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Montag, 10. Dezember 2007

OOP 2008: Mehr Produktivität und mehr Ausbildung statt Experteneinwanderung

Heute mal aus gegebenem Anlass nicht das Thema SOA im Zusammenhang mit der OOP 2008 ;-) Heute mal das Thema Fachkräftemangel. heute.de titelte neulich schon "Experten verzweifelt gesucht" und ich hatte gestutzt. Der IT-Fachkräftemangel hat natürlich auch vor meinem Tätigkeitsfeld nicht halt gemacht: .NET-Experten werden von vielen meiner Beratungskunden gesucht - aber ich kenne keinen .NET-Experten, der frei für einen Wechsel wäre. Stellenangebote suchen also Nachfrage. Doch die bleibt aus...

Gestutzt hatte ich dann ob des eiligen Lösungsvorschlags des Verbands Bitkom: gesteuerte Zuwanderung. Den halte ich nämlich für genauso kurzsichtig wie am Problem vorbei:

1. Selbst wenn die Zuwanderung von geeigneten IT-Experten tatsächlich in ausreichendem Maße motiviert werden kann (in Indien? oder in China? oder in Russland?), dann scheint es mir nicht genauso einfach, diese IT-Experten auch wieder los zu werden, wenn eine der unzweifelhaften Zukünfte "IT-Expertenüberschuss" oder "IT-Rezession" eintritt. Einfach einen IT-Experten-Hahn aufdrehen zu wollen, um einen akuten Mangel auszugleichen, ist schlicht naiv und kurzsichtig. Seit 1927 sollten solch pauschale Forderungen einfach nicht mehr zum Repertoire nachdenkender Wirtschaftsteilnehmer gehören.

2. Die vorstehende Bedingung "geeignete IT-Experten" halte ich für grundsätzlich nicht erfüllbar. Ausländische IT-Experten haben einfach nicht in genügend großer Zahl die sprachlichen und kulturellen Ausstattungen, um so prompt, wie es die IT-Branche gern hätte, denn auch tatsächlich einsatzfähig zu sein. Softwareentwicklung im Speziellen ist nicht "dumpfes einhacken von Quellcode", sondern Wissensarbeit in einem oder besser mehreren sozialen System. Die Kommunikationsfähigkeit, die persönliche Ausdrucksfähigkeit ist hier besonders wichtig. Und die profitiert wiederum von einer gemeinsamen Kultur. Wenn die schon zwischen Amerikanern und Deutschen in der Zusammenarbeit schwer zu finden ist, dann allemal zwischen Deutschen und Indern oder Kasachen usw. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun oder einem Zweifel an den geistigen Fähigkeiten der Bewohner kulturell entfernter Ländern, sondern schlicht mit der Realität von Kommunikation.

3. Das Problem des IT-Expertenmangels schein so eindeutig: Es fehlen Menschen, um Arbeit wegzuschaffen. Aber ist das wirklich so? Bei gegebener Menge kann die Arbeit ja auf zweierlei Weise erledigt werden: Mit vielen Menschen und niedriger Produktivität - oder mit weniger Menschen bei hoher Produktivität. Warum werden aber nur mehr Menschen gefordert und nicht mehr Produktivität? Ist die denn schon so hoch, wie sie sein könnte? Mit Verlaub, ich meine, an der Schraube könnte noch etwas gedreht werden. Damit will ich nicht einer 40+ Stunden Woche das Wort reden und meine auch nicht, dass Programmierer schneller tippen sollten. Ich glaube vielmehr, dass viele Softwareentwickler heute ganz einfach schlecht ausgebildet sind und deshalb vergleichsweise unproduktiv. Das wissen sie nur selber nicht und ihre Chefs wissens es auch nicht. Wie kann das sein? Es fehlt einfach ein Vergleich und es fehlt ein Erwartungshorizont. Vergleiche werden nur mit eigenen früheren Leistungen angestellt - aber nicht personen- oder gar unternehmensübergreifend. Der beste Beweis dafür ist der weit verbreitete Mangel an Produktivitätsmessungen als Grundlage für Projektabschätzungen. Welcher Entwickler misst denn schon, wie lange er für die Realisierung einer Aufgabe braucht? Und das ist ja nur der Anfang. Selbst wenn er messen würde, wüsste er nicht, ob er mit dieser Leistung über oder unter dem Durchschnitt (den niemand kennt) liegt.

Ich bin sicher, dass es gewaltige Produktivitätsreserven in der Softwareentwicklung gibt. Und die können gehoben werden, ohne neue Tools einführen zu müssen. Es ist alles schon da! Werkzeuge und Techniken und Technologien müssen einfach nur vernünftig genutzt werden. Dazu bedarf es aber - horribile dictu! - Aus- und Weiterbildung und Reflektion. Es bedarf harter und auch weicher Kompetenzen!

4. Aber auch nach einer Produktivitätssteigerung in der Softwareentwicklung wird wohl noch eine Fachkräftelücke vorhanden sein. Was tun mit der? Wie wäre es, wenn denn die Branche selbst mal mehr in die Ausbildung investierte? Sich auf Universitäten und BAs und Umschulungen zu verlassen, ist doch kein bewusster Umgang mit der wesentlichen Ressource Wissen bzw. Mensch. Gute Mitarbeiter wachsen nicht auf den Bäumen und werden auch nicht in Indien und anderswo in Retorten gezüchtet. Gute Mitarbeiter erhält man durch Ausbildung, durch eigenen Ausbildung, denn schließlich soll der Mitarbeiter ja möglichst passgenau sein. So lauten ja auch die - oft naiv optimistischen - Stellenausschreibungen. Da wird meist einer gesucht, der eigentlich nur im eigenen Unternehmen gefunden werden kann, weil er sonst eine spezifische Kompetenz gar nicht haben kann. Insbesondere müssen die Unternehmen in eigenen Ausbildung investieren, die Kompetenzen suchen, die die allgemeinen Curricula nicht abdecken. Wer auch nur ein wenig von der Wichtigkeit der Softskills für die Wissensarbeit verstanden hat, wird nicht umhin kommen, in sie zu investieren - denn sonst finden sie sich auf keinem Lehrplan und auch nicht in der "Schule des Lebens". Aber damit nicht genug! Der für mich besonders relevante Bereich der .NET-Kompetenzen ist in den allgemeinen Ausbildungseinrichtungen unterrepräsentiert. Wer also heute .NET-Entwickler sucht... der kann lange suchen. Besser er überlegt sich, wie er selbst ausbilden kann.

Dass ich mit dieser Ansicht nicht allein stehe, hat mir die Meldung "IT-Branche muss mehr ausbilden" zum Glück gezeigt. Es scheint, in der Politik ist noch nicht aller gesunder Menschenverstand verloren.

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