimmst auf und produzierst. In Vorträgen und Diskussionen gibt du dann weiter. Ohne Bilder oder Texte bleibt das aber doch recht einseitig. Du arbeitest vor allem linkshemisphärisch. Das funktioniert wie wir sehen ;-) Mit einem Ausgleich würde es aber - so meine These - noch besser sein. Es würde sich besser anfühlen, befriedigender sein. Du wechselst ja auch zwischen Schreibtisch, Sport, Familie. Warum nicht auch zwischen analytischer und kreativer Arbeit wechseln? Programmieren ist auch kreativ. Aber Bilder finden - gezeichnete oder beschriebene - wie bei der Arbeit an einem Text, das ist noch anders kreativ. Das ist eher rechtshemisphärische Arbeit. Mit mehr Publikationen würdest du also auch innerhalb deiner Arbeit ganzheitlicher leben. Das kann nur von Vorteil sein, meine ich. (Ist es nicht verwunderlich, dass viele (oder gar die meisten?) Exzellenten in ihrem technischen/abstrakten Fach auch eine ausgeprägte musische Seite unterhalten (haben)? Schreiben gehört auch auf diese musische Seite.)

Na, wie ist das als Motivation, doch mal wieder mehr zu schreiben? Wir alle würden uns freuen.

Und was das Finazielle angeht... ja, das ist vergleichsweise unmotivierend. Aber auch da lässt sich was machen:

a. Wenn du die obigen Vorteile in Anschlag bringst, ist ein monetärer Lohn der Mühe vielleicht nicht mehr sooo ausschlaggebend, um dir das Schreiben schmackhaft zu machen. Vielleicht kannst du (erstmal) mit einem Kompromiss leben.

b. Die Autorenhonorare sind unterschiedlich und verhandelbar. Bücher werden schlechter als Zeitschriftenartikel bezahlt. Also dann vielleicht mehr in Magazinen als in Büchern publizieren? Und Zeitschriftenhonorare sind verhandelbar. Vielleicht also mal verhandeln.

c. Jenseits einer individuellen Verhandlung kann sich das System ja auch vielleicht verändern. Autoren könnten sich zusammen tun und mehr Honorar fordern. Leser könnten bessere und mehr Autoren fordern und bereit sein, mehr zu zahlen (statt immer nur wieder nach Gratisangeboten zu googlen). Feedback könnte zu Publikationen erfragt werden, um Honorarforderungen zu rechtfertigen oder zu entkräften.

Ich denke, das Honorarsystem muss nicht so bleiben, wie es ist. Bis zum Beweis des Gegenteils glaube ich, dass Leser bereit sind, guten Content auch zu bezahlen. Produziere also gute Publikationen, dann bekommst du auch ein angemessenes Honorar. Früher oder später ;-) Lass uns gern mal über Strategien reden.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ralph, nach mehreren Jahren Autorentätigkeit habe ich eines gelernt: Die Tatsache, dass man selbst bei Schreiben etwas lernt ist nicht zu unterschätzen. Ähnlich ist es auch beim wissenschafltichen publizieren. Hier ordnet man seine Gedanken, lässt sich alles Informationen nochmals durch den Kopf gehen und überdenkt auch die eine oder andere Idee. Oft entstehen so auch gänzlich neue Ideen. Die Wertsteigerung der eigenen Person durch den Akt des Schreibens sollte also keinesfalls unterschätzt werden.

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@AHeil: Sehe ich genauso.

Die "Wertsteigerung" ist sogar zweifach: Es steigt das Selbstwertgefühl, weil man etwas geschaffen und geschafft hat. Und es steigt die Wertschätzung durch andere, weil sie von meiner Kompetenz erfahren.

Anonym hat gesagt…

Dieser Effekt ist sicher nicht zu unterschätzen. Allerdings macht es sicher auch noch einen unterschied ob man in einem kleinen Rahmen etwas erklärt / lehrt oder in einem offizielleren Rahmen z.bsp. in der dotnetpro.

Bei letzteren gelten eindeutig höhere Anforderungen gerade auch was die Form angeht.
Und ich glaube genau da liegt eher die Hürde.
Meinem Gefühl nach gibt es einige Leute die Gerne schreiben würden aber sich nicht zutrauen die äußere Form so hinzubekommen dass sie den Qualitätsansprüchen einer Zeitschreift genügen.

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Boas: Da würd ich sagen: Versuch macht kluch ;-) Einfach probieren, ob man den Zeitschriftenansprüchen nicht genügt. Das kann ja auch erstmal im Kleinen unter Kollegen passieren.

Aber leider gibt es bei uns keine Kultur der schriftlichen Wissensweitergabe. Keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit. Und: "Was bringt das schon?"

Ich bin ja auch dafür, dass Verlage und Zeitschriften etwas gegen den Schreibunmut tun. Weiterbildung/Kompetenzaufbau heißt das Stichwort. Aber da ist Schweigen bis Ablehnung im Walde. "Nachwuchsförderung" ist ein Fremdwort in der Branche.

Anonym hat gesagt…

Ja da hast du sicher Recht.
Es wäre sehr vorteilhaft wenn es eine Art unverbindliche "Prüfstelle" für Artikel geben würde die dann sagt "du liegst bei 4 von 5 notwendigen Punkte für einen guten Artikel in der Zeitschrift"

Ich werde mich mal aber an dem ein oder anderen Thema mal versuchen und schauen ob etwas vernünftiges Dabei rauskommt.

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Boas: Nein, eine "Qualitätsprüfstelle für Publikationen", also eine offizielle Institution muss es nicht geben. Das würde ja nur abschrecken.

De facto gibt es eine "Abtimmung mit den Füßen": bessere Qualität hat (hoffentlich ;-) mehr Leser als weniger gute. Und wieviele Leser eine bestimmte Qualität hat, das zeigen die Auflagenzahlen oder die Amazon Rankings oder die IVW-Messungen.

Bessere Qualität ist ja aber nur ein relativer Begriff. Bessere Qualität ist nicht unbedingt gut, aber vor allem: auch bessere Qualität kann noch besser werden.

Insofern lohnt sich die Arbeit an der Qualität immer. Vor allem in einem Markt wie dem unseren, in dem z.B. eine dotnetpro nur von 10% der potenziellen Leserschaft abonniert ist. Da ist noch viel Luft, da ist viel Raum zur Steigerung der Attraktivität.

Vor allem ist da noch viel Raum zum Aufbau nachhaltiger (!) Qualität. Denn das Umfeld ändert sich ja ständig, wohingegen die Publikationen bisher eher statisch sind. dotnetpro, dot.net Magazin, Hannes´ Visual Studio Magazin, OBJEKTspektrum... sie alle sehen aus wie vor 10 oder 20 Jahren. Der Unterschied zum früheren System Journal ist marginal. Das Internet ist an ihnen bisher quasi vorübergegangen.

Dabei böte gerade das Internet viele Möglichkeiten, die Einstiegshürde für potenzielle Autoren zu senken. Im Internet können Publikationen andere Formen haben, sind weniger in der Länge begrenzt (nach oben und unten) und können verschiedene Medien benutzen.

Weder findet also eine allgemeine Arbeit an der potenziellen Autorenschaft statt - es wird nicht motiviert zu publizieren, es wird nicht geholfen. Noch findet eine Öffnung hin zu neuen Publikationsformen statt, die attraktiver für mehr potenzielle Autoren sind.

Es passiert nichts.

Es wird dem Internet überlassen. codeproject.com oder blogs oder codeplex.com sind die Foren, in denen sich plötzlich Experten zu Wort melden.

Das ist gut und schlecht zugleich.

Es ist natürlich gut, dass plötzlich mehr Stimmen da sind.

Es ist aber auch schlecht, weil diese Stimmen durch keinen redationellen Prozess gehen. So wird aus den Stimmen kein Chor, sondern ein Rauschen oder Schlimmeres.

Mehr Veröffentlichungen sind also nicht einfach so gut. Mehr Information entsteht nicht einfach aus mehr Daten.

Der Wert von redaktionell betreuten Veröffentlichungen liegt nämlich darin, dass sie Qualität auf mehreren Ebenen sichern. Das beginnt bei der Orthographie, geht über verständliche Sätze bis (hoffentlich) zu verständlicen Texten und vor allem relevanten oder gar verzahnten Texten.

Diese Leistung von Redaktionen darf und soll dann auch etwas kosten. Denn diese Kosten sind für jeden Einzelnen geringer als die, die er sich aufhalst, indem er das Internet selbst durchflöht.

Wenn ich mich über ein Thema informieren will, lese ich lieber bei 5 redaktionellen Quellen im Archiv nach, als dass ich diese Archive durch das scheinbar ultimative - Google - ersetze.

Google gibt mir Orientieung, einen Überblick und natürlich auch tolle Quellen - wenn ich lange genug suche.

Aber schneller ginge es und geht es, wenn ich verlässliche Anlaufstellen haben, die zu meinem Thema schon qualitätsgesicherte Inhalte bieten.

Dafür brauchts natürlich Autoren. Aber dafür braucht es kein absolutes Ranking.

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für diesen Artikel. Es ist ein kleiner Anfang (ich bin ja auch noch jung), aber zumindest mich hast du schonmal zum Schreiben animiert.

Siehe http://michael-seidel.at/blog

Ralf Westphal - One Man Think Tank hat gesagt…

@Anonmy/Mika: Find ich gut, dass du dich auf machst, etwas zu schreiben. Und es ist hübsch geschrieben! Gut lesbar, find ich. Die "Notiz an mich" fasst dann nochmal zusammen. Cool!

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank! Das aus deinem Mund zu hören gibt mir noch mehr Antrieb. Lese sehr gerne deine Artikel in der dnp und hab dabei viel gelernt.

Gruß,
Michael